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Biden lobt "Vizepräsident Trump" US-Präsident übersteht seine Stunde der Wahrheit

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Am Ende des dreitägigen NATO-Gipfels stellt sich US-Präsident Biden den Fragen der Presse. Es geht ein wenig um die Beschlüsse, aber vor allem um ihn selbst und seinen Zustand. Es beginnt zwar mit einem Lapsus, aber tatsächlich: Biden kämpft sich durch.

Zweifel, Zweifel, immer wieder Zweifel. US-Präsident Joe Biden hat vor zwei Wochen seinen Vertrauensvorschuss verloren, als er bei der TV-Debatte gegen Donald Trump mental zusammenklappte. Seither beobachten die Medien und nicht zuletzt die Parteikollegen im Kongress jeden seiner Schritte ganz genau. Wie schlägt er sich in der Öffentlichkeit? Kann er auch ohne Skript, ohne Teleprompter sprechen? Sich mit kritischen, komplizierten Fragen auseinandersetzen? Die Wahl im November gewinnen?

Es ist der letzte Abend des NATO-Gipfels, Biden hat ein langes Programm hinter sich, als er auf die Bühne tritt. Der Saal ist voll, manche Journalisten sitzen im Mittelgang auf dem Teppich. Das erste Mal seit November stellt sich der 81-Jährige für längere Zeit offenen Fragen. Der Rahmen ist ungewöhnlich und fordert ein wenig mentale Akrobatik: Drei Tage lang war er der Gastgeber der halben Welt, hielt große Reden, setzte den Ton. Nun muss er sich beweisen wie bei einer mündlichen Schulprüfung. Kohärente Sätze? Namen und Daten korrekt? Argumentationslinien nachvollziehbar?

Nach einer mehrminütigen Rede über den Gipfel und die Erfolge seiner Präsidentschaft per Teleprompter beginnt Biden das Frage-Antwort-Format mit einem Lapsus, der Schlimmes befürchten lässt. Auf eine Frage zu seiner Vize Kamala Harris sagt er: "Ich hätte Vizepräsident Trump nicht ausgewählt, wenn ich nicht denken würde, dass sie Präsidentin sein könnte." Doch es ist der einzige große Fehler, und auch nicht ungewöhnlich für Biden, der schon früher als Senator für seine kleinen Aussetzer bekannt war. Der politische GAU einen Monat vor dem Nominierungsparteitag bleibt den Demokraten erspart.

Nur einmal noch kommt es zu einem seltsamen Moment. Ein Journalist fragt, ob Biden zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping oder Russlands Staatschef Wladimir Putin in der Lage wäre, und ebenso noch in drei oder vier Jahren. Biden antwortet zunächst, er spreche regelmäßig mit Xi, aber er habe derzeit keinen Grund, mit Putin zu sprechen. "Aber ich verstehe den allgemeinen Punkt", führt er aus: "Ist Putin bereit, zu reden?" Aber eben das dürfte nicht der Hintergrund der Frage gewesen sein, sondern Bidens Alter und Zustand. Biden verstand es entweder anders - oder wich geschickt aus.

Ein-Mann-Brandmauer Biden

Die Journalisten löchern den Präsidenten mit Fragen über seine Kandidatur, die mögliche Ersatzkandidatin Harris, seine Zukunft. Es ist eine undankbare Situation. In einen Jungbrunnen wird Biden eindeutig nicht mehr fallen; er spricht langsamer als früher, er nuschelt mehr als früher, ringt häufiger nach dem richtigen Wort. Aber er kämpft sich durch. Als Biden 2020 antrat, hatte er gesagt, er sei ein Übergangskandidat für eine jüngere Generation. Was habe sich denn geändert, fragt eine Journalistin. "Der Ernst der Lage!", antwortet Biden, in Bezug auf Wirtschaft, Außenpolitik und "innenpolitischer Spaltung".

Biden macht deutlich, wie er sich sieht: als die beste Brandmauer gegen Trump. "Glauben Sie, unsere Demokratie ist unter Belagerung durch den Supreme Court?", fragt er provokativ zurück: "Durch das Projekt 2025? (Gemeint ist die mögliche radikale Agenda einer Trump-Präsidentschaft, Anm. d. Red.) Trump will den Staatsdienst abschaffen, das Bildungsministerium loswerden!" Biden zeigt sich felsenfest überzeugt, dass er antritt und gewinnen wird. Aber er lässt auch einen Türspalt offen für die Alternative Harris, lobt sie mehrfach überdeutlich.

Die von den Bundesstaaten gemäß der Vorwahlergebnisse entsandten Delegierten können selbstverständlich nach ihrem Gewissen wählen, so Biden. "Wenn ich auf den Parteitag komme und sie wollen jemand anderen, ist das der demokratische Prozess." Dann lehnt er sich vor und wechselt in einen Flüsterton, als wolle er ein Geheimnis verraten: "Aber es wird nicht passieren." Er sei der Bestqualifizierte, um zu regieren und zu gewinnen. Nur wenn ihm gesagt würde, es gibt keine Möglichkeit zu siegen, träte er zur Seite. "Der Wahlkampf hat noch gar nicht richtig begonnen", meint er.

Doch die Selbstsicherheit räumt nicht die Zweifel im Kongress aus. Ein Senator und 19 Abgeordnete haben inzwischen öffentlich gefordert, dass sie einen Alternativkandidaten zu Biden wollen. Die Fraktionschefs halten öffentlich zu Biden, aber sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat möchten die Demokraten detailliert von Bidens Wahlkampfteam wissen, wie sie nicht offenen Auges in ein Wahldesaster steuern, sondern gewinnen wollen. Im Repräsentantenhaus gibt es darüber permanente Diskussionen, und den Senatoren wurde bei einem Treffen mit Bidens Wahlkämpfern versichert: Wir siegen mit den entscheidenden Bundesstaaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, die "blaue Wand" wird nicht fallen.

Eine halbe Sekunde Starre

Überzeugend genug war das offenbar nicht, dafür sind die Umfragezahlen des Präsidenten zu schwach. Zudem hacken mehrere US-Medien auf Biden herum, die redaktionelle Linie der "New York Times" etwa ist seit knapp zwei Wochen, dass Biden Platz machen müsse für jemand anders. Die einflussreiche Nancy Pelosi setzte ihm während des Gipfels die Pistole auf die Brust, sagte, es bleibe nicht mehr viel Zeit für eine Entscheidung. Da er die längst getroffen hat, könnte man es in eine elterliche Frage umformulieren: Joe, hast du dir das auch gut überlegt? Ihren Kollegen im Kongress legte Pelosi nahe, für weitere Schritte bis nach dem Ende des NATO-Gipfels zu warten - offenbar, damit sie Biden und das Land nicht bloßstellen.

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Kurz vor der für ihn so wichtigen Pressekonferenz hatte Biden noch eine kurze Zeremonie. Die Staats- und Regierungschefs von über 20 Unterstützerstaaten der Ukraine stellen sich auf die Bühne und Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj neben Biden, der am Rednerpult kurz die Anstrengungen aller lobt. "Jetzt übergebe ich an den Präsidenten der Ukraine, der so viel Mut wie Zielstrebigkeit hat", preist er: "Meine Damen und Herren, Präsident Putin." Für eine halbe Sekunde kann man die Stecknadel im Saal fallen hören. Biden wendet sich ab, der Applaus setzt vorsichtig ein - aber Biden korrigiert: "Präsident Putin, ich bin so fokussiert, ihn zu besiegen; Präsident Selenskyj!" Der witzelt: "Ich bin besser", und Biden antwortet: "Sehr viel besser!" Der Ausschnitt lief bei mehreren US-Fernsehsendern im frühen Abendprogramm.

Laut einer neuen Umfrage der "Washington Post" sagen 67 Prozent der Erwachsenen in den USA, Biden solle nicht wieder antreten. 56 Prozent von Wählern der Demokraten sind der gleichen Meinung. 70 Prozent wären zufrieden mit Harris. Aber Biden lässt sich von Umfrageergebnissen nicht beirren, wischt alle beiseite. Schließlich hat er Trump schon einmal besiegt, meint er. Was war, das war; wie seine Verdienste. Was kommt, das kann er beeinflussen. Das versucht Biden mit allem, was er kann. Rund einen Monat noch bis zum Nominierungsparteitag.

Quelle: ntv.de

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