Zwei Staaten "einzige Lösung" Bundesregierung hält Anerkennung Palästinas für verfrüht
22.05.2024, 16:39 Uhr Artikel anhören
"Die unilaterale Anerkennung Palästinas als souveräner Staat ist das falsche Signal zur falschen Zeit", sagte SPD-Politiker Roth.
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Die Bundesregierung bekennt sich weiterhin zu einer Zweistaatenlösung, lehnt die Anerkennung eines palästinensischen Staates derzeit aber ab. Der SPD-Abgeordnete Michael Roth spricht von einer Fehlentscheidung Irlands, Norwegens und Spaniens. Die Union schlägt ähnliche Töne an.
Anders als Norwegen, Irland und Spanien lehnt die Bundesregierung eine Anerkennung Palästinas als Staat derzeit weiterhin ab. Man bleibe beim Ziel einer ausgehandelten Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästinensern, "an deren Ende die Akzeptanz ist, dass es einen eigenen palästinensischen Staat gibt", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Einer solchen Zweistaatenlösung sei man im Augenblick allerdings fern.
Gleichwohl sei eine solche ausgehandelte und von allen Seiten akzeptierte Zweistaatenregelung, bei der Israel und Palästinenser friedlich nebeneinander leben, "die einzige Lösung für diesen Konflikt, so langwierig das auch noch sein würde", ergänzte Hebestreit. "Das wird viel diplomatisches Geschick und auch wahrscheinlich viel Zeit bedürfen." Vor dem Hintergrund der Anerkennung eines palästinensischen Staates durch andere europäische Länder ergänzte er: "Da gibt es jetzt keine Abkürzung." Niemand solle die Hoffnung haben, dass sich dieser schwierige Konflikt "durch eine diplomatische Maßnahme, durch eine Entscheidung" plötzlich in Luft auflöse.
Die Regierungen von Norwegen, Irland und Spanien hatten zuvor angekündigt, sie würden Palästina als Staat anerkennen. Das hatten der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, Irlands Premierminister Simon Harris und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez mitgeteilt. Der Schritt soll am 28. Mai formell vollzogen werden.
Frankreich sieht in Anerkennung kein Tabu
Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné dagegen hat einer Anerkennung Palästinas als Staat zum jetzigen Zeitpunkt eine Absage erteilt. "Unsere Position ist klar: Die Anerkennung Palästinas ist für Frankreich kein Tabu", sagte der Minister nach einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Israel Katz in Paris. Die Entscheidung für eine Anerkennung müsse jedoch nützlich sein, was heiße, dass sie einen entscheidenden Fortschritt auf politischer Ebene ermögliche, sagte Séjourné. Sie müsse zum richtigen Zeitpunkt erfolgen.
"Es handelt sich nicht nur um eine symbolische Frage oder um eine Frage der politischen Positionierung, sondern um ein diplomatisches Instrument im Dienste der Lösung mit zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben", sagte der französische Außenminister. "Frankreich ist nicht der Ansicht, dass die Bedingungen bis zum heutigen Tag gegeben waren, damit diese Entscheidung einen wirklichen Einfluss auf diesen Prozess hat."
Die USA wollen einen Palästinenserstaat nur nach Verhandlungen anerkennen. "Der Präsident ist ein starker Befürworter einer Zweistaatenlösung und hat dies während seiner gesamten Karriere getan", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses in Washington mit Blick auf US-Präsident Joe Biden. "Er glaubt, dass ein palästinensischer Staat durch direkte Verhandlungen zwischen den Parteien und nicht durch eine einseitige Anerkennung erreicht werden sollte", fügte er hinzu.
Roth: "Falsches Signal zur falschen Zeit"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, kritisierte die Anerkennung Palästinas durch die drei Staaten als Fehlentscheidung. "Die unilaterale Anerkennung Palästinas als souveräner Staat ist das falsche Signal zur falschen Zeit", sagte der SPD-Politiker Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Ich fürchte, dass man so der notwendigen Zweistaatenlösung nicht näher kommt."
Es gebe derzeit keine funktionierende Staatlichkeit in den palästinensischen Gebieten. Zudem erkenne die Autonomiebehörde den Staat Israel nicht an. Es dränge sich "der falsche Eindruck auf, dass erst der grauenhafte Terror der Hamas vom 7. Oktober zu einer neuen positiven Dynamik zugunsten der Palästinenserinnen und Palästinenser geführt hat. Das Gegenteil ist aber der Fall", sagte Roth.
Bedauerlich sei auch, dass die EU in dieser Frage nicht gemeinsam vorgehe. "Wieder einmal zeigt sich in frustrierender Weise die tiefe Spaltung der EU in einer zentralen außen- und sicherheitspolitischen Frage", sagte Roth. "Wir brauchen die USA, die gemäßigten arabischen Staaten, Israel und die Palästinensergebiete gleichermaßen an Bord. Die gegenseitige Anerkennung sollte am Ende von Verhandlungen stehen, die den Weg zu einem dauerhaften Frieden im Nahen und Mittleren Osten mit einem Staat Israel und einem Staat Palästina ebnen." Nötig seien dafür "Bedacht und Geschlossenheit".
Hardt: "Anerkennung hilft wenig"
Auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, warnte die Bundesregierung davor, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen. "Für Deutschland sollte weiterhin die bewährte Formel gelten: Anerkennung eines Staates Palästina erst im Zuge erfolgreicher Friedensverhandlungen", sagte er der "Rheinischen Post".
In solchen Verhandlungen müssten dann auch die sogenannten Endstatusthemen des Nahostkonflikts zwischen den Konfliktparteien vereinbart werden. Hardt ergänzte, auch wenn souveräne Staaten selbst entscheiden würden, welchen Status sie ihren diplomatischen Beziehungen geben, "bis zu einer Verhandlungslösung hilft eine solche Anerkennung wenig". Stattdessen brauche es "ein konkretes, authentisches Engagement mit den Konfliktparteien und konkrete Schritte hin zu einer gelebten und lebensfähigen Zweistaatenlösung. Damit ist allen Menschen vor Ort mehr geholfen als durch Symbolhandlungen", sagte Hardt.
Quelle: ntv.de, mdi/dpa