
Washington erlebte einen schönen Sonnenaufgang. Weniger schön droht der Tag innerhalb der Mauern des Kapitols zu werden, zumindest für Kevin McCarthy.
(Foto: AP)
Es wird nicht langweilig in den USA. Das Wahldrama um Kevin McCarthy stellt manchen Hollywood-Streifen in den Schatten. Die Republikaner-Partei ist zerstritten wie nie und nicht regierungsfähig. Und nicht einmal Trump kann sich darüber freuen.
Das Normalste an diesem Abend in Washington war, dass irgendwann Pizza geliefert wurde - so wie immer, wenn es im Kongress nicht weiter geht. Kevin McCarthy mag darauf gehofft haben, dass ihm Champignons und Salami dabei helfen würden, sein Jahrhundertproblem zu lösen. Doch es bleibt alles Käse: Es wollen ihn einfach nicht genug Parteifreunde wählen. Zum ersten Mal seit 100 Jahren scheitert ein Kandidat damit, von der eigenen Partei zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt zu werden - in bislang drei Versuchen. McCarthy ist blamiert. Aber die Republikaner sind es ebenso. Ein Nachweis, regierungsfähig zu sein, ist das jedenfalls nicht gewesen. An diesem Mittwoch soll das Schauspiel fortgesetzt werden. Es stellen sich viele Fragen.
Was ist da wieder los?
Am Dienstag wollte sich der Republikaner Kevin McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses wählen lassen. Das ist ein prestigeträchtiger Posten und die offizielle Nummer 3 in der Rangfolge der US-Staatsspitze - nach Präsident und Vize. Das Amt bekommt immer der Fraktionsführer der Partei, die die Mehrheit hat. Die sicherten sich die Republikaner im vergangenen November knapp - bei den Kongresswahlen errangen sie 222 Sitze - vier mehr als für die Mehrheit notwendig. Doch nun stimmten in drei Wahlgängen erst 19, dann 20 Abgeordnete gegen den Mann aus den eigenen Reihen.
Warum ist das wichtig?
Zunächst einmal, weil das Repräsentantenhaus erst die Arbeit aufnehmen kann, wenn ein Sprecher gewählt wurde. Damit ist die Politik vorerst gelähmt. Gesetze können nicht vorbereitet, geschweige denn beschlossen werden. Vor allem wichtige Haushaltsgesetze müssen bis Jahresmitte beschlossen werden. Es ist aber vor allem auch eine Blamage für die Republikaner. Normalerweise ist die Wahl des Haus-Sprechers eine Formalie. Geschlossenheit ist von dieser Partei nicht mehr zu erwarten. Manche sagen auch, die gesamte politische Klasse leide unter diesem Theater.
Wer sind diese 20 Abweichler?
Die meisten gehören dem sogenannten Freedom Caucus an. Dieser "Freiheits-Ausschuss" ist der rechte Rand der Republikaner im Repräsentantenhaus. Wobei auch der Freedom Caucus gespalten ist. Nur etwa die Hälfte macht bei der Revolte mit. Darunter ist Matt Gaetz, ein Abgeordneter aus Florida, der schon in der Vergangenheit von sich reden machte. Nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 behauptete er noch am selben Tag, manche der Angreifer seien keine Trump-Unterstützer gewesen, sondern maskierte Antifa-Aktivisten. Er schloss sich Trumps Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug 2020 an. Seit 2021 wird gegen ihn ermittelt, weil er Drogen genommen und Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben soll. Leute aus seinem Umfeld waren wegen ähnlicher Vorwürfe geständig, eine Anklage gegen ihn gab es bislang aber nicht.
Interessant ist auch, wer nicht dabei ist - zum Beispiel Marjory Taylor Greene. Auch sie ist eine knochenharte Trump-Unterstützerin und eine, die immer gerne und kräftig gegen die Demokraten austeilt - und sich mit der Behauptung lächerlich machte, jüdische Laser aus dem Weltraum seien für Waldbrände in Kalifornien verantwortlich. Doch sie arrangierte sich mit McCarthy und rief zu dessen Wahl auf.
Was haben die 20 gegen McCarthy?
Sie sehen in ihm einen Vertreter des Partei-Establishments, der nicht hart genug gegen die Demokraten ist. Konkret fordern sie, die Verfahrensregeln im Repräsentantenhaus zu ändern. Im Zentrum steht dabei das Recht, den Sprecher des Hauses absetzen zu können. Seit 2019 ist dafür ein Mehrheitsvotum einer Fraktion oder eines Fraktionsvorsitzenden erforderlich. Zuvor konnte ein einzelner Abgeordneter die Abstimmung allein herbeiführen, was aber extrem selten geschah. Diese Regel wollen die Abweichler zurück. McCarthy hatte angeboten, dass fünf Abgeordnete dafür stimmen müssten - und das Amt damit zu einem Schleudersitz gemacht. Doch das war den Rebellen zu wenig.
Es ist aber die Frage, ob es wirklich nur darum geht - oder ob es eher eine Machtdemonstration der Abgeordneten ist. Der Freedom Caucus ist berüchtigt dafür, keine Kompromisse zu machen. Das soll wohl an der Basis Eindruck schinden. Der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, fällte 2021 in seinen Memoiren ein vernichtendes Urteil. Der gemäßigte Republikaner schrieb, seit 2010 gehe es einem Teil der neuen Abgeordneten vor allem darum, einen Kommentatorenvertrag bei Fox News zu bekommen und nicht Politik zu machen.
Steckt Trump dahinter?
Wie die meisten gewählten Republikaner sind die Abweichler Trump-Unterstützer. Doch es ist unwahrscheinlich, dass der Ex-Präsident bei dieser Aktion die Strippen zog. Präsentieren sich die Republikaner in den kommenden zwei Jahren als zerstrittener Haufen, hilft ihm das im Wahlkampf kaum. Außerdem hatte er selbst McCarthy offiziell in seiner Kandidatur unterstützt und dies an diesem Mittwoch noch einmal bekräftigt. Die beiden haben allerdings eine komplizierte Geschichte. McCarthy hatte sich nach dem Sturm auf das Kapitol zunächst von Trump losgesagt - als er aber merkte, dass der nicht die Kontrolle über die Partei verlor, ruderte er zurück. Er fuhr zu Trump nach Florida und warf sich dort gewissermaßen in den Staub. Anschließend redete der wieder gut über ihn. Es war aber offensichtlich, dass McCarthy sein Fähnchen nach dem Wind ausrichtete. Insofern konnten die Rebellen davon ausgehen, dass Trump McCarthy nicht nachweinen würde.
Wie kommen die jetzt da heraus?
Es wäre eine Überraschung, wenn McCarthy die Abweichler doch noch überzeugen kann. Möglich ist aber auch, dass es einen anderen Kandidaten gibt, auf den sich alle einigen können. Es gäbe aber noch eine weitere Alternative: eine Einigung mit den Demokraten. Sollten ausreichend Abgeordnete von ihnen einem anderen Republikaner-Kandidaten zustimmen, könnte der Freedom Caucus umgangen werden. Dafür würden sie wiederum Zugeständnisse verlangen. Das war bislang die mit Abstand unwahrscheinlichste Variante. Aber jetzt sind die Abgeordneten in unbekannten Gewässern, in denen ganz neu nachgedacht wird. Klar ist: Es wird so lange abgestimmt, bis jemand eine Wahl gewinnt. Der Rekord wurde 1856 aufgestellt. Damals gab es 133 Wahlgänge.
Quelle: ntv.de