Politik

SPD-Verkehrspolitiker Müller "Das 9-Euro-Ticket wird ein Riesenerfolg"

imago0124935959h.jpg

Saß viele Jahre immer ganz vorn im Zug: der SPD-Verkehrspolitiker Detlef Müller.

(Foto: imago images/HärtelPRESS)

Detlef Müller ist Lokomotivführer und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Das Geld für das 9-Euro-Ticket hätte er lieber anders verwendet. Jetzt aber freue er sich drauf, so wie viele Bürger, sagt Müller zu ntv.de. Er warnt die Länder, das Projekt noch zu Fall zu bringen.

ntv.de: Bayern, Bremen und weitere Bundesländer sind unzufrieden mit der Finanzierung des 9-Euro-Tickets durch den Bund. Sie fordern unter anderem Regionalisierungsmittel, also mehr Bundeszuschüsse für den Nahverkehr, damit sie im Bundesrat zustimmen. Wie berechtigt finden Sie diese Forderungen?

Detlef Müller: Das 9-Euro-Ticket, also die Mehrkosten und Mindereinnahmen, die Land und Verkehrsverbünde in den drei Monaten haben, erstattet der Bund eins zu eins. Das ist in dem Gesetz, das wir heute im Bundestag beschließen, geregelt. Das akzeptieren die Länder auch. Einige Länder koppeln jetzt aber ihre Zustimmung zum 9-Euro-Ticket an eine allgemeine Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Da haben sie grundsätzlich auch Recht: Wir brauchen definitiv mehr Geld im ÖPNV-System. Ich warne aber davor, ihre Zustimmung im Bundesrat davon abhängig zu machen. Das ist ein zweiter, davon getrennter Prozess, und den müssen wir gemeinsam machen, weil es dabei nicht nur um Geld sondern auch darum geht, wie der ÖPNV der Zukunft aussehen soll.

Unter anderem aus Bayern kommt aber auch in dieser Woche die Forderung, die Kosten des 9-Euro-Tickets müssten voll ausgeglichen sein. An der Zusage vom Bund bestehen offenbar noch Zweifel.

Bei der Verkehrsministerkonferenz in der vergangenen Woche waren die Länderminister mit den zugesagten Mitteln in Höhe von 2,5 Milliarden Euro für das 9-Euro-Ticket plus 1,2 Milliarden Euro für Pandemie-bedingte Ausfälle zufrieden. Insofern halte ich das für politische Spielchen. Man kann die Geschichte jetzt bis zur Bundesratsabstimmung am Freitag immer weiter treiben und den Druck erhöhen. Man kann sich aber auch einmal an die eigenen Beschlüsse halten. Bund und Länder verlassen sich auf die Berechnungen vom Verbund Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), und der rechnet mit 30 Millionen Nutzern des 9-Euro-Tickets. Alle gehen davon aus, dass die Bundesmittel reichen. Darauf würde ich mich jetzt auch verlassen.

Wie groß ist Ihre Befürchtung, dass die Länder das 9-Euro-Ticket doch noch zu Fall bringen im Bundesrat?

Da ich will gar nicht drüber nachdenken, denn das hätte eine verheerende Außenwirkung. Ich höre von den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie sich drauf freuen. Manche haben sogar schon Routen geplant. Die Zeitungen oder Radiostationen veröffentlichen auf ihren Webseiten die besten Verbindungen für 9 Euro. In der Öffentlichkeit gibt es die Erwartungshaltung, dass das Ding ab 1. Juni fliegt. Wenn die Länder ihre Zustimmung von fiskalischen Gründen abhängig machen und dabei verschiedene Themen miteinander vermischen, droht der Politik ein großer Vertrauensverlust. Das können wir uns alle gemeinsam nicht leisten, weil es nachher auch nichts bringt, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Für den Bürger ist es am Ende immer 'die Politik' insgesamt, die da versagt hat.

Die Forderung nach dauerhaft mehr Bundeszuschüssen zum öffentlichen Nah- und Regionalverkehr argumentiert auch damit, dass Nutzer des 9-Euro-Tickets ein Bus- und Bahnsystem erleben werden, das am Rande seiner Kapazitäten operiert und durch die zusätzlichen Kunden teilweise überlastet wird. Droht da nicht ein Misserfolg, wenn überzeugte Autofahrer das 9-Euro-Ticket ausprobieren und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt werden?

Das 9-Euro-Ticket wird, da bin ich mir ziemlich sicher, ein Riesenerfolg. Es wird Schwierigkeiten geben, das ist vollkommen klar. Vor allem bei touristischen Verbindungen in Richtung Erzgebirge, Nord- und Ostsee oder Bayrischer Wald wird es Kapazitätsprobleme geben. Dennoch: Es wird ein Erfolg, wenn das 9-Euro-Ticket genutzt wird. Aber es wird eben auch zeigen, wo der ÖPNV noch auszubauen ist - also wo die Nachfrage größer ist als das Angebot. Darüber müssen wir dann reden und kommen so in die Diskussion rein, die die Länder auch wollen: Was ist ein ordentlicher Nahverkehr? Was sind ordentliche Takte? Welche Qualitätsstandards wollen wir erreichen? Da wird am Ende eine Summe drunter stehen, und über die sprechen wir dann.

Aber viele organisatorische Probleme in der Vorbereitung, auch die jetzige Drucksituation im Entscheidungsprozess, hätte die Ampelkoalition mit einem weniger kurzfristig terminierten Schnellschuss vermieden. Warum wurde das 9-Euro-Ticket nicht für den Herbst geplant?

Ich habe das 9-Euro-Ticket nicht im Koalitionsausschuss mitverhandelt. Aber ich stehe dazu. Und die Länder haben dem ja sehr schnell zugestimmt. Man darf auch nicht vergessen, dass es eine Maßnahme angesichts gestiegener Mobilitätskosten ist, die den Menschen schnell helfen soll. Ja, die 2,5 Milliarden Euro wären im System ÖPNV auch ohne 9-Euro-Ticket gut investiert gewesen. Dann hätte man für zwei, drei Jahre eine auskömmliche Finanzierung gehabt. Aber die Frage stellt sich jetzt nicht mehr. Zu den dauerhaften Regionalisierungsmitteln tagen jetzt drei Arbeitsgruppen der Länder, und wenn die fertig sind, müssen Bund, Länder und Kommunen auf der Basis über die dauerhafte Finanzierung reden.

Bei den Bundesmitteln steht in der Ampel vor allem die FDP auf der Bremse. Bundesverkehrsminister Volker Wissing pocht auf mehr Transparenz. Was steckt da dahinter?

Transparenz ist das Thema von einer der drei Arbeitsgruppen. Da geht es um den alten Vorwurf, der auch vom Bundesrechnungshof kommt, dass nicht alle Bundesländer die Regionalisierungsmittel tatsächlich auch für öffentlichen Nahverkehr oder Schienenpersonennahverkehr verwenden. Manche Länder stecken das Geld in die Schülerbeförderung oder bilden damit Rücklagen für später. Das ist zum Teil auch nachvollziehbar, weil die Verkehrsverträge, die die Länder mit den Unternehmen abschließen, länger gehen als die Zuteilungszeiträume der Regionalisierungsmittel. Das muss aber offengelegt werden: Was machen die Länder mit den vom Bund zur Verfügung gestellten Mitteln? Nur dann kann man auch über mehr Geld reden. Darum geht es Volker Wissing, und das ist korrekt.

Was ist der Auftrag der anderen beiden Arbeitsgruppen?

Das zweite Thema ist die Finanzierung und das dritte die Qualität. Das heißt: Was ist ÖPNV? Wie müssen die Takte aussehen? Wie müssen die Bedingungen im ländlichen, wie im städtischen Raum aussehen? Welchen Modernisierungsbedarf gibt es zum Beispiel bei Antrieben? Das muss alles mal zu einem Gesamtkunstwerk zusammengefasst werden, das nicht aus der Berliner Blase heraus gedacht ist. Und dann kommt man auch zu einer Summe, die benötigt wird.

Wird die Ampel da substanziell vorankommen?

Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass es diesen Mobilitätspakt gibt und dass wir dafür auch Mittel zur Verfügung stellen müssen. Nun gibt es externe Faktoren, die auf den Bundeshaushalt einwirken, von denen wir im Herbst nichts wissen konnten: der Krieg in der Ukraine, die Energiepreisexplosion. Das wird man austarieren müssen. Aber der ÖPNV-Ausbau braucht Geld. Ob das alles vom Bund kommen muss, wo der ÖPNV doch Ländersache ist, würde ich bezweifeln. Deswegen müssen wir gemeinsam mit Bund und Ländern und Kommunen vorankommen.

Erstmals können die Menschen mit dem 9-Euro-Ticket mit einer Fahrkarte durch verschiedene Verkehrsverbund-Gebiete fahren. Muss so eine Vereinheitlichung der Tarife ein dauerhaftes Ziel sein?

Das wäre gut. In manchen Bundesländern sind die Verkehrsverbünde zu kleingliedrig, zum Beispiel fünf Verkehrsverbünde im relativ kleinen Bundesland Sachsen. Das führt zu zu vielen Tarifgrenzen und unterschiedlichen Regeln, etwa bei der mal gestatteten mal verbotenen Fahrradmitnahme. Das ist abschreckend. Wir müssen da zu einem einfacheren System kommen, und das hat Volker Wissing ja auch vor. Die Tarifzonen zu straffen, macht Sinn, löst aber nicht das Problem der strukturellen Unterfinanzierung.

Das Gespräch mit Detlef Müller sprach führte Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen