Interview mit CDU-Außenpolitiker "Das ist es, was Erdogan fürchtet"
28.03.2017, 15:15 Uhr
Die Ziele der von Präsident Erdogan angestrebten Verfassungsänderung "sind mit denen einer Präsidialdemokratie nicht vereinbar", sagt Jürgen Hardt.
(Foto: dpa)
Der türkische Präsident attackiert die EU, um den Türken einzureden, er allein könne für eine gute Zukunft sorgen, sagt der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. Auf diese Provokationen einzusteigen, "ist nicht in unserem Interesse".
n-tv.de: Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat den türkischen Präsidenten Erdogan "Terrorist" genannt. Hat sie recht?

Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
(Foto: Katja-Julia Fischer)
Jürgen Hardt: Wir sollten mit solchen Angriffen sehr vorsichtig sein. Für mich stellt sich die Situation so dar, dass der türkische Präsident geradezu manisch von der Idee besessen ist, dass sein früherer Verbündeter Gülen und dessen Bewegung hinter dem Putschversuch vom Juli 2016 stehen. Dadurch lässt er sich zu Dingen hinreißen, die wir nicht akzeptieren können.
Frau Wagenknecht hat sich auf diesen Satz von Erdogan an die Adresse der EU bezogen: "Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können."
Ich finde diesen Satz schlicht unverständlich.
Die Bundesregierung hat sich bisher sehr zurückgehalten, vor ein paar Tagen sagte die Bundeskanzlerin, Deutschland habe "kein Interesse an einer Eskalation der Beziehungen zur Türkei". Ist das ein angemessener Umgang mit einem, dem selbst keine Beschimpfung zu wüst ist?
Erdogans Strategie besteht darin, dem türkischen Volk den Eindruck zu vermitteln, nur er allein könne, gestärkt durch eine Verfassungsänderung, für eine gute Zukunft der Türkei sorgen. Deswegen will er den Türken einreden, die Europäische Union wolle die Türkei nicht. In dem Augenblick, in dem wir auf diese Provokationen einsteigen, würden wir dieser Legende Nahrung geben. Das wäre Munition für Erdogans Wahlkampf und ist nicht in unserem Interesse.
Die einzige ernstzunehmende Herausforderung von Erdogans Machtposition ist, dass die Türken eine Alternative zur Erdogan-Türkei in einer weiterhin säkularen, dem westlichen Europa zugeneigten Türkei sehen - das ist es, was Erdogan fürchtet.
Steckt die EU damit nicht in einer Zwickmühle? Dann wäre ja so gut wie ausgeschlossen, den Status der Türkei als Beitrittskandidat zu beenden.
Der Begriff "Beitrittsverhandlungen" ist ohnehin recht euphemistisch. In Wirklichkeit geht es darum, festzustellen, was Rechtslage und Praxis in der Türkei ist im Verhältnis zu den Anforderungen der Europäischen Union. Wenn im Rahmen der Beitrittsverhandlungen regelmäßig offizielle Berichte etwa über den Stand der Rechtsstaatlichkeit der Türkei veröffentlicht werden, dann ist das eher gut für jene, die eine pluralistische, demokratische Türkei wollen. Ihnen würden wir keinen Gefallen tun, wenn wir die Verhandlungen von uns aus abbrächen.
Wäre die Türkei noch eine Demokratie, wenn die Verfassungsänderung in Erdogans Sinn angenommen würde?
Die Venedig-Kommission des Europarates ist zu dem Schluss gekommen, dass diese Verfassungsänderung über das hinausgehen würde, was noch als Präsidialdemokratie zu bezeichnen wäre. Zu weit gehen aus Sicht des Europarates insbesondere die Möglichkeiten des Präsidenten, am Parlament vorbei Macht auszuüben, sowie sein Einfluss darauf, wer in der Türkei Richter wird. Vor allem aber kann ein solches Referendum unter den Freiheitsbeschränkungen des Ausnahmezustands nicht vernünftig durchgeführt werden. Deshalb ist das Referendum zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen und auch die Ziele der angestrebten Verfassungsänderung sind mit denen einer Präsidialdemokratie nicht vereinbar.
Wenn das Referendum angenommen wird, kann die Türkei dann noch Beitrittskandidat sein?
Die Frage des Kandidatenstatus stellt sich meines Erachtens solange nicht, wie die Türkei bereit ist, mit der Europäischen Union über die Differenzen zwischen türkischer Wirklichkeit und den Anforderungen der Europäischen Union zu reden. Die Beitrittsverhandlungen sorgen für Transparenz - zumindest für mehr Transparenz als wir hätten, wenn es keine Verhandlungen gäbe. Aber natürlich ist der Weg der Türkei in die EU solange versperrt, wie sie rechtsstaatliche Prinzipien nicht erfüllt.
Für die in Deutschland lebenden Türken hat das Referendum am Montag begonnen. Können Sie einschätzen, ob die Abstimmung zumindest hier frei und fair verläuft?
Anders als beim Referendum in der Türkei am 16. April gibt es in Deutschland keine formale Wahlbeobachtung, etwa durch den Europarat. Die Auszählung der Stimmen, auch der aus Deutschland, findet ja in der Türkei statt und fällt somit in den Bereich der internationalen Beobachter dort. Ich gehe aber davon aus, dass die Abstimmung hier fair verläuft und ermutige Türken deshalb auch, sich am Referendum zu beteiligen und gegen die Verfassungsänderung zu stimmen. Türken in Deutschland sollten ihren Landsleuten in der Türkei nicht Rechte vorenthalten, die sie hier genießen.
Am Montag kam heraus, dass der türkische Geheimdienst Türken in Deutschland ausspioniert. Was hat es damit auf sich?
Die türkische Regierung wollte die Bundesregierung offenbar von ihrer fixen Idee überzeugen, dass Gülen der Antreiber hinter dem Putsch ist, und hat dazu Dokumente an die deutschen Behörden übergeben. Tatsächlich haben diese Dokumente aber offenbart, dass es geheimdienstliche Aktivitäten der Türkei in Deutschland gab. Ob diese Aktivitäten gegen deutsche Interessen gerichtet sind, wird jetzt zu untersuchen sein. Wenn die Türkei mit deutschen Diensten zusammenarbeitet, um Terroristen in Deutschland aufzuspüren, ist das in unserem gemeinsamen Interesse, das machen wir im Ausland ja auch. Wenn es allerdings darum geht, politische Gegner zu diffamieren, muss das unseren scharfen Protest hervorrufen.
Rechnen Sie damit, dass der deutsche Journalist Deniz Yücel nach dem Referendum freikommt?
Ich bin davon überzeugt, dass Deniz Yücel völlig zu Unrecht in Untersuchungshaft ist. Ich fürchte allerdings, dass der Streit eine politische Dimension erreicht hat, die dazu führen könnte, dass er für die türkische Regierung zum Symbol geworden ist und man von deutscher Seite aus weniger erreichen kann.
Mit Jürgen Hardt sprach Hubertus Volmer
Update: Die von Jürgen Hardt angesprochene Untersuchung hatte offenbar ein erstes Ergebnis.
Quelle: ntv.de