Politik

Streit mit Seehofer Der Druck auf Merkel ist jetzt groß wie nie

Erlebt eine der schwierigsten Phasen ihrer Kanzlerschaft: Angela Merkel.

Erlebt eine der schwierigsten Phasen ihrer Kanzlerschaft: Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Zwei Wochen: Horst Seehofer und die CSU setzen Angela Merkel im Streit um die Flüchtlingspolitik ein Ultimatum. Und dann? Sogar darüber sind die Kanzlerin und ihr Innenminister völlig uneins.

Wer gibt nach? Diese Frage stellt sich am Montagmorgen gleich doppelt. Die Kanzlerin und ihr Innenminister hatten eigene Pressekonferenzen angekündigt, jeweils für 14 Uhr - nicht gerade günstig. Bis kurz vorher stritten beide Seiten über eine mögliche Verschiebung, ohne Einigung. Schließlich überschnitten sich die Auftritte der beiden. Selbst die kleinen Fragen sind kompliziert geworden zwischen CDU und CSU.

Auch im großen Konflikt will keiner nachgeben. Seehofer und die CSU wollen an der Grenze Flüchtlinge zurückweisen, Merkel und die CDU-Spitze lehnen das ab. Zum Wochenanfang ist die Streitfrage nach wie vor ungelöst, die Klärung allenfalls aufgeschoben. Der vermeintliche Kompromiss sieht nun so aus: Innenminister Seehofer will Zurückweisungen vorbereiten und stufenweise einführen. Den ersten Schritt hat er bereits angeordnet. Demnach sollen Ausländer abgewiesen werden, die mit einem Einreiseverbot belegt sind. Weitere Schritte will Seehofer erst einleiten, wenn die Kanzlerin bis nach dem EU-Gipfel Ende Juni keine Einigung über Rückführungsabkommen mit den EU-Partnern erreichen kann. Der CSU-Vorstand einigte sich heute einstimmig auf eine zweiwöchige Frist und ging damit auf einen Kompromissvorschlag der CDU aus der vergangenen Woche ein.

Seehofer gewährt Merkel Zeit und geht auf sie zu, so kann man das theoretisch sehen. Man könnte es aber auch anders deuten, als Ultimatum, sogar als Erpressung. Merkel hat die Frist nur eingeschränkt akzeptiert. Sie will in den kommenden zwei Wochen alle Möglichkeiten ausloten. Am Montagabend erwartet die Kanzlerin in Berlin einen wichtigen Gast, den neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte. Morgen spricht sie im brandenburgischen Meseberg mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die Gespräche dürften sich um die Reform der Eurozone und um das Thema Flüchtlinge drehen. Wie Merkel befürwortet Macron ein gemeinsames EU-Asylsystem und eine Stärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Wie die "Welt" berichtet, plant Merkel außerdem ein Sondertreffen mit Italien, Österreich und anderen Staaten im Vorfeld des EU-Gipfels - jenen Ländern, die besonders von der Flüchtlingskrise betroffen sind. Der Druck für Merkel ist nun riesig, wahrscheinlich so groß wie nie zuvor.

Dies sei ein Kompromissvorschlag, der sie unter Verhandlungsdruck setze, sagte die Kanzlerin bei ihrem Auftritt in Berlin. Es lohne aber, um CDU und CSU "beieinanderzuhalten", sagt sie und schiebt schnell hinterher: "Und Europa natürlich auch." Aber was kann Merkel in so kurzer Zeit überhaupt erreichen? "Das ist mit Sicherheit schwierig", sagte CDU-Vorstandsmitglied Mike Mohring am Montagvormittag. Merkel selbst antwortet mit einem Lächeln auf die Frage, was geschehe, wenn sie bis Ende Juni nichts Zählbares erreicht haben sollte: "Sie kennen mich und wissen, dass ich Wenn-Dann-Fragen nicht beantworte." Die Kanzlerin will sich nicht erpressen lassen. Es gebe keinen Automatismus, Anfang Juli mit den Zurückweisungen zu beginnen, erklärt sie. Am 1. Juli werde die CDU über das weitere Vorgehen entscheiden. Erst die CDU unter sich und dann gemeinsam mit der CSU, sagt sie.

Die stilvollen Bayern

Dennoch wird Merkel in zwei Wochen etwas vorweisen müssen. Und wenn nicht? Seehofer, der zehn Minuten nach Merkel in München vor die Presse tritt, erklärt, die CSU unterstütze eine europäische Lösung. "Wir wünschen der Bundeskanzlerin viel Erfolg", sagt er, kündigt jedoch an: Für den Fall, dass Merkels Bemühungen um eine europäische Lösung nicht zu "wirkungsgleichen Ergebnissen" führe, werde er mit den Zurückweisungen an der Grenze beginnen. "Das ist eine Verantwortung, die mir niemand nehmen kann." Dennoch sei es "eine Frage des Anstandes", nach dem EU-Gipfel zunächst mit der Kanzlerin zu sprechen. "An den stilvollen Bayern soll es nicht scheitern", witzelt Seehofer, wird dann aber wieder ernst. Es gehe nicht um 14 Tage, sondern um einen grundsätzlichen Dissens. "Die CDU", beginnt Seehofer und korrigiert sich dann, "die Spitze der CDU will die nationale Lösung nicht."

Das Verhältnis der Schwesterparteien ist nach wie vor tief erschüttert. Wie tief, das ließ sich am Wochenende erahnen. Die CSU wolle Merkel nicht stürzen, sagte der Innenminister der "Bild". Die "Welt" berichtete derweil, Seehofer habe intern verlauten lassen, er könnte "mit der Frau" nicht mehr zusammenarbeiten - was dementiert wurde. Auch nach dem Wochenende sind die Signale in Richtung der Schwesterpartei unversöhnlich. "Mein Gefühl ist nicht, dass die Situation sich in den letzten Tagen entspannt hat", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Zumindest die Spitzengremien der CDU stärkten Merkel am Montagvormittag den Rücken. "Die CDU steht hinter der Bundeskanzlerin, die CDU steht hinter dem europäischen Ansatz", erklärte NRW-Ministerpräsident und CDU-Vize Armin Laschet. So groß die Unterstützung für Merkel im Parteivorstand ist, in der Bundestagsfraktion ist sie es nicht mehr. Nur ein Drittel steht inhaltlich hinter ihr, zwei Drittel hinter Seehofer, so schätzen selbst Anhänger der Kanzlerin die Mehrheitsverhältnisse ein.

Der Konflikt ist also nur vertagt, nicht gelöst. Auch das Szenario des Fraktionsbruchs steht deshalb weiter im Raum. "Wenn die CSU konsequent gewesen wäre, wäre sie zum Bundestagswahlkampf 2017 eigenständig angetreten", sagt der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Für den Fall, dass Seehofer gegen den Willen der Kanzlerin aktiv werden könnte, "müsste Merkel reagieren", findet er. "Am Ende dürfte dann nicht ihr Rücktritt stehen, sondern eine Aufforderung an Seehofer. Oder Seehofer müsste aus Einsicht sein Amt aufgeben." Sollte die Fraktion auseinanderbrechen, stünde die Große Koalition wohl vor dem Aus, womöglich auch Merkels Kanzlerschaft.

"Darüber rede ich heute nicht"

Abgeordnete von CDU, SPD und Grünen berieten bereits informell über ein mögliches Bündnis. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der "taz": "Dass die Grünen regieren könnten und gestalten wollen - daran gibt es keinen Zweifel." Unklar wäre dabei, wie groß eine schwarz-rot-grüne Mehrheit wäre. In der Union gilt es als denkbar, dass CDU-Abgeordnete im Fall eines Fraktionsbruchs zur CSU wechseln. Ein Zerwürfnis der Schwestern hätte auch in anderer Hinsicht Folgen. Bis Anfang August müsste die CDU entscheiden, ob sie bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst erstmals als eigene Partei antritt.

Der Machtkampf zwischen Seehofer und Merkel, der im Sommer 2015 ausbrach, geht in seine nächste und womöglich finale Runde. Es gehe nicht um Persönliches, sondern um eine Sachfrage, betont man in der CSU. Im Oktober 2015 passierten 140.000 Flüchtlinge im Monat die deutsch-österreichische Grenze in Passau, inzwischen sind es nur noch 150. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, würden 60 Prozent davon nach einer Befragung schon zurückgeschickt, weil keine Gründe für eine Einreise vorliegen. Seehofer sagt, es gehe nicht um ein paar Hundert, sondern ein paar Tausend Fälle. Aber es geht wohl weniger um Zahlen als ums Prinzip.

Merkel sieht das Vertrauensverhältnis zu Seehofer nach eigenen Angaben noch nicht beschädigt. Bundeskanzlerin und Bundesinnenminister seien nach wie vor gesprächsfähig, sagt sie. Ein paar Minuten später stellt sie jedoch klar: Es sei eine "Frage der Richtlinienkompetenz", Flüchtlinge zurückzuweisen. Seehofer sagt darauf angesprochen: "Mir gegenüber hat sie mit der Richtlinienkompetenz nicht gewedelt. Das wäre auch unüblich zwischen zwei Parteivorsitzenden." Auf eine mögliche Entlassung angesprochen, sagt Seehofer: "Darüber rede ich heute nicht. Step by step."

Quelle: ntv.de

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