Politik

Israel und die Hisbollah-Miliz Im schlimmsten Fall droht ein Flächenbrand

Eine Einheit der israelischen Armee feuert von den Golanhöhen aus in Richtung Libanon.

Eine Einheit der israelischen Armee feuert von den Golanhöhen aus in Richtung Libanon.

(Foto: picture alliance/dpa/XinHua)

Seit Jahren schon liefern sich Israel und der Iran einen "Schattenkrieg", der längst ans Tageslicht geraten ist. Die jüngste Eskalation: Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel.

Als die schiitische Hisbollah-Miliz vor einer Woche 19 Raketen vom Libanon aus auf Israel abgefeuert hatte, war dies der heftigste Angriff der vom Iran finanzierten Organisation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006. Dies sei eine Reaktion auf die jüngsten israelischen Luftangriffe im Libanon, hieß es vonseiten der Hisbollah. Dass die Raketen nur offenes Gelände trafen, sei ein Hinweis darauf, dass Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah keine Eskalation, sondern nur ein Zeichen setzen wolle, erklärte die israelische Armee.

Doch das kann so nicht ganz stimmen. Denn das israelische Raketenabwehrsystem "Iron Dome" hatte zehn Raketen abgeschossen. Und das System reagiert nur auf Flugbahnen, die bewohntes Gebiet zum Ziel haben. Die Hisbollah wollte offensichtlich mehr als nur "ein Zeichen setzen". Aber warum?

In den vergangenen Wochen ist es immer wieder zu vereinzelten Raketenangriffen von libanesischer Seite gekommen. Nahe der Grenze zu Israel befinden sich palästinensische Gruppen, die in letzter Zeit immer häufiger versuchen, den jüdischen Staat zu provozieren. Israels Armee reagierte jedes Mal mit Artillerie-Beschuss oder Luftangriffen. Die Strategen der Armee gingen davon aus, dass die Hisbollah die Grenze möglicherweise nicht mehr wirklich unter Kontrolle oder freiwillig aufgegeben habe.

Ein Krieg mit Israel käme der Hisbollah möglicherweise gerade recht

Denn im Libanon herrscht Chaos, die Wirtschaft droht zu kollabieren, das libanesische Pfund hat auf dem Schwarzmarkt rund 90 Prozent seines Wertes verloren. Es gibt kein Öl, kein Benzin, der Staat muss Zwangsmaßnahmen zur Rationierung von Energie durchführen, es gibt nur noch fünf Stunden Strom am Tag. Unklar ist, was genau das für die Machtposition der Hisbollah im Libanon bedeutet. Einige israelische Experten sind der Ansicht, die schiitische Organisation könne es sich nicht leisten, angesichts solcher Nöte den Libanon in eine ernsthafte militärische Auseinandersetzung mit Israel zu manövrieren, ihre Macht schwinde.

Andere befürchten jedoch, die Krise könnte der Hisbollah helfen, ihren Einfluss im Lande auszuweiten. Insofern sei der Raketenangriff ein klares Signal nach Jerusalem und nach Beirut gewesen. Ein Krieg mit Israel käme der Schiiten-Miliz möglicherweise recht, sie versuche gerade die Reaktion der neuen israelischen Regierung Bennett auszutesten.

Die Entscheidung für oder gegen Krieg wird allerdings nicht von Hassan Nasrallah, sondern in Teheran gefällt. Doch auch da stehen die Zeichen auf Sturm. Schon lange liefern sich Israel und der Iran einen sogenannten "Schattenkrieg", der längst ans Tageslicht geraten ist. Israelische Luftangriffe in Syrien sind inzwischen Alltag geworden. Israel versucht zu verhindern, dass der Iran seine Stellungen dort immer weiter in Richtung der israelischen Grenze ausbaut. Ganz grundsätzlich soll verhindert werden, dass der Iran gemeinsam mit der Hisbollah und anderen Milizen an seiner Nordgrenze zur existentiellen Bedrohung wird.

Der Iran ist einer Bombe näher als je zuvor

Auch Cyber-Attacken beider Länder werden immer häufiger publik, geheimdienstliche Aktionen des Mossad gegen das Nuklearprogramm der Iraner gehören seit Jahren ebenso zu diesem "Schattenkrieg" wie seit einiger Zeit auch gegenseitige Angriffe auf Schiffe und Tanker. Zuletzt unterlief dem Iran dabei ein strategischer Fehler. Das Regime befahl den Angriff mit Drohen auf einen mit Israel assoziierten Öltanker in der Nähe von Oman. Dabei wurden ein rumänisches und ein britisches Besatzungsmitglied der "MT Mercer Street" getötet. Israel, die USA und europäische Staaten erklärten, es gäbe Beweise, dass der Angriff von den Iranern durchgeführt wurde. Israel und die USA behalten sich vor, zu einem für sie günstigem Zeitpunkt militärisch oder geheimdienstlich zurückzuschlagen.

Dass die militärischen Schläge und Gegenschläge zwischen Iran und Israel eine neue Eskalationsstufe erreicht haben, hat viel mit den stockenden Verhandlungen um das Atomabkommen in Wien zu tun. Der 2015 unterschriebene JCPOA-Deal, der die nukleare Aufrüstung Irans beenden und kontrollieren sollte, wurde 2018 von US-Präsident Donald Trump auf Druck des damaligen israelischen Premiers Benjamin Netanjahu aufgekündigt. Netanjahu hatte das Abkommen stets kritisiert. Es würde keine echte Kontrolle des Nuklearprogramms garantieren, es gäbe eingefrorene Konten frei, mit denen die Mullahs ihre "Stellvertreter" in der arabischen Welt aufrüsten könnten, darunter die Hisbollah, aber auch die palästinensische Hamas, den Islamischen Jihad und viele andere. Last but not least: Das Abkommen berühre nicht das Raketenprogramm des Iran. Die Entwicklung von ballistischen Raketen, die eines Tages atomare Sprengköpfe nach Tel Aviv und sogar bis nach Europa tragen könnten, gehe trotz des JCPOA voran.

Netanjahu hatte mit seiner Kritik nicht Unrecht. Doch der amerikanische Ausstieg aus dem Abkommen führte lediglich dazu, dass sich auch Teheran immer weniger an das Abkommen gebunden fühlte, das von Russland, China und der EU irgendwie verzweifelt aufrecht gehalten wurde. Inzwischen sind die Iraner einer Bombe näher als je zuvor. Und sie machen immerzu weiter, um US-Präsident Joe Biden zu zwingen, ihren Forderungen entgegenzukommen. Den Wiedereinstieg ins JCPOA will sich Teheran teuer bezahlen lassen.

Tatsächlich stocken die Verhandlungen in Wien seit einigen Wochen. Das iranische Regime erklärte, man wolle erst nach der Vereidigung des neuen Präsidenten Ebrahim Raisi weiterverhandeln. Raisi ist ultrakonservativ, er wird als "Schlächter von Teheran" bezeichnet, weil er für mehr als 5000 Todesurteile gegen Regimegegner mitverantwortlich gemacht wird. Menschenrechtsorganisationen und Sonderberichterstatter der UN werfen ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Im schlimmsten Fall droht ein Flächenbrand

So erwarten die USA, dass die Gespräche in Wien noch schwieriger werden als schon bisher und möglicherweise sogar ganz scheitern könnten. Israel aber will eine Nuklearmacht Iran nicht dulden. Der kleine Staat sieht seine Existenz in Gefahr, sollte Teheran die Bombe haben. Notfalls können man militärisch auch allein vorgehen, erklärten sowohl der neue israelische Premier Naftali Bennett als auch sein Verteidigungsminister Benny Gantz in diesen Tagen.

Raisi hasst Israel und will allein schon aus islamistisch-ideologischen Gründen "die Zionisten" vernichten. Die Gefahr also, dass die Lage aus dem Ruder laufen könnte, ist groß. Gegenseitige Vergeltungsaktionen für immer neue Angriffe könnten rasch dazu führen, dass beide Seiten die Reaktion des jeweils anderen falsch einschätzen. Ein iranisch-israelischer Krieg wäre für die gesamte Region fatal. Die Hisbollah verfügt über rund 140.000 Raketen, die ganz Israel treffen können. Die Israelis müssten also mit ihrer Luftwaffe schnell und hart reagieren, um das Bombardement des eigenen Territoriums so rasch wie möglich zu beenden. Die Zahl ziviler Opfer wäre wohl unglaublich hoch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde Teheran auch der Hamas und dem Islamischen Jihad in Gaza das "Go" geben, um Israel in einen Zwei-Fronten-Krieg zu treiben. Israel aber dürfte im Falle eines solchen Krieges wohl auch gezielte Schläge gegen den Iran selbst ausführen. Premier Bennett hat schon früher erklärt, dass das Regime in Teheran sich im Klaren sein müsste, dass es im Falle eines Krieges mit den "Proxies", den iranischen Stellvertretern, nicht ungeschoren davonkäme.

Im schlimmsten Fall droht ein Flächenbrand, in den auch Saudi-Arabien und andere arabische Staaten hineingezogen werden könnten. Im Augenblick ist nur eins sicher: Israel wird für den Drohnenangriff auf den Öltanker Vergeltung ausüben. Und dann wird man sehen müssen, wie es weitergehen wird in diesem "Schattenkrieg", der in den israelischen Medien längst als "Krieg zwischen den Kriegen" bezeichnet wird.

Quelle: ntv.de

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