Politik

Endlich wieder Atom-Streit Der Widersacher im eigenen Bett reizt die Grünen

319307918.jpg

Haben gemeinsame Auftritte, aber kein gemeinsames Auftreten: Lindner und Habeck.

(Foto: picture alliance / photothek)

Erstmals treffen sich die Grünen wieder zu einem Parteitag in Präsenz. Ausgerechnet der eigene Koalitionspartner beschert ein Streitthema, das die Grünen-Gemüter bewegt wie kein zweites. Das Verrückte: Der Bundeswirtschaftsminister wird für die Atomstromnutzung über 2023 hinaus werben müssen.

800 Delegierte und mehr als 1000 angemeldete Gäste kommen von Freitag bis Sonntag zur Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn zusammen. So heißen bei den Grünen die Bundesparteitage, und es ist das erste Mal seit 2019, dass dieser in Präsenz stattfinden kann. Es wird also absehbar ein großes Hallo geben, wenn Parteifreunde sich zum Teil erstmals nach drei Jahren wieder persönlich sehen. Und noch etwas wird ganz wie früher sein: Es wird wieder um die Atomkraft gestritten. Doch diesmal ist die Lage diffuser: Denn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird gemeinsam mit der Parteispitze für eine von ihm ersonnene Idee werben: die zwei verbliebenen Atomkraftwerke in Süddeutschland nach dem Jahreswechsel weiter nutzen zu dürfen.

Habecks Plan sieht vor, die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 in eine Einsatzreserve zu überführen, damit sie auch nach dem Jahreswechsel für den Notfall zur Verfügung stehen. Dass dieser Notfall mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird, liegt auch an den massiven Problemen Frankreichs mit seinen nicht einsatzbereiten Kernkraftwerken. Also gerade weil das französische Beispiel das grüne Weltbild von der unzuverlässigen Atomkraft bestätigt, soll Deutschland über den für Ende 2022 terminierten Atomausstieg hinaus Brennstäbe verstromen. Und es geht noch eine Nummer komplizierter: Wenn die Delegierten am Freitagabend den entsprechenden Dringlichkeitsantrag abnicken sollen, muss Habeck sie davon überzeugen, dass die Fortnutzung wirklich nur auf diese beiden AKW beschränkt ist und das Kapitel Atomkraft in Deutschland im Frühjahr 2023 unwiderruflich endet.

FDP sorgt nach Niedersachsenwahl für Krach

Nun ist das Vertrauen der Partei in ihren Wirtschafts- und Klimaschutzminister immer noch hoch. Auch wenn sich viele Grüne daran reiben, dass Habeck im Gegenzug für einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle im Jahr 2030 RWE den Abriss der Siedlung Lützerath zur Braunkohleförderung erlaubt hat. Aber das Vertrauen in die Ampelregierung insgesamt, die die Grünen im Herbst und Winter noch mit viel Enthusiasmus angegangen sind, ist erheblich gesunken - insbesondere in den Koalitionspartner FDP. Dieser hat am Montag nach dem Rauswurf aus dem niedersächsischen Landtag mit Verve die Forderung erhoben, auch das dritte derzeit noch laufende AKW Emsland in die Einsatzreserve zu überführen.

"Bitte umdenken", lautet die freundliche Reaktion der Grünen in offiziellen Reaktionen. "Verrat!" und "Irrsinn", poltern Spitzenvertreter der Grünen dagegen abseits von Kameras und Mikrofonen. Auch von einer "roten Linie" ist da die Rede. Im auch mit Habeck abgestimmten Dringlichkeitsantrag zum Streckbetrieb heißt es schlicht: "Entscheidend ist für uns, dass keine neuen Brennelemente beschafft werden. Sie sind für eine Einsatzreserve nicht erforderlich; neuer, gefährlicher Atommüll wird nicht produziert. (...) Das AKW Emsland wird zum 1. Januar 2023 endgültig abgeschaltet und zurückgebaut... Für uns ist klar: Der Atomausstieg bleibt (...)."

Maximales Misstrauen zwischen Habeck und Lindner

Wie könnte Habeck hinter diese Linie noch zurücktreten, zumal auch die SPD bislang kein Wackeln in dieser Frage zu erkennen gibt? Ein nicht offizielles Krisentreffen zwischen Habeck, Finanzminister Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag verlief dem Vernehmen nach ergebnislos. Sachlich spricht für ein Emsland-Aus, dass die dortigen Brennstäbe nach offizieller Verlautbarung jetzt schon so gut wie abgebrannt sind und selbst im Streckbetrieb nach Jahreswechsel kaum noch einen Beitrag leisten könnten - schon gar nicht zur Netzstabilität, denn die ist im Norden Deutschlands nicht gefährdet. Das FDP-Argument, jedes Kilowatt Strom, das nicht aus teurem Gas entsteht, nehme Preisdruck aus dem Markt, zieht eher nicht angesichts des reduzierten und zeitlich eng begrenzten Beitrags, den das AKW Emsland über Silvester hinaus leisten kann.

"Das ist nicht Politik, sondern Physik", bekräftigte dagegen Lindner noch am Dienstagabend seine Forderung nach weiteren Schritten zur Sicherung der Stromversorgung im kommenden Winter. Das ist schon ein maximaler Misstrauensbeweis. Lindner ist Finanzminister, meint es aber besser zu wissen, als der für das Thema zuständige Ressortkollege Habeck, der ja eigens im September Ergebnisse eines Stresstests der Netzbetreiber vorgelegt hatte, um seine Idee einer AKW-Einsatzreserve zu begründen. Wenn Habeck sagt, Emsland brauche es nicht, und Lindner sagt, Habeck entscheide allein ideologisch und parteitaktisch, ist mindestens einer der beiden unaufrichtig.

Grüne und Bundeswirtschaftsministerium werfen Lindner vor, seine angeblich zugesagte Unterschrift unter einen Gesetzentwurf zu verweigern, was die Einsatzreserve als ganze gefährde, weil die Betreiber von Isar 2 und Neckarwestheim 2 die Einsatzreserve möglichst bald vorbereiten müssten. Lindner könne demnach die AKW-Nutzung über den Jahreswechsel hinaus durch die auftretenden Verzögerungen verunmöglichen. Doch der FDP-Chef glaubt dieser Darstellung nicht. Wie gesagt: Das Misstrauen innerhalb der Ampel ist groß. Und so reibt man sich in der Ampel mehr am Widersacher im eigenen Bett, statt an der Opposition. Darin ähnelt das noch nicht einmal ein Jahr alte Dreierbündnis erstaunlich früh der Großen Koalition, von deren Zerstrittenheit die Regierungsparteien sich doch eigentlich hatten unterscheiden wollen.

Für Atomkraft stimmen, um Atomkraft abzuschaffen ...

Dabei ist zumindest die von FDP und SPD gestreute Erzählung fraglich, wonach es für Habeck taktisch einfacher sei, den Parteitagsdelegierten am Wochenende den Streckbetrieb von zwei statt drei AKW zu verkaufen. Zumindest die Überzeugungstäter unter den Grünen fordern mit eigenen Anträgen, am unbedingten Atomausstieg zum Jahreswechsel festzuhalten. Ein Erfolg dieser Anträge zeichnet sich nicht ab. Die angesichts ihrer ungebrochen guten Umfragewerte selbstbewusste Partei hätte wohl auch noch die dritte Kröte Emsland geschluckt, wenn ihr "Robert" sie darum gebeten hätte.

In der neuen Konstellation seit der Niedersachsenwahl aber bedeutet ein Votum für den Dringlichkeitsantrag zum Streckbetrieb, Habeck den Rücken gegen Lindners Forderungen nach mehr Atomkraft zu stärken. Für Atomkraft stimmen, um sie im Frühjahr 2023 dann aber wirklich zu Grabe zu tragen: So lautet das Versprechen, mit dem der reine Themen-Parteitag ohne Personalwahlen einen ordentlichen Tusch zum Auftakt bekommt. Habeck wird es Lindner danken, wenn auch nicht in Hörweite des Chef-Liberalen. Die beiden, so heißt es, reden ja praktisch nicht miteinander.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen