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Rechtsruck senkt Frauenanteil Der neue Bundestag ist eine Katastrophe in Zahlen

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Von insgesamt 630 Abgeordneten sind im neuen Bundestag 204 Frauen und 426 Männer.

Von insgesamt 630 Abgeordneten sind im neuen Bundestag 204 Frauen und 426 Männer.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Vor allem junge Frauen haben bei den Wahlen einen Rechtsruck abgemildert. Trotzdem ist die Hälfte der Bevölkerung im neuen Bundestag mit weniger als einem Drittel vertreten. Das liegt vor allem an zwei Parteien.

Sechs Männer im Anzug sitzen breitbeinig an einem Tisch und grinsen selbstzufrieden in die Kamera. Auf dem gedeckten Konferenztisch stehen in der Mitte drei Frühstücksplatten mit Obst, Käse und gerollten Wurstscheiben, daneben kleine Gläser mit Orangensaft und ein Rondell mit Cola-Flaschen. Was auf den ersten Blick aussieht wie der Vorstand eines Dax-Unternehmens in den 1990ern, ist die Parteispitze von CDU und CSU, die darüber berät, wie es in der neuen Bundesregierung weitergeht.

"Wir sind bereit für einen Politikwechsel in Deutschland", kommentiert CSU-Chef Markus Söder das Foto auf Instagram. In den Kommentaren hagelt es Kritik: "Au ja, das sieht nach ganz besonders frischem Wind aus" oder "Schade, dass Diversität nicht eingeladen war" und "Keine Frauen in der Union?" schreiben Dutzende von Usern empört. Söder selbst scheint nicht aufgefallen zu sein, in welch ein Fettnäpfchen er damit getreten ist.

Das Foto steht sinnbildlich für das, was bei CDU und CSU schiefläuft. Diversität? Fehlanzeige. Frauenanteil? Weit unter 30 Prozent. Und das hat Auswirkungen auf den Bundestag: Die Union ist mit 208 Sitzen stärkste Fraktion. Der Frauenanteil liegt aber nur bei mickrigen 22,6 Prozent und damit weit unter einem Drittel. Das wirkt sich auf den Frauenanteil im gesamten Bundestag aus: Von insgesamt 630 Abgeordneten sind nur 204 Frauen und 426 Männer. Ihr Anteil liegt bei 32,4 Prozent und damit unter einem Drittel. Er ist zudem um 2,3 Prozentpunkte niedriger als nach der Wahl 2021 (34,7 Prozent). Selbst 2013 waren Frauen mit 36,5 Prozent besser vertreten.

AfD und Union haben deutlichen Männerüberschuss

Der geschrumpfte Frauenanteil im Vergleich zu 2021 liegt aber nicht nur an der Union. Zweitstärkste Kraft mit 152 Sitzen ist die AfD, und obwohl die Partei mit Alice Weidel eine Kanzlerkandidatin gestellt hat, sucht man nach weiblichen Abgeordneten beinahe vergebens. Mit 11,8 Prozent ist ihr Frauenanteil von allen Parteien am niedrigsten. 2021 waren es noch 13,3 Prozent. Auch die Union hat ihren Frauenanteil zur letzten Wahl verringert.

Dabei sind es vor allem junge Frauen gewesen, die einen Rechtsruck bei der diesjährigen Wahl verringert haben. Hat die AfD vor allem von Stimmen junger Männer profitiert, wählten Frauen mehrheitlich links. Nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen haben 17 Prozent der Frauen AfD gewählt und 24 Prozent der Männer. Am deutlichsten wird die Kluft bei den 18- bis 24-Jährigen. In dieser Gruppe haben 15 Prozent der Frauen die AfD gewählt, aber 27 Prozent der Männer. Umgekehrt verhält es sich beim Ergebnis der Linken: Diese erhielt von Frauen bis 24 Jahre 35 Prozent der Stimmen, von Männern gleichen Alters nur 16 Prozent.

Welche Gesellschaft soll das abbilden?

Die ungleichen Verhältnisse haben Auswirkungen auf Entscheidungen, die im Bundestag getroffen werden. Politische Themen wie etwa ungleiche Löhne oder das Abtreibungsrecht betreffen die Lebenswirklichkeit von Frauen. Gerade bei einer schwarz-roten Regierung bildet der Frauenanteil nicht die Verhältnisse der Bevölkerung ab. Die SPD hat mit 41,7 Prozent zwar weitaus mehr weibliche Abgeordnete als die CDU. Mehr Frauen als Männer schaffen aber nur die Grünen (61,2 Prozent) und die Linken (56,2 Prozent).

Zum Vergleich: Deutschland belegt im weltweiten Ranking von Frauen in Parlamenten Platz 47. Zum Zeitpunkt der Erhebung am 1. Februar 2024 der Interparlamentarischen Union IPU lag der Frauenanteil sogar noch deutlich höher bei 35,3 Prozent. In der Europäischen Union führen das schwedische (46,7 Prozent) und das finnische Parlament (46,0 Prozent) die Liste an. Mit der geschrumpften Frauenquote dürfte Deutschland im Ranking abermals nach unten rutschen - ein Armutszeugnis für das bevölkerungsreichste Land der EU.

Wer jetzt den Impuls verspürt, zu rufen: Das ist doch egal, es geht um Kompetenz und nicht ums Geschlecht, dem seien zwei Dinge gesagt. Wer glaubt, dass jeder Mann im Bundestag durch alle Parteien hinweg es nur mit Leistung und Kompetenz dorthin geschafft hat, belügt sich selbst. Selbst Friedrich Merz' Eignung als Kanzler lässt sich bezweifeln, er hat noch nie regiert. Jeder Dorfbürgermeister hat mehr Regierungserfahrung. Und wer glaubt, dass Frauen nicht kompetent genug seien, um mehr als 32 Prozent aller Abgeordneten im Bundestag zu stellen, der ist - man muss das so deutlich sagen - misogyn und spricht ihnen ab, genauso intelligent zu sein wie Männer.

Überraschend ist es allerdings nicht: Die AfD sieht die Rolle der Frau traditionell am heimischen Herd, mit Kindern und in der Pflege der Großeltern und Nachbarn. Die Christdemokraten haben sich - allen voran Söder - gegen alles verschworen, was "woke" sein soll: Feminismus, Gendern, Veganismus, Klimaschutz. Man könnte auch sagen: alles, was mehrheitlich jung und weiblich ist. Scrollt man auf Söders Instagram-Profil weiter, bestätigt sich das Bild. Neben Fotos von Söder selbst findet man sonst nur Bratwürstchen mit Senf und - weitere Männerrunden.

Quelle: ntv.de

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