
Die Abhängigkeit von China zu reduzieren, gibt Wirtschaftsminister Habeck als Ziel aus. Doch so einfach wird das für die deutschen Unternehmen nicht.
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Robert Habeck will die deutsche Wirtschaft zu einer Neuausrichtung weg von China ermutigen. Die angekündigten Unterstützungen kommen gut an. Doch die Unternehmen haben sich längst auf den Weg gemacht, auch wenn der länger sein dürfte als vom Wirtschaftsminister behauptet.
Eine von vielen Herausforderungen des Minister-Daseins ist sicher das glaubhafte Darstellen von Expertise. Robert Habeck ist erst seit einem knappen Jahr Bundeswirtschaftsminister, er war vorher noch nie in Südostasien und doch soll er von Amts wegen den deutschen Unternehmen den künftigen Weg in der Region weisen. Und das tut Habeck vor und während der Asien-Pazifik-Konferenz (APK) in Singapur tatsächlich. Die deutschen Unternehmer könnten die laut vorgetragene Kritik des Grünen-Politikers an ihrer Abhängigkeit von China als Affront werten. Doch bei ihren öffentlichen Auftritten passt auf den ersten Blick kein Blatt zwischen den Minister und die versammelten Spitzenvertreter von deutscher Industrie und Mittelstand. Auf den zweiten Blick aber zeigt sich, dass Habeck eine Richtung vorgibt, die viele Unternehmen ohnehin längst eingeschlagen haben.
Zufällig fällt die traditionsreiche Konferenz in eine Zeit, in der Deutschlands Beziehungen zu China so viel Aufmerksamkeit erfahren wie lange nicht. Erst enttäuschte Staatschef Xi Jinping westliche Hoffnungen, er könne auf Distanz zu Putins Russland gehen, dann ließ er sich vom Volkskongress eine historische Machtfülle erteilen und schließlich musste die Bundesregierung gleich zwei kontroverse Entscheidungen treffen, als sie dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco eine Minderheitenbeteiligung an einem Teil des Hamburger Hafens gestattete, eine Übernahme des Chipherstellers Elmos durch ein aus Peking gelenktes Unternehmen aber ablehnte. Hinzukam ein Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking, in dessen Vorfeld reihenweise prominente Politiker von FDP und Grünen vom Bundeskanzler "Haltung" einforderten.
Und schließlich ist es Habeck, der die Beziehungen zu China weiter prominent platziert: "Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß", sagt er ntv.de auf dem Flug nach Singapur. Er will deshalb Unternehmen Anreize bieten, sich breiter aufzustellen; bei Rohstoffquellen, Produktionsstandorten und Absatzmärkten auch andere Länder in den Blick zu nehmen. Kaum ein geografischer Raum bietet dabei so viele Chancen wie die Länder von Japan bis Australien, von Indien bis zu den Philippinen. Eine vertiefte Kooperation mit etablierten Volkswirtschaften wie Südkorea und Singapur sowie ein verstärktes Engagement in sogenannten emerging markets wie Indien und Indonesien versprechen in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten noch echtes Wachstum.
Was, wenn China den Konflikt mit Taiwan eskaliert?
Als Habeck zusammen mit Siemens-CEO Roland Busch die 17. APK eröffnet, zeigt sich Busch regelrecht enthusiastisch. In der Region seien alle "Mega-Trends" zu beobachten: die Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die fortschreitende Verstädterung, alternde Gesellschaften in Japan und China, die Lokalisierung von Herstellungsprozessen und die rasant fortschreitende Digitalisierung. Für Busch sind das alles Gelegenheiten, die eine innovative Exportwirtschaft wie Deutschland beim Schopf ergreifen müsse. Das mitunter in Deutschland diskutierte Ende der Globalisierung ist in Singapur, Asiens internationalem Wirtschaftshotspot schlechthin, weit weg.

Wirtschaftsminister Habeck und Siemens-CEO Busch: Der Grüne kommt bei den Unternehmern gut an.
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In öffentlichen wie nicht-öffentlichen Runden betonen Busch und Habeck immer wieder, wie nahe beieinander ihre Einschätzungen lägen. Der seiner Biografie nach eher wirtschaftsferne Grünen-Politiker kommt bei vielen Managern auch als Typ gut an, mit seiner "Nicht klagen, machen!"-Attitüde. Man muss deshalb etwas genauer hinhören, um den Widerspruch zum Bundeswirtschaftsminister herauszuhören.
Habecks Misstrauen gegenüber China ist massiv. Peking wolle mit seiner Wirtschaftsstrategie Einfluss auf die kritischen Infrastrukturen und lebensnotwendigen Produkte anderer Länder gewinnen, um machtpolitisch hinzuzugewinnen, warnt Habeck im ntv.de-Interview. Was er nicht ausspricht, die deutsche Regierung aber seit Russlands Überfall auf die Ukraine mehr denn je besorgt: Was passiert eigentlich, falls Peking den Konflikt um das aus seiner Sicht abtrünnige Taiwan eskaliert? Sollte Deutschland ein vergleichbares Sanktionsregime verhängen müssen wie derzeit gegen Russland, die resultierenden Verwerfungen sind nicht seriös zu kalkulieren.
Lockdowns besorgen deutsche Unternehmer
Habeck sagt, ohne das Taiwan-Szenario anzusprechen: "Bräche China als Absatzmarkt weg, wäre das für einige deutsche Branchen nicht verkraftbar." Mit einiger Verve will Habeck deshalb ein Umdenken bei den deutschen Unternehmen anstoßen. "Wir müssen Regeln und Anreize schaffen, die den eingeübten Verlauf von Investitionsentscheidungen in den Unternehmen verändern", sagt Habeck. Das könne in wenigen Jahren Früchte tragen. Busch hat da andere Zeithorizonte im Kopf. Die Abhängigkeit von China zu reduzieren, sei keine Sache von drei bis fünf Jahren, sagt Busch. "Vielleicht sehen wir die ganzen Auswirkungen erst in 20 Jahren."
Sollte dann jemand zurückblicken, wird er oder sie auch nicht zwingend Habeck als maßgeblichen Initiator dieses Wandels nennen. Die Namen Xi, Donald Trump und Biden haben da schon bessere Chancen. Auf der Asien-Pazifik-Konferenz ist jedenfalls nicht die Systemkonkurrenz durch die diktatorische Supermacht das große Thema, sondern wie mühselig es geworden ist, in China Geschäfte zu machen. Das weltweit beispiellos strenge Covid-Regime hat viele westliche Manager aus dem Land getrieben.
Ein Unternehmer klagt in Singapur, er habe seine Fabrik in Sichuan drei Jahre lang nicht mehr persönlich gesehen. Ein China-Experte warnt die Unternehmer und Manager davor, chinesische Niederlassungen vollständig in die Hand von chinesischen Mitarbeiten zu übergeben. Dass der Mikrochip-Zulieferer ARM beinahe seine China-Niederlassung an den dortigen Manager verlor, ist zwar ein Extremfall, aber dennoch mahnendes Beispiel.
Ein anderes Problem sind nicht-tarifäre Hemmnisse, mit denen Xis China westlichen Unternehmen den Marktzugang mehr denn je erschwert. Eigene technologische Standards für den chinesischen Markt sollen gleichermaßen die staatliche Kontrolle über die Bürger aufrechterhalten und chinesische Unternehmen auf dem Weg zur globalen Technologie-Führerschaft, die die KP bis zur Mitte des Jahrhunderts verwirklicht sehen will, unterstützen.
Bruch zu Altmaier gar nicht so groß
Chinesische Vertreter sind wegen des anhaltenden Lockdowns nicht auf der AKP anwesend. Die deutschen Vertreter können offen sprechen, sich mit ihrer China-Kritik aber schlecht in den Medien zitieren lassen. Offene Kritik kann bei Geschäften China schmerzhafte Konsequenzen haben und wirklich weg aus China kann und will die deutsche Wirtschaft sowieso nicht. Als die Unternehmer in Singapur über mögliche Standort-Alternativen für China sprechen, wird schnell deutlich: Kein Land in der Region kann absehbar mit vergleichbarer Qualität in der Produktion aufwarten, geschweige denn mit einer ansatzweise vergleichbaren Dichte an Zulieferern. Politische Stabilität und Rechtssicherheit sind ebenfalls nicht überall gegeben, Systemkonkurrenz zwischen China und den westlichen Demokratien hin oder her.
Mehr als 500 Milliarden Umsatz machen deutsche Unternehmen in Asien, etwas mehr als die Hälfte davon entfällt allein auf die Volksrepublik China. Produktionsprozesse sind eng verknüpft und mehrschichtig. Und auch Habeck weiß, in den kommenden Jahren ist nicht nur die deutsche Wirtschaft von China abhängig, sondern auch die Bundesregierung: Die Transformation hin zu Erneuerbaren Energien wird ohne Rohstoffe, Solarpaneele und Windkraftturbinen aus China nicht binnen weniger Jahre zu stemmen sein, wie sich die Ampel das fest vorgenommen hat. Eine Entkopplung der Wirtschaftsräume wird daher, wenn überhaupt, eher von Peking und Washington vorangetrieben.
Die deutsche und europäische Wirtschaft trifft in Südostasien reihenweise auf Staaten, die die gleichen Sorgen umtreiben. Denn nicht nur bei Buschs "Mega-Trends" gibt es Parallelen zu Deutschland, sondern auch in der Handelspolitik. Die Regierung von Joe Biden hat Trumps konfrontativen Umgang mit China übernommen und weiterentwickelt. US-Sanktionen verbieten die Ausfuhr bestimmter Technologien an China. Zugleich lassen die USA immer weniger chinesische Produkte ins Land, etwa über Fertigungsquoten bei öffentlichen Aufträgen.
Die Bundesregierung betrachtet das kritisch, den guten Beziehungen zu Biden zum Trotz. Die Unternehmen, asiatische wie europäische, stehen immer öfter vor der Frage, welcher Markt ihnen im Zweifel wichtiger ist. Längst zeichnen sich daher neue Allianzen zwischen Südostasien und Europa ab, etwa bei der Schlüsseltechnologie Halbleiter oder auch bei Servern für die Industrie. Die Bundesregierung ist da nicht außen vor, sondern erhob schon unter Peter Altmaier den Anspruch auf eine aktivere europäische Wirtschaftspolitik. Die von Habeck ausgerufene Diversifizierung, die er mit Investitionshilfen und neuen Handelsabkommen vorantreiben will, ist daher gar nicht so neu, wie es angesichts der mitunter leidenschaftlichen Debatte der vergangenen Wochen erscheinen mag. Aber das macht sie ja nicht weniger richtig.
Quelle: ntv.de