Dreikönigstreffen in Stuttgart Die Liberalen suchen ihre Mitte
06.01.2017, 16:56 Uhr
Umfragen sehen die FDP aktuell bei etwa fünf Prozent. Führt Christian Lindner die Partei zurück in den Bundestag?
(Foto: dpa)
Die FDP geht mit einer klaren Botschaft in das Wahljahr 2017: Wir haben zu uns selbst gefunden, nun muss uns nur noch der Wähler finden. Parteichef Lindner gibt die Linie vor: weniger Political Correctness und "ein bisschen mehr Political Coolness".
Seit 1971 besitzt Wolfgang Kubicki ein FDP-Parteibuch. Das traditionelle Dreikönigstreffen schwänzte der Parteivize dennoch jedes Mal. Doch dieses Jahr ist ein besonderes Jahr: Die Freien Demokraten planen das große Comeback im Bundestag - und üben sich in Stuttgart an ihrem neuen Mantra: Mut und Bescheidenheit. Auch Kubicki stimmt sich ein. "Ich bin ja dankbar dafür, dass ich das Vorprogramm von Christian Lindner sein darf", frotzelt der 64-Jährige nach seiner Rede im Stuttgarter Opernhaus. Lindner, der Hoffnungsträger der FDP, könnte sein Sohn sein. Der Parteichef hat sich betont lässig auf seinem weißen Sessel drapiert, während er seinem Vorredner zuhört. Als er dann aufsteht, brandet Applaus auf.
"Lieber Wolfgang", stichelt Lindner in Kubickis Richtung. "Mit deinem Auftritt hier ist die Integration in die FDP erfolgreich abgeschlossen." Es folgt höfliches Gelächter. In dem scherzhaften Seitenhieb steckt aber auch eine Menge Wahrheit. Denn Kubicki galt früher noch als Querulant in der Partei. Heute ist er deren Aufbauhelfer. Nach dem Wahldebakel im Jahr 2013, als die Partei krachend aus dem Bundestag flog, dürfte sich so manch ein Liberaler gefragt haben, wo die FDP politisch eigentlich steht. Christian Lindner will in den Jahren der Einkehr eine Antwort auf diese Frage gefunden haben: In der "vernünftigen" Mitte. Aktuell, so der Parteichef, sei das so ziemlich die "unbequemste Position" - aber die Partei will sich laut Lindner nicht von Populisten treiben lassen.
Lindner wirbt für "das große Du"
Genau dies wirft er in seiner Rede sowohl den Regierungs- als auch den Oppositionsparteien vor. "Überall wird mit Angst Politik gemacht", beklagt Lindner. Die AfD als "Dunkelkammer der Politik" habe daraus ein Geschäft gemacht. In den aktuellen Debatten werde nur noch über "die Ränder der Gesellschaft gesprochen - über Flüchtlinge und Superreiche". Dies habe dazu geführt, dass kaum noch über Themen der "Mitte" diskutiert werde. Besonders der Kanzlerin wirft Lindner vor, in ihrer "Wir schaffen das"-Politik spiele der Einzelne keine Rolle mehr. Die FDP hingegen vertrete "das große Du" statt ein gleichmachendes "Wir". Mehr Mut zum Individualismus - auch das ist eine Botschaft des Dreikönigstreffens.
Damit versucht sich die Partei allerdings an einer schwierigen Gratwanderung: Die Liberalen sprechen den Einzelnen an und zielen gleichzeitig auf die vielbeschworene Mitte. Doch was will die? Lindner wagt in seiner Rede eine Einschätzung: Die Mitte wolle "einen Staat, der sie im Alltag in Ruhe lässt, und bei großen Problemen nicht im Stich". Diesen Staat wolle man ihr zurückgeben. Als Beispiel einer Gängelung des Bürgers führt er das Verbot von Tabak- und sexualisierter Werbung an. Ein Staat dürfe sich nicht als Erziehungsberechtigter gerieren, so Lindner. Die Verantwortung der Politik sei vielmehr, über langfristige Maßnahmen den Wohlstand zu sichern. Andrea Nahles' Rentenreform sei da eher eine "Drohung".
"Wählen Sie mal was Vernünftiges!"
Lindner spricht auch über Steuersenkungen, mehr Investitionen in Forschung und digitale Infrastruktur, weniger Abgaben und mehr Geld für Bildung - das sind nicht gerade neue liberale Standpunkte. Und sie dürften den kommenden Bundestagswahlkampf eher am Rande bestimmen. Obwohl die Liberalen eigene Akzente setzen wollen, kommt Lindner um die teils fiebrig geführte Sicherheitsdebatte nicht herum. Dass die innere Sicherheit nicht gerade als eine Kernkompetenz der FDP gilt, werten viele als mögliches Problem im bevorstehenden Wahlkampf. Lindner sieht das anders. Er benennt klare Positionen: Ja zu mehr Personal für die Polizeibehörden. Nein zur Ausweitung der Videoüberwachung. Und statt Political Correctness "ein bisschen mehr Political Coolness".
Das Bemühen, den Druck aus der Sicherheitsdebatte zu nehmen, gelingt sicher leichter, wenn man nicht aktiv am politischen Handeln teilhat. Doch Lindner sieht seine Partei als Gegenpol der populistischen Rechten - und will dies auch im Bundestag sein. Nicht nur Deutschland, ganz Europa brauche "einen Neustart", erklärt der 37-Jährige. "Mit den Reformkräften der Mitte." Reform - das heißt für die Liberalen aber auch: zurück zum Status quo vor der Flüchtlingskrise. Zurück zum Dublin-Abkommen. Und zurück zum Schengen-System. Statt auf nationale Abschottung setzen die Liberalen auf Stabilität. "Wenn Sie glauben, dass die Welt verrückt geworden ist", sagt Lindner am Ende seiner Rede, "dann können Sie ja mal wieder was Vernünftiges wählen."
Quelle: ntv.de