Kurswechsel kurz vor der Wahl? Die Linke erwägt Auslandseinsätze
19.09.2021, 15:28 Uhr
Linken-Spitzenkandidat Bartsch und Parteigröße Gysi skizzieren, wie eine Kompromisslinie bei Auslandseinsätzen aussehen könnte.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Die Linke ist traditionell strikt gegen Auslandseinsätze. Eine kürzliche Abstimmung zur Ortskräfte-Evakuierung aus Afghanistan zeigt, dass ein generelles Nein für die Partei wohl nicht mehr funktioniert. Spitzenkandidat Bartsch deutet nun eine Kursanpassung bei diesem Grundsatzthema an.
Der pragmatischere Teil der Linkspartei bereitet sich darauf vor, SPD und Grünen in der Verteidigungspolitik entgegenzukommen, um ein rot-grün-rotes Bündnis möglich zu machen. Dietmar Bartsch, einer von zwei Spitzenpersonen im Wahlkampf, hat dafür das absolute Nein seiner Partei zu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr relativiert. Der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte er, bei eventuellen Verhandlungen werde man "über jeden Auslandseinsatz im Einzelnen entscheiden müssen", um dann "in einem Koalitionsvertrag klare Vereinbarungen" zu treffen.
Ähnlich äußerte sich der frühere Vorsitzende der Linken-Vorgängerpartei PDS, Gregor Gysi. Er erläuterte, wo Kompromisslinien liegen könnten, und sagte, man könne "über Blauhelmeinsätze im eigentlichen Sinn diskutieren", das heißt über Entsendungen "ohne Schießbefehl und nur zur Konfliktverhütung".
Die Spitzenpolitiker der Linkspartei signalisieren damit eine Woche vor der Bundestagswahl Kompromissbereitschaft beim Thema Auslandseinsätze. Bisher war die Partei strikt gegen Auslandseinsätze. So heißt es in einem Themenpapier der Linken-Fraktion im Bundestag, das wenige Tage vor der vergangenen Bundestagswahl veröffentlicht wurde, noch: "Im Endeffekt werden Soldaten immer als Besatzer gesehen, und nicht als Brunnenbauer oder Entwicklungshelfer. Die Linke fordert daher den Abzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen."
Abstimmung zur Ortskräfte-Evakuierung
Dementsprechend war die Antwort der Linksfraktion bei Abstimmungen im Bundestag traditionell ein "Nein". Bei einer Sondersitzung des Bundestags zur Evakuierungsmission in Afghanistan Ende August dieses Jahres enthielt sich dann ein Großteil der Abgeordneten der Linken. Einige stimmten sogar mit "Ja" und damit für den Einsatz der Bundeswehr.
Eine Erklärung lieferte die zweite Spitzenkandidatin der Linken neben Bartsch, Janine Wissler, die selbst nicht im Bundestag sitzt: "Für uns wäre entscheidend, dass wirklich alle Ortskräfte gerettet werden, und zwar mit ihren Familien. Deshalb haben wir im Parteivorstand gesagt: Wir halten eine Enthaltung für richtig. Das heißt: keine Blockade, kein Nein zur Rettung. Wir wollen die Menschen retten, aber die Bundesregierung setzt das katastrophal um."
Nach der Abstimmung kam scharfe Kritik aus anderen Parteien, die sich beim Thema der Ortskräfte-Evakuierung wohl mehr als eine mehrheitliche Enthaltung der Abgeordneten der Linken erwartet hatten. FDP-Chef Lindner wollte von den Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen, Scholz und Baerbock, hören, "dass mit einer Linkspartei kein Staat zu machen ist". Ein Signal, dass eine angepasste Haltung der Linken beim Thema Auslandseinsätze möglich ist, kommt nun von Bartsch und Gysi wenige Tage vor der Bundestagswahl.
Quelle: ntv.de, mpe