Politik

FDP-Mann Faber nach Ukraine-Trip "Die Prügel der Russen ertrug er, die Stromstöße nicht"

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In Cherson schlagen fast minütlich Raketen, Artilleriegeschosse oder Granaten ein, so Faber. Der Flughafen der Stadt wurde bereits zerstört.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber setzt sich vehement für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Gerade ist das Mitglied des Verteidigungsausschusses von einer neuntägigen Reise durch das Land zurückgekehrt. Er erzählt von Begegnungen mit Ärzten in bombardierten Krankenhäusern, Folteropfern und einer manchmal überraschend guten Stimmung.

ntv.de: Sie waren neun Tage in der Ukraine, zum zweiten Mal nach einer ähnlichen Reise im vergangenen Sommer. Jetzt ist Winter und der Krieg tobt bereits ein halbes Jahr länger. Wie haben Sie das Land erlebt?

Marcus Faber: Das war sehr unterschiedlich. Ich habe in Kiew mit Politikern gesprochen, war aber auch bei einer Panzertruppe im Wald bei Kupiansk ganz im Osten. Dann Cherson am Dnepr, das permanent unter Beschuss steht und nur zwei Kilometer entfernt von der nächsten russischen Stellung liegt. Dort hat mir ein Mann die Zelle gezeigt, in der er wochenlang gefoltert wurde. Oder die Menschen, die in Dörfern bei Saporischschja unter permanentem Artilleriebeschuss leben und trotzdem nicht weg wollen. An einem Massengrab mit 350 Toten in Lyman wurde mir erklärt, wie die Ukrainer mit DNA-Proben versuchen, die Opfer zu identifizieren.

Hat sich die Stimmung im Vergleich zum vergangenen August geändert?

Die Stimmung ist noch genauso entschlossen wie im Sommer, aber rationaler. Im August gab es eher eine Aufbruchstimmung, verbunden mit großer Entschlossenheit. Die ist zwar noch da, aber sie kommt jetzt eher über den Kopf. Man ist sich immer noch sicher, dass man den Krieg gewinnen wird. Man fragt sich nun aber, wie und wie schnell das gehen könnte. Es gibt viele Sorgen: Gibt es genug Munition und Panzer? Kommt man durch den Winter? Was ist mit den Menschen in den Gebieten, die beschossen werden?

Heißt das, der Optimismus lässt nach?

Nein, der ist nach wie vor da. Nur aus diesem ersten emotionalen Aufbruch ist eher eine rationale Prozesssteuerung geworden. Das ist, glaube ich, eine gesunde Haltung. Wir in Deutschland können mit dieser Haltung auch besser arbeiten. Das ist für uns einfacher zu verstehen. Dieses Gefühl des Überfallenwerdens, dieses Sich-wehren-müssen war aus der deutschen Perspektive schwerer nachvollziehbar.

Wieso? Das war doch eigentlich sehr gut nachvollziehbar.

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Faber zu Besuch bei Panzerfahrern in Kupiansk.

(Foto: Faber)

Ja, für mich auch. Aber viele Menschen in Deutschland haben zum Glück noch nicht erleben müssen, wenn dreimal am Tag Luftalarm ist, weil Raketen und Kamikazedrohnen im Anflug sind. Oder wenn Artilleriegeschosse in der eigenen Stadt einschlagen. Das macht etwas mit einem. Und dieses Gefühl konnte man schwerer vermitteln. Jetzt wird rationaler argumentiert. Angefangen bei den Kriegsverbrechen bis hin zur militärischen Notwendigkeit, Russland aufzuhalten.

Seit Wochen und Monaten versucht Russland, Strom- und Wärmekraftwerke zu zerstören. Zermürbt das die Menschen?

Ich glaube, es gab im Dezember einen Punkt, an dem auch in vielen Großstädten der Strom länger ausgefallen war und die Leute sich fragten, ob das den ganzen Winter so bleibt. Jetzt ist die Stromversorgung in weiten Landesteilen stabilisiert. Auch dadurch, dass die Russen nicht mehr genug Raketen und Kamikazedrohnen haben und die Ukrainer ihr Stromnetz sehr effizient reparieren. Dadurch ist die Stimmung sehr gut und man geht eher sportlich, fast sogar humorvoll damit um, wenn mal kurzfristig der Strom ausfällt. Viele Geschäfte haben sich Generatoren angeschafft. Es gehört nun dazu, dass auf dem Gehweg vor einem Laden ein Dieselgenerator vor sich hin brummt. Ob die Stimmung so bleibt, hängt natürlich auch davon ab, ob wir deutsche Ersatzteile für das Stromnetz liefern können und ob man die Luftverteidigung weiter stärkt. Cherson im Süden des Landes war bis vor wenigen Monaten von den Russen besetzt. Noch immer wird dort gekämpft.

Wie haben Sie die Stadt erlebt?

Die Russen stehen auf der anderen Seite des Dnepr, das sind wenige hundert Meter. Da fliegen nicht nur Raketen- und Artilleriegeschosse in die Stadt, sondern auch Mörsergranaten. Und das alle zwei bis drei Minuten. Am Flusslauf gibt es zudem Scharfschützen, die auf Menschen schießen. In einer Stadt, die mal 300.000 Einwohner hatte und jetzt vielleicht noch 70.000. Trotzdem gibt es dort ein geschäftiges Treiben, die Menschen versuchen, sich einzurichten, fegen das Laub von der Straße. Der Gouverneur versucht, die Abfallversorgung oder die Ambulanz wieder aufzubauen. Das alles, während die russischen Streitkräfte ein paar hundert Meter weiter stehen und die Stadt minütlich bombardieren.

Wie kann man als Gouverneur da überhaupt regieren?

Der Gouverneur Jaroslaw Januschewitsch hat sich im Keller seines Verwaltungsgebäudes eingerichtet, mit vielleicht 40 Mitarbeitern. Das hat Bunker-Atmosphäre, aber im positiven Sinne. Es geht dort sehr geschäftig zu. Er will die Stadt wieder aufbauen, die Menschen schützen. Er will kleine Schutzbunker in der Stadt bauen. Er sucht Fahrzeuge, weil die Russen viele gestohlen haben. Der Wunsch, die Stadt wieder auf die Beine zu bringen, treibt ihn an. Das hat mich sehr beeindruckt.

Sie waren auch in einem Kinderkrankenhaus, das über den Jahreswechsel bombardiert wurde.

Es ist noch zur Hälfte nutzbar. Eines der beiden Gebäude ist so zerstört, dass es nicht mehr zu gebrauchen ist. Die Kinder waren vor dem Angriff glücklicherweise in das andere Gebäude verlegt worden, sonst hätte die Bombardierung dramatisch ausgehen können. Eine Ärztin dort erzählte mir, wie sie verhinderte, dass mehr als 150 Kinder nach Russland verschleppt wurden. Sie täuschte eine Behandlungsnotwendigkeit vor. Ansonsten wären sie wohl in Russland zur Adoption freigegeben worden.

Wie halten die Menschen das aus?

Das mit den Kindern ist ja etwas Positives. Kein Kind in diesem Krankenhaus kam ums Leben oder wurde verschleppt. Mitgenommen hat mich ein Gespräch mit einem Folteropfer. Der Mann ist pensionierter Polizist der Ukraine und ihm wurde vorgeworfen, er habe sich an Demonstrationen und Sabotageakten beteiligt. Er kam in eine Zelle, die für zwei oder drei Personen ausgelegt war. Sie waren aber zu neunt darin. Er hatte Glück, dass er nur zwei Wochen da war, andere waren monatelang dort. Er meinte, die Prügel mit Fäusten und Knüppel hätte er ertragen können. Aber die Stromstöße nicht. Er sagte, ihm seien Elektroden an die Ohrläppchen oder eben auch die Hoden angeschlossen worden. Stundenlang. In der Zelle waren trotz Reinigung noch Blutreste zu sehen. An die Wände hatten die Gefangenen Bibel-Zitate geschrieben. Dass es einen Himmel für jeden gibt.

So ein Mann muss doch unfassbar wütend sein.

Das hat mich überrascht. Der Mann war nicht gebrochen. Er war voller Elan und Lebensmut, voller Lebenswillen. Ich glaube aber nicht, dass es jedem so geht. Allein in der Einrichtung sollen 460 Menschen gewesen sein, in Cherson insgesamt waren es sicher über 1000.

Wie war es bei der Panzereinheit in Kupiansk?

Die fuhren einen alten T64-Panzer, den ihre Großväter schon hätten fahren können. Sie waren sehr stolz auf ihr Gerät, aber es wird immer schwerer, Ersatzteile zu beschaffen. Sie versuchen, das Gerät am Laufen zu halten und sind sehr stolz auf das, was sie erreicht haben. Das sind Soldaten Mitte, Ende 20, die bei minus 15 Grad ihren Dienst tun. Es war beeindruckend, mit welch schlechtem Gerät, aber mit welch hoher Motivation sie kämpfen. Ich habe schon mal in einem "Leopard 2" gesessen, das ist wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Sie fordern auch die Lieferung von "Leopard 2"-Panzern.

Die Ukrainer haben sicher recht, wenn sie sagen, dass sie mit modernen Kampfpanzern wesentlich mehr Gebiete zurückerobern könnten. Für die ist es sehr emotional, weil sie wissen, was die Russen in den besetzten Gebieten tun. Aber solange das nicht da ist, kämpfen sie mit dem, was sie haben.

Reicht nicht erstmal die Lieferung der "Marder"? Ist das Soll nicht wieder erfüllt?

An einer Front von über 1000 Kilometern Länge können die 40 Marder punktuell einen Unterschied machen. Andere Staaten tun zum Glück noch deutlich mehr. Auch Deutschland könnte das. Wir haben bei der Industrie noch 180 "Leopard 1", die fit gemacht werden können. An denen haben die Ukrainer auch großes Interesse. Die würden auch der Bundeswehr nicht fehlen. Die Bundeswehr selbst hat über 300 "Leopard 2". Von denen könnte man der Ukraine einige zur Verfügung stellen. Der "Leopard 2" wurde 1979 in Dienst gestellt. Das ist also nicht die neueste und geheimste Technologie, auch wenn er einige Male aktualisiert wurde. Einige Dutzend würden der Ukraine deutlich weiterhelfen. Andere Staaten würden mitmachen, Polen wäre sofort dabei. Franzosen und Briten wollen auch Panzer liefern. Wir sollten da keinen deutschen Sonderweg gehen.

Kanzler Olaf Scholz sagt doch immer, dass er keine Alleingänge und sich mit den Verbündeten abstimmen wolle.

Dafür ist nun die Gelegenheit. Alle vorgebrachten Argumente der SPD sind ausgeräumt. Ich bin dafür, dass das jetzt koordiniert vonstattengeht. Einige Partnerländer haben ihre Bereitschaft signalisiert, der Ukraine Leopards zu liefern. Da müssen wir jetzt an einem Strang ziehen. Das wäre das genaue Gegenteil von Alleingang.

Mit Marcus Faber sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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