Lehren der Sicherheitskonferenz Die US-Regierung setzt auf Sieg
16.02.2020, 18:15 Uhr
US-Außenminister Mike Pompeo sieht den Westen als Gewinner.
(Foto: picture alliance/dpa)
Wie sehr ist der Westen am Ende? Und wie sieht eine neue Rolle Deutschlands aus? Bei der Sicherheitskonferenz gibt es viele Fragen - und auch ein paar Antworten. Hier die wichtigsten Lehren aus München.
Der Westen kommt sich selbst abhanden
Für Wolfgang Ischinger, den Leiter der Sicherheitskonferenz, und für viele Gäste besteht kein Zweifel. Die Welt wird weniger westlich, und der Westen ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beschreibt das Bündnis, wie ein Arzt einen altersschwachen Patienten: „Wir sind verwundbar und sehr, sehr anfällig", sagte er.
Tatsächlich zeichnet sich eine Schwächung Europas seit Jahren ab, ohne dass Brüssel dem etwas entgegengesetzt hätte: Die strategischen Partnerschaften mit China und Russland führten nicht zu der erhofften Annäherung. Stattdessen verfolgen beide Mächte eine expansive Außenpolitik, setzen ihre direkten Nachbarn unter Druck und scheren sich wenig um Menschenrechte - immerhin ein Kern des westlichen Wertekodexes. Europa selbst befindet sich im Dauer-Krisenmodus. Es spricht nicht mit einer Stimme, während zugleich populistische und antieuropäische Kräfte Aufwind gewinnen. Und die Partnerschaft mit den USA unter Donald Trump ist sichtlich zerrüttet. Für den US-Präsident ist Europa auch schon mal ein „Gegner“, den er nach Belieben mit Strafmaßnahmen überziehen kann.
Die US-Regierung glaubt an den Sieg
Im Gegensatz zu den meisten Gästen der Sicherheitskonferenz versammeln sich die US-Minister in München wenig überraschend hinter Trump und treten gewohnt optimistisch auf. Außenminister Mike Pompeo zeigt gleich zu Anfang, dass er sich auskennt. Wer wissen wolle, wo es hier das beste Bier gebe, solle ihn fragen, sagt er. Dann rechnet er mit den Skeptikern ab: Es habe immer Leute gegeben, die alles schwarz gesehen hätten, sagt er unverhohlen geringschätzig. Zu den Schwarzsehern gehört offenbar auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zuvor die Beziehungen zu den USA beklagt hatten. Ihm hält Pompeo entgegen: "Der Tod der transatlantischen Allianz ist extrem übertrieben". Im Gegenteil: "Der Westen gewinnt, und wir gewinnen gemeinsam."
Wie diese Gemeinsamkeit aussieht, lässt sich bei Pompeo, der streckenweise wie ein Wahlkämpfer klingt, erahnen: im Führen oder Anweisen. Sei es, indem die USA andere Länder auffordern, für den Schutz der Straße von Hormus zu sorgen. Sei es, indem sie laut Pompeo international an der Spitze stehen: beim Sanktionsregime gegen Nordkorea, beim Kampf gegen den IS und - mancher wird es mit Staunen vernommen haben - beim Klimaschutz.
Die Amerikaner und das trojanische Pferd
Auch wenn die Kritik am amerikanischen Desinteresse am Bündnis groß ist: Völlig egal können den USA die Beziehungen nicht sein. Mehr als 40 Senatoren und Abgeordnete sind nach München gekommen, so viele wie lange nicht. Dabei zeigt sich wie schon in den vergangenen Jahren: Die USA bestehen längst nicht nur aus glühenden Trump-Anhängern. Eine der schärfsten Kritikerinnen des Präsidenten, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, erklärte auf dem Podium: Sie seien mit einer großen Delegation gekommen, um - was ja offenbar nötig sein - erneut zu bestätigen, dass sie sich dem Multilateralismus und dem transatlantischen Bündnis stark verpflichtet fühlten. Und sie teilt die Diagnose der meisten europäischen Redner, dass der Zustand der Demokratien im Westen immer unsicherer werde.
Doch bei allen erbitterten Grabenkämpfen zwischen Republikanern und Demokraten eint sie in München eins: ihre Sorge vor Peking, die sich vor allem im Umgang mit dem chinesischen Technologiekonzern Huawei manifestiert. Pompeo spricht von einem "trojanischen Pferd", Verteidigungsminister Mark Esper klingt noch eindringlicher: "Wenn wir die Bedrohung nicht verstehen und deshalb nichts dagegen tun", sagt er, "dann könnte sie letztlich das erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte, die Nato, gefährden." Aber selbst Pelosi ist hier klar: Die Nationen sollten nicht versuchen, ihre digitale Infrastruktur China zu übergeben, sagt sie. Eine Warnung, die auch Trump-Skeptiker im Westen teilen, wie etwa Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Im Interview mit ntv.de nennt auch sie Huawei kurz vor der Münchner Konferenz ein „Sicherheitsrisiko“.
Der Konsens nach dem Konsens
Vor sechs Jahren waren sich der deutsche Präsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin einig. Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Der sogenannte Münchner Konsens gehört inzwischen zum guten Ton deutscher Außenpolitiker. Nur, so beruhigend diese Worte für die westlichen Bündnispartner klingen mochten, zeigten sie mal wieder: Zwischen Theorie und Praxis klafft gelegentlich eine Lücke.
Dies gesteht nun, sechs Jahre später, auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ein. „Wir haben das Versprechen von 2014 noch nicht vollständig eingelöst“, sagt sie im Bayerischen Hof. „Auf den Münchner Konsens der Worte muss ein Münchner Konsens des Handelns werden.“ Und sie macht ein paar Andeutungen, wie dies aussehen könnte: ein robusteres Mandat für die Bundeswehr in der Sahel-Zone, eine möglicher Einsatz in der Straße von Hormus. Doch beides dürfte nicht ganz einfach sein. Aus dem französischen Einsatz in Hormus muss erstmal ein europäischer werden, sonst ist er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Und bei Bundeswehr-Einsätzen im Ausland gilt immer noch der Parlamentsvorbehalt.
Macron wird ungeduldig
Ob Kramp-Karrenbauers Ausführungen Macron reichen, ist fraglich. Zwar ist Frankreichs Präsident ein höflicher Mensch, der zur bislang zögerlichen Haltung Deutschlands nur sagt: "Ich bin kein Mann der Frustration." Früher habe es auch öfter Vorstöße Deutschlands gegeben, die dann keine Reaktionen aus Frankreich erhielten. Und tatsächlich waren die französischen und deutschen Interessen in der Außenpolitik oft gegensätzlich, sei es in der Nahost- oder Afrikapolitik, bei Militäreinsätzen oder Rüstungsexporten. Doch bei aller Höflichkeit kann Macron in München seine Ungeduld nicht verhehlen. Er fordert von Deutschland mehr Schnelligkeit und Ehrgeiz, ansonsten komme Europa nicht voran. Und er fordert mehr Geld für den Haushalt der EU.
Dabei bekommt Macron ausgerechnet von jenen Unterstützung, die in Zukunft vielleicht noch mehr Gewicht in der deutschen Politik haben werden. Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und einer der möglichen Bewerber für den CDU-Vorsitz und das Kanzleramt, kritisiert in München die deutsche Europa-Politik der vergangenen Jahre. Von einem „Aufbruch für Europa“ habe man „nicht so viel gemerkt“, er hätte sich eine „engagiertere und schnellere Antwort auf Macron gewünscht“. Auch Grünen-Chefin Baerbock, die mit Laschet auf der Bühne sitzt und oft einvernehmlich nickt, fordert mehr deutschen Ehrgeiz für Europa. Sie und Ko-Parteichef Robert Habeck traf Macron übrigens in München. Drei Stunden saßen sie zusammen - und erhielten dann eine Einladung nach Paris. Es scheint fast so, als setze Macron nach Jahren vergeblichen Werbens nun auf andere Akteure in Deutschland.
Quelle: ntv.de