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Die Tragödie in Zahlen Die weitaus meisten Ukrainer haben Freunde und Verwandte verloren

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Zwölf Menschen kamen am Dienstag beim russischen Angriff auf eine Pizzeria in Kramatorsk ums Leben.

Zwölf Menschen kamen am Dienstag beim russischen Angriff auf eine Pizzeria in Kramatorsk ums Leben.

(Foto: picture alliance / AA)

Wie viele Ukrainer infolge des russischen Angriffskriegs ihr Leben verloren haben, ist unklar. Eine Umfrage zeigt jedoch, welches Ausmaß die Tragödie haben muss.

Der seit dem 24. Februar 2022 andauernde große russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat für die Menschen dort immense Folgen. Mehr als fünf Millionen Ukrainer sind in anderen europäischen Ländern als Flüchtlinge registriert. Auch ist klar, dass es viele Tote gegeben hat. Allerdings lässt sich die Opferzahl sowohl bei Soldaten als auch bei Zivilisten nicht korrekt einschätzen, zumal die ukrainische Armee nicht veröffentlicht, wie viele Soldaten getötet wurden. Beide Zahlen liegen aber sicher im Bereich von vielen Zehntausenden - wenn man etwa bedenkt, dass allein bei den Kämpfen um Mariupol wohl zehntausende Zivilisten ums Leben gekommen sind, was sich aber wegen der russischen Besatzung nicht eindeutig verifizieren lässt.

Ständig schlagen russische Raketen auch tief im Hinterland ein, immer wieder werden eindeutig zivile Ziele angegriffen. Diese Woche brachte eine neue Tragödie: Russische Iskander-Raketen zerstörten eine beliebte Pizzeria in der Stadt Kramatorsk im Bezirk Donezk. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 60 wurden verletzt. Unter den Toten: zwei 14 Jahre alte Schwestern sowie ein 17-jähriges Mädchen.

Freunde und Kollegen trauern in Kramatorsk um die Toten.

Freunde und Kollegen trauern in Kramatorsk um die Toten.

(Foto: picture alliance / AA)

Nun hat das renommierte Internationale Soziologie-Institut in Kiew eine Studie herausgebracht, die eindrücklich zeigt, wie groß die Tragödie des russischen Angriffs für die Ukraine ist. In einer repräsentativen Stichprobe wurden etwas mehr als 2000 Menschen aus der gesamten Ukraine - abgesehen vom aktuell besetzten Gebiet - gefragt, ob es in ihrem engeren Verwandtschafts- oder Freundeskreis Menschen gibt, die durch den Krieg gestorben sind oder verletzt wurden. Und wenn ja, wie viele.

"Eine tragische Gemeinschaftserfahrung"

Das traurige Ergebnis: 78 Prozent der Befragten haben Freunde und Verwandte, die entweder ums Leben kamen oder verwundet wurden. 64 Prozent kennen zumindest eine Person in ihrem engeren Kreis, die verletzt wurde. Und 63 Prozent haben jemanden, der verstorben ist. Erschreckend hoch sind auch zwei andere Zahlen aus der Gruppe der 78 Prozent: Diese Ukrainer kennen im Schnitt fünf Verletzte und drei Verstorbene.

Regionale Unterschiede gibt es dabei kaum - die Werte liegen zwischen 70 Prozent im Osten und 80 Prozent im Westen. Dass im Westen etwas mehr Menschen verstorbene und verletzte Verwandte und Bekannte haben, hat wohl damit zu tun, dass in westlichen Regionen in den ersten Wochen und Monaten nach dem 24. Februar 2022 mehr Menschen mobilgemacht wurden, während in vielen ukrainischen Regionen aktive Kampfhandlungen stattfanden.

Für die große Mehrheit der Ukraine sei der russische Angriffskrieg "eine tragische Gemeinschaftserfahrung", sagt Anton Hruschezkyj, Vizechef des Internationalen Soziologie-Instituts. Sowohl die Menschen im Westen als auch im Osten der Ukraine würden die gleichen schrecklichen Verluste erleiden, die Russland verursacht hat: "Wir stellen einen großen Schmerz der Ukrainer über diese Verluste und eine wahnsinnige Wut auf die Feinde fest."

Von "gemeinsamer Kultur" mit Russland will in der Ukraine niemand etwas wissen

"Die starke emotionale Färbung dieser Erfahrung ist ein Faktor, der einerseits verschiedene Ukrainer einander näherbringt und es ihnen ermöglicht, einander besser zu verstehen", schätzt Hruschezkyj die Ergebnisse der Studie weiter ein. Andererseits trage diese Erfahrung aber zur Einheit der Ukrainer bei, gemeinsam an der Vertreibung des Feindes zu arbeiten und Gerechtigkeit zu erreichen.

"Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum die russische Propaganda, die sich auf Narrative der 'gemeinsamen Geschichte' sowie der 'gemeinsamen Kultur' bezieht, hier in der Ukraine aussichtslos ist", meint der Soziologe. "Der Zweite Weltkrieg war natürlich für die Ukraine eine große Tragödie, doch diese Erfahrung liegt mittlerweile in völliger Ferne. Denn die aktuelle Trauer spüren die Menschen jetzt und heute." Daher würden die aktuellen Emotionen unausweichlich dazu führen, dass sich die Stimmung "weg von Moskau" langfristig festigt.

"Diese Erfahrung sorgt darüber hinaus für stabile Kompromisslosigkeit hinsichtlich möglicher Zugeständnisse an Russland. Denn: Wenn so viele Verwandte und Freunde verletzt oder getötet wurden, wie kann man dann überhaupt über Zugeständnisse reden?", betont Hruschezkyj. Diese These deckt sich mit anderen Umfragen seines Instituts. Laut einer Anfang Juni durchgeführten Umfrage lehnen 84 Prozent der Ukrainer jeglichen territorialen Kompromiss mit Russland ab. Seit Mai liegt dieser Wert stabil zwischen minimal 82 und maximal 87 Prozent.

Quelle: ntv.de

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