Flüchtlingstalk bei Markus Lanz "Dieser Weg dauert zu lange"
11.10.2023, 06:27 Uhr Artikel anhören
Uneins in der Migrations-Debatte: Die Generalsekretäre von SPD und CDU, Kühnert und Linnemann.
(Foto: ZDF und Cornelia Lehmann)
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern enden mit einer Schlappe für die Ampel-Parteien. Ein Hauptgrund dafür ist die Flüchtlingskrise. Am Dienstagabend haben sich in der ZDF-Talkshow Markus Lanz die Generalsekretäre von SPD und CDU darüber gestritten.
Die hohe Zahl der geflüchteten Menschen, die in Deutschland leben, ist laut Umfragen ein Grund für das schlechte Abschneiden der Ampel-Parteien bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen am vergangenen Sonntag. Während sich am Sonntagabend in der ARD-Talkshow Anne Will Politiker von Grünen und CDU für eine gemeinsame Lösung ausgesprochen haben, sind sich die Generalsekretäre von SPD und CDU, Kevin Kühnert und Carsten Linnemann, am Dienstagabend bei Markus Lanz im ZDF nicht einig geworden. Vergleicht man die Aussagen des Grünen Cem Özdemir von Sonntag und Kevin Kühnert von Dienstag miteinander, drängt sich der Eindruck auf, dass vor allem bei Teilen der SPD in dieser Frage noch Klärungsbedarf besteht.
Vor der innenpolitischen Diskussion fordert Kühnert jedoch zunächst Solidarität mit Israel, das sich seit dem vergangenen Samstag gegen einen Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas zur Wehr setzt. Er sagt: "Das wichtigste, was wir jetzt und für lange Zeit leisten können, ist echte Solidarität und Geschlossenheit, quer durch die demokratischen Parteien hindurch. Unsere Parteivorsitzenden haben am Wochenende einen guten Anfang gemacht. Wir werden diese Woche nach einer Regierungserklärung des Kanzlers eine gemeinsame Resolution im Bundestag verabschieden. Das ist alles richtig und notwendig. Der entscheidende Punkt wird in den nächsten Wochen kommen. Dann werden wir schreckliche Bilder aus Gaza sehen, und dann muss die Solidarität immer noch stehen."
Deutschland trage Verantwortung für das, was den jüdischen Menschen während der Shoah angetan wurde, sagt Kühnert. Und weiter: "Der Staat Israel ist heute der einzige Schutzraum für jüdisches Leben auf der ganzen Welt. Dieser Schutzraum wird jetzt ganz konkret angegriffen. Deshalb wehrt dieser Staat sich. Und wenn dieses Land, wenn Deutschland sein Versprechen ernst meint und aufrechterhalten will, dass wir nie wieder – nie wieder – zulassen, dass jüdisches Leben in dieser Welt ausgelöscht wird, dann gilt das nicht nur für unser Territorium, sondern auch für den Ort, an dem sich die meisten jüdischen Menschen weltweit niedergelassen und einen Staat aufgebaut haben, und das ist Israel."
"Wir haben eine Überlastungssituation"
Diese klaren Worte hätte es vielleicht auch bei der Diskussion um die aktuelle Situation der geflüchteten Menschen in Deutschland gebraucht. "Wir haben eine Überlastungssituation", versucht Kühnert das Problem ein wenig kleinzureden. Allerdings sagt er auch: "Die Zahlen müssen runter."
Linnemann sieht das wesentlich emotionaler. Er spricht von 700.000 fehlenden Wohnungen, von vielen Kindern, die nicht in die Schule gehen, von fehlenden Kita-Plätzen, von überlasteten Behörden. "Dieses Land ist restlos überfordert", sagt er. Der Kanzler habe vor gut einem Monat einen Deutschlandpakt für Migration angeboten – was nicht ganz stimmt – und sich bisher nicht an die Unionsparteien gewandt. Würde man die Flüchtlingszahlen senken, würde damit auch der Erfolg der AfD sinken. Linnemann fordert deshalb Kontrollen an den deutschen Grenzen, die Geldleistungen für Geflüchtete durch Sachleistungen zu ersetzen sowie schnelle Rückführungsvereinbarungen mit sicheren Herkunftsländern. "Und der Bundeskanzler müsste sich in den Bundestag stellen und ein Signal in die Welt senden, dass unsere Kapazitäten erschöpft sind."
Kühnert wehrt sich. Die Polizeigewerkschaft habe sich gegen stationäre Grenzkontrollen ausgesprochen, sagt er – und irrt sich. Tatsächlich gibt es drei Polizeigewerkschaften, und nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist gegen diese Art der Kontrollen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), in der zum Beispiel die Bundespolizei integriert ist, fordert stationäre Grenzkontrollen. Allerdings hat die Polizeigewerkschaft nur etwa halb so viele Mitglieder wie die Gewerkschaft der Polizei.
Kühnert setzt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise auf langfristige Lösungen. "Was wir brauchen, ist Substanz", sagt er. Kühnert fordert ein solidarisches Verhalten der anderen EU-Länder bei der Aufnahme von Geflüchteten und setzt auf Rückführungsabkommen. Zurzeit liefen Gespräche mit sechs Ländern, auch mit den Maghreb-Staaten.
Linnemann orakelt über noch mehr Flüchtlinge
"Ich glaube, dass dieser Weg zu lange dauert", entgegnet Linnemann. "Mit diesem Weg treffen wir uns hier in zwei Jahren wieder, aber dann reden wir nicht von 300.000 Flüchtlingen wie in diesem Jahr, sondern vielleicht von bis zu 500.000."
Wer die Markus-Lanz-Talkshow am Dienstagabend angeschaut hat, könnte glauben, eine überparteiliche Lösung der Flüchtlingsfrage scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Schaut man aber auf die Aussagen der verschiedenen Ampel-Politiker der letzten Wochen, erkennt man, dass Kühnert offenbar nicht die Mehrheit der Ampel-Koalition hinter sich hat.
Quelle: ntv.de