Mobbing gegen Lehrer "Du Schwuler, geh weg. Der Islam ist hier der Chef"


Inácio-Stech wollte an einer Schule voller Kinder aus nicht-deutschen Familien ein Vorbild sein - er hat schließlich selbst Einwanderungsgeschichte.
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Ein homosexueller Lehrer in Berlin outet sich vor Schülern einer Brennpunktschule. Von da an beginnt für ihn ein Spießrutenlauf. Doch nicht allein die Beschimpfungen bereiteten ihm Seelenqualen, sondern auch das Verhalten der Schulleitung und Behörden. Deshalb brachte er seinen Fall an die Öffentlichkeit.
Nach allem, was über Oziel Inácio-Stech bekannt ist, muss er zu jenen Lehrern gehören, die trotz aller Widrigkeiten ihren Idealismus nicht verloren haben. Ein Lehrer, der explizit dort seinem Beruf nachgeht, wo es nicht einfach ist, manchmal auch wehtut. Wie sehr, hat er am eigenen Leib zu spüren bekommen. Inácio-Stech, der aus Brasilien stammt und seit 2010 in Deutschland lebt, machte via "Süddeutsche Zeitung" öffentlich, wie er von Schülerinnen und Schülern einer Berliner Brennpunktschule über zig Monate hinweg gemobbt worden ist: weil er schwul ist.
Den Schritt, sich zu outen, hatte er sich lange und sehr genau überlegt. Denn Inácio-Stech ahnte sehr wohl, was auf ihn zukommen könnte. Die Carl-Bolle-Schule liegt in Moabit, einem Stadtviertel mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil, Einwanderern aus der arabischen Welt. Sollte er seinen Seelenfrieden riskieren und sich vor Kindern offenbaren, deren Väter sich bisweilen über angeblich "zu kurze Röcke" von Kolleginnen beschwerten? Oder sich lieber schützen? Inácio-Stech entschied sich für die Wahrheit, als sich Schüler nach seinen Lebensumständen erkundigten. Ein Mädchen machte bald ihre Drohung wahr, der ganzen Schülerschaft davon zu erzählen - und der Spießrutenlauf begann.
"Er wird euch mit seinem Schwulsein infizieren"
Der Lehrer erlebte Diskriminierung von homophoben Schülern. Kinder sollen sich geweigert haben, an seinem Unterricht teilzunehmen. Einen Jungen zitierte er so: "Sie sind eine Familienschande." Große Kinder hätten zu kleineren gesagt: "Herr Inácio-Stech hat eine Krankheit. Er wird euch mit seinem Schwulsein infizieren." Ein Fünftklässler habe gerufen: "Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef." Der Lehrer erzählte dem Berliner "Tagesspiegel" von einem Drittklässler, dem verboten worden sei, Obst und Gemüse zu essen, "das ich manchmal für die Lerngruppe mitbrachte. Die Mutter hat gesagt, ich sei unrein."
Inácio-Stech suchte Hilfe bei Vorgesetzten, reichte Beschwerden ein. Das Mobbing hörte nicht auf. Inzwischen ist er wegen psychischer Probleme krankgeschrieben, kann seinen Beruf nicht ausüben. "Ich lebe in einem Alptraum." Doch nicht allein die Beschimpfungen bereiteten ihm Seelenqualen. Vor allem das Verhalten der Schulleitung und der Verwaltung haben dem Lehrer, der insbesondere Kinder mit großen Lernschwierigkeiten betreut, schwer zugesetzt, wie er berichtet. Inácio-Stech fühlte sich im Stich gelassen, sodass er sich entschloss, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Der Berliner wandte sich unter dem Stichwort "Mein Thema ist schwuler Lehrer und fanatische religiöse Eltern" an die "Süddeutsche Zeitung", die darin einen "Hilferuf" sah und zu dem Fall eine große, sorgfältig recherchierte Story brachte. Sie vermittelte einen Eindruck über das ganze Ausmaß der Vorgänge und die Zustände an der Schule über Jahre hinweg. Sie zitierte aus Protokollen. Ein Junge "bedrohte Herrn Inácio-Stech körperlich und machte vor der gesamten Klasse weiterhin Witze über den Pädagogen", heiße es darin. "Die Klasse war außer Rand und Band." Ein Mädchen habe gesagt, nach dem Sieg des Islams würden Christen "zerstört".
"Ein systematisches Problem"
Eine Kollegin riet Inácio-Stech, körperliche Distanz zu Schülern zu wahren und generell zur Zurückhaltung. Die Direktorin sagte laut Protokoll, er müsse sich "schützen" vor "eventuell entstehenden Gerüchten". Der Personalrat erklärte demnach, die Bildungseinrichtung werde "von überdurchschnittlich vielen Kindern aus traditionellen Elternhäusern" besucht, "was die Akzeptanz von Diversität erschweren" könne. Das hinterließ offenkundig tiefe Spuren der Enttäuschung bei dem Lehrer. Anstatt Schutz zu bieten, "maßregeln sie mich, lassen sie mich fallen".
Der Artikel der "Süddeutschen" löste einen Sturm der Entrüstung aus, was auch damit zu tun hatte, dass sich die Schulleitung nicht äußerte, auch nicht auf Fragen, welche Maßnahmen sie zum Schutz des Lehrers unternommen habe. Die Landespolitik reagierte. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Marcel Hopp, schloss sich im Kern den Vorwürfen des Lehrers an: Wenn Lehrkräfte Mobbing gegen sich nach oben meldeten, könnten sie zurecht Schutz erwarten. "Und das ist hier nicht passiert", kritisierte der Sozialdemokrat in der "Süddeutschen". "Und deshalb sehe ich hier schon ein systematisches Problem, das wir unbedingt angehen müssen."
Nach Angaben einer Kollegin des Betroffenen hatten schon 2018 Lehrkräfte in einem Brief an das Schulamt über Gewalt, Mobbing und Diskriminierungen informiert. Damals regierten in Berlin SPD, Grüne und Linke gemeinsam. Die seinerzeit oppositionelle CDU bescheinigte der rot-grün-roten Koalition, Missstände an den Berliner Schulen als Folge unkontrollierter Einwanderung schönzureden oder ganz zu ignorieren. So empfand es auch die Lehrerin Doris Unzeitig, die aus Frust ihren Direktorenposten an einer Brennpunktschule in Schöneberg aufgab und in ihre Heimat Österreich zurückkehrte. Sie hatte private Wachschutzleute engagiert, um die Lage in den Griff zu kriegen - was Rot-Grün-Rot ablehnte.
Senatorin bleibt vage, Schulleitung schweigt
Nun regiert die CDU. Sie stellt mit Katharina Günther-Wünsch die Bildungssenatorin. Die hielt sich in der Debatte zurück, "um nicht Gefahr zu laufen, aus Unkenntnis des gesamten Sachverhaltes Forderungen zu erheben oder sogar falsche Tatsachen zu behaupten". Vorwürfe der unterlassenen Hilfe und Ignoranz der Problematik wies sie im Bildungsausschuss des Landesparlaments von sich. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, wie eine Prüfung ergeben habe. Zugleich warnte sie vor einer "öffentlichen Stigmatisierung der Carl-Bolle-Grundschule" und "Verallgemeinerungen und Diffamierungen der Schulgemeinschaft". Die Leitung leiste gute Arbeit und sei dabei, den fragilen Bildungsstandort zu stabilisieren.
Auf die Fragen, ob die Senatorin mit dem Lehrer gesprochen habe und wenn nein, warum nicht, und wie es jetzt konkret weitergehe, antwortete ein Sprecher von Günther-Wünsch: "Personaleinzelangelegenheiten behandeln wir behutsam und sensibel. Öffentlich bekannt ist, dass die Lehrkraft seit mehreren Monaten krankgeschrieben ist." Die Schulleitung hüllt sich weiterhin in Schweigen.
Die Opposition lässt nicht locker. Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, sagte: "Die Bildungssenatorin wollte weder beantworten, wie sie den aktuellen Fall aufzuarbeiten gedenkt, noch, was sie gegen die zunehmende Queerfeindlichkeit an Schulen unternehmen wird. Angesichts der gestiegenen Fallzahlen queerfeindlicher Straftaten ist das blanke Arbeitsverweigerung."
Quelle: ntv.de