Politik

Skandal vor ParlamentswahlEU-Visa gegen Schmiergeld - Polens Regierung unter Druck

18.09.2023, 11:29 Uhr
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Ein polnischer Soldat bewacht Grenzanlagen an der Sperrzone von Polens Grenze zu Belarus. Die PiS ist für eine harte Flüchtlingspolitik bekannt. (Foto: picture alliance/dpa)

Die nationalistische Regierungspartei in Warschau stemmt sich gegen einen EU-Asylkompromiss, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Gleichzeitig sollen in polnischen Konsulaten im großen Stil illegal Visa ausgegeben worden sein, die eine freie Reise in Europa ermöglichten.

Kurz vor der polnischen Parlamentswahl am 15. Oktober bringt ein Skandal um Korruption bei der Visavergabe die rechts-nationalistische Regierung in Schwierigkeiten. Berichte polnischer Medien und Angaben der Opposition legen nahe, dass die Behörden einen kriminellen Handel mit Arbeitsvisa betrieben haben. So sollen in polnischen Konsulaten in Afrika, Asien sowie in mehreren arabischen Ländern Schmiergeldzahlungen geflossen sein, um Visaanträge zu beschleunigen und zu genehmigen.

Mittlerweile hat sich die polnische Staatsanwaltschaft eingeschaltet und ermittelt in diesem Zusammenhang gegen sieben Personen wegen des Korruptionsverdachts. Drei der Verdächtigen seien festgenommen worden, sagte der stellvertretende Chef der Abteilung für Organisierte Kriminalität und Korruption, Daniel Lerman, am vergangenen Donnerstag in Warschau. Konkret würden Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe mehrerer Hundert Arbeitsvisa untersucht, etwa in Indien, den Philippinen, Singapur, Hongkong und Taiwan.

Die Angaben der Opposition und der Medien hingegen deuten auf ein viel größeres Ausmaß der Affäre hin. In Berichten, etwa von der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", wird etwa von 600.000 verkauften Visa ausgegangen. Der Oppositionsführer Donald Tusk gibt an, dass innerhalb von 30 Monaten in polnischen Konsulaten in Afrika und Asien 250.000 polnische Arbeitsvisa ausgestellt worden sein. Tusk, von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), nannte aber keine Quellen, woher diese Zahl stammt. Er warf der regierenden PiS angesichts ihrer harten Haltung gegen die EU-Asylpolitik Heuchelei vor. Die Regierung ließ etwa an der Grenze zu Belarus einen Zaun errichten, um Menschen auf der Flucht aufzuhalten.

Mit den gekauften Visa weiter nach Deutschland

Die Berichte um die illegal vergebenen Visa sind so brisant, weil Polen ein enormer Vertrauensverlust im Schengenraum droht. Die ausgestellten polnischen Visa beinhalten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse, die das freie Reisen in der EU ermöglichen. Häufig seien die Migranten aus Asien und Afrika auf der Basis ihres polnischen Visums im Schengenraum weitergereist - etwa nach Deutschland, heißt es. Besonders begehrt waren demnach Mehrfachvisa: Wer ein Mehrfachvisum für den Schengenraum hat, darf auch nach Mexiko einreisen - und kann so in die USA gelangen. Den Angaben nach sollen Menschen in Indien an Zwischenfirmen bis zu 40.000 Dollar gezahlt haben, um in den Besitz eines polnischen Mehrfachvisums zu kommen.

Aber auch innenpolitisch ist das Thema um die Visa-Vergabe für die PiS vor der Parlamentswahl eine Schlangengrube. Die PiS-Regierung widersetzt sich schließlich dem EU-Asylkompromiss, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Warschau will parallel zur Parlamentswahl am 15. Oktober in einem Referendum darüber abstimmen lassen. Dabei wird die Frage gestellt, ob die polnischen Wählerinnen und Wähler, die "Aufnahme Tausender illegaler Einwanderer aus Afrika und dem Nahen Osten unterstützen" wollten. Der Ausgang der Volksabstimmung hat keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess innerhalb der EU.

Polens Außenminister Zbigniew Rau sieht derweil keinen Grund, Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen. Nach Ermittlungen gegen seine Behörde, sagte er laut Nachrichtenagentur PAP, "ich fühle mich nicht mitschuldig, ich denke nicht daran, zurückzutreten, und es gibt keine Visa-Affäre". Damit stimmt er mit PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski überein. Der sagte ebenfalls, es gebe keinen Skandal. Es handele sich bei der Visaaffäre lediglich um "eine dumme und wahrlich kriminelle Idee einiger Leute, von denen die allermeisten nichts mit dem Regierungsapparat zu tun haben".

Vize-Außenminister soll Selbstmordversuch begangen haben

Ende August war der für konsularische Angelegenheiten zuständige Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk entlassen worden. Zur gleichen Zeit wurde seine Abteilung von der Antikorruptionsbehörde CBA durchsucht. Nach Berichten des Portals Onet und der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" soll Wawrzyk der Drahtzieher hinter einem System gewesen sein, bei dem Zwischenfirmen für hohe Geldsummen polnische Visa anboten.

Am Freitag berichteten polnische Medien, dass der 55-Jährige wegen eines Selbstmordversuchs in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Die PiS macht dafür nun die Opposition und die Medien mitverantwortlich. Die Regierung verteidigt sich damit, dass durch die Ermittlung der Staatsanwaltschaft bereits etwas gegen die Korruption getan werde.

Quelle: ntv.de, ysc/dpa

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