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Scholz bat Orban vor die Tür EU nutzte Verfahrenstrick für Ukraine-Beschluss

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Noch bei Beginn des EU-Gipfels überschattet ein Streit die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. 26 Staaten sind sich einig, nur Viktor Orban stellt sich quer. Dann unterbreitet Berichten zufolge Bundeskanzler Scholz dem ungarischen Regierungschef einen gesichtswahrenden Vorschlag.

Die EU hat anscheinend zu einem Verfahrenstrick gegriffen, um den Weg freizumachen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Wie mehrere mit den Gesprächen vertraute Quellen berichten, soll der Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz gekommen sein: Dieser habe dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am frühen Donnerstagabend vorgeschlagen, die Sitzung für die Abstimmung zu verlassen, um das erforderliche einstimmige Votum der anderen Staats- und Regierungschefs zu ermöglichen. Der Ungar konnte somit bei seinem Nein zu den Beitrittsverhandlungen bleiben, ohne sie zu blockieren.

Die Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel beschlossen, dass neben der von Russland angegriffen Ukraine auch mit dem benachbarten Moldau Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "Sieg für die Ukraine" und "für ganz Europa". Scholz nannte die Entscheidung "ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine Perspektive für die Ukraine". Die Ukraine und Moldau gehörten "zur europäischen Familie". Moldaus Präsidentin Maia Sandu erklärte, ihr Land spüre heute "die herzliche Umarmung Europas".

Der ungarische Regierungschef Orban kritisierte das Votum dagegen scharf. In einem auf Facebook veröffentlichten Video sprach er von einer "völlig sinnlosen, irrationalen und falschen Entscheidung". Er habe sich der Stimme enthalten. Ob Orban für seinen Schritt eine Gegenleistung versprochen wurde, ist nicht bekannt. Luxemburgs Ministerpräsident Luc Frieden sprach mit Blick auf den angewendeten Verfahrenstrick von einem "außergewöhnlichen" Vorgehen, das wegen der geostrategischen Bedeutung gerechtfertigt sei, aber nicht zur Regel werden sollte.

Kommt Orbans Veto später?

Die Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau sollen in einem zweistufigen Verfahren stattfinden. Offiziell werden die Verhandlungen also erst aufgenommen, wenn die beiden Länder von der EU-Kommission festgelegte Bedingungen erfüllen. Faktisch bedeutet dies, dass nach der Entscheidung am Donnerstag ein weiteres Votum der 27 EU-Regierungen folgt. Deshalb war bereits spekuliert worden, ob sich Orban als Kompromiss bei der Abstimmung auf dem EU-Gipfel enthalten könnte.

In EU-Beitrittsverhandlungen gilt bei jeder Öffnung und bei jedem Schließen von Verhandlungskapiteln das Einstimmigkeitsprinzip. Am Ende müssen alle EU-Staaten der Aufnahme eines Landes ohnehin einstimmig zustimmen - Ungarn könnte also noch später ein Veto gegen einen Beitritt der Ukraine einlegen.

EU plant interne Reformen

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In den Schlussfolgerungen heißt es weiter, dass Georgien den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhält, wenn es die von der EU-Kommission gesetzten Bedingungen erfüllt hat. Mit Bosnien-Herzegowina sollen EU-Beitrittsgespräche beginnen, wenn das Land die nötigen Reformschritte unternommen hat. Die Kommission soll bis spätestens März 2024 berichten, ob dies der Fall war. Sobald Nordmazedonien Minderheitenrechte in seiner Verfassung gestärkt hat, sollen mit dem Westbalkan-Land Beitrittsgespräche beginnen.

Die EU selbst möchte ihre internen Reformen vorantreiben, um aufnahmefähig zu werden. Dazu soll bis Sommer 2024 ein Zeitplan ausgearbeitet werden. Scholz plädiert dafür, in fast allen Feldern von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen.

Quelle: ntv.de, chr/dpa/AFP/rts

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