
Ob Erdogan und Juncker am Montag so freundlich lächeln wie noch 2015, ist fraglich. Dafür gibt es noch zu viele Baustellen.
(Foto: REUTERS)
Stirnrunzeln, Augen verdrehen, Kopfschütteln - so sehen häufige Reaktionen in der EU auf die Politik der Türkei aus. Am Montag trifft sich Präsident Erdogan mit EU-Spitzen in Bulgarien. Doch Erdogans schärfstes Schwert ist mittlerweile stumpf.
Für Jean-Claude Juncker und Donald Tusk wird es kein leichter Tag sein. Am Montag treffen sie im bulgarischen Warna den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Es gibt viele Baustellen: Inhaftierte EU-Bürger in der Türkei, der Feldzug in Syrien, ein kürzlich neu aufgeflammter Streit um Gasbohrungen vor der Küste Zyperns.
Die Türken haben ganz andere Themen auf dem Zettel. Ihnen geht es um die Visafreiheit für EU-Bürger in der Türkei, eine Vertiefung der Zollunion und letztlich den Beitritt zur Staatengemeinschaft. Juncker, Tusk, Erdogan sowie ihr Gastgeber Bojko Borissow, der bulgarische Ministerpräsident, werden betont freundlich lächeln. Doch hinter den Kulissen dürfte es anders zugehen.
"Die Situation ist schlecht und es gibt auch wenige Anzeichen dafür, dass sie sich verbessern würde", fasst es Kristian Brakel gegenüber n-tv.de zusammen. Er ist Türkei-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Die Türkei macht zwei Schritte vorwärts, zum Beispiel mit Deutschland und dann wieder drei Schritte zurück." So wurde im Februar einerseits der Journalist Deniz Yücel freigelassen, anderseits gab es einen Zwischenfall im Mittelmeer.
Ein türkisches Kriegsschiff drängte ein italienisches Bohrschiff ab, das wegen der Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns unterwegs war – was die EU im Entwurf der Gipfelerklärung scharf verurteilte. Für Verstimmungen sorgte auch die Festnahme zweier griechischer Soldaten, die hinter der Grenze auf türkischem Gebiet aufgegriffen wurden. Die Türkei sprach von Spionage, Griechenland von einem Versehen. Folgt die türkische Außenpolitik einem Plan? Eher nicht, sagt Brakel. Viele Konflikte, etwa um Zypern und Griechenland, schwelten schon seit Jahren. "Das Problem ist eher", so der Experte, "dass Erdogan außenpolitische Entscheidungen allein und impulsiv trifft, die dann aufwendig wieder zurückgerollt werden müssen."
Türken sehen es anders
Doch es gibt auch die andere Seite. Die Türken sind frustriert darüber, dass seit 2005 Beitrittsgespräche laufen und sie immer noch nicht Mitglied der EU sind - während manche Türken den Eindruck haben, Bulgarien und Rumänien seien 2007 einfach durchgewunken worden. Und sie bekommen nicht einmal die Visafreiheit. Liegt da der Eindruck so fern, dass die Türkei vor allem deswegen nicht Mitglied wird, weil sie ein muslimisch geprägtes Land ist?
Dann klagt die türkische Regierung über angeblich mangelndes Verständnis für die Militäroperation in Syrien. Immerhin, so die türkische Sichtweise, werde dort gegen Kurden vorgegangen, deren Verbündete in der Türkei Bomben legten und für den Tod zahlreicher Polizisten und Beamter verantwortlich seien. Davon werden Tusk und Juncker Erdogan auch im sonnigen Warna nicht abbringen können, auch wenn sie ein Ende der Gewalt erwarten - so wie es auch Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordern.
Immerhin, dass es überhaupt zu dem Gipfel kommt, ist bereits ein Zeichen des guten Willens der Union. Denn die Türkei fühlte sich übergangen, als es im vergangenen Jahr einen eigenen Gipfel mit den Beitrittskandidaten Serbien und Montenegro gab, Ankara aber nicht eingeladen war. Auch deswegen wurde dieses Treffen nun anberaumt, wie ein Mitarbeiter des Europäischen Rates gegenüber n-tv.de sagte.
Flüchtlingsdeal nicht mehr entscheidend
Dabei können die Politiker aus Brüssel mittlerweile ein wenig entspannter agieren. Denn Erdogans schärfstes Schwert, der Flüchtlingsdeal von 2015, ist stumpf geworden. "Inzwischen ist die Wichtigkeit dieses Flüchtlingspaktes sehr stark nach unten gegangen", sagt Brakel. Das sehe man auch daran, dass Merkel im Bundestag das Vorgehen der Türkei in Syrien kritisiert habe. Die Bundesregierung müsse offenbar nicht fürchten, dass der Deal platzt, sobald man Kritik übt. Seit die Balkanroute geschlossen ist, haben sich die Flüchtlingsströme wieder Richtung Mittelmeer verschoben. Der Türkei seien zudem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die damit verbundenen Milliardenzahlungen willkommen. Gespräche wie 2015, als Juncker und Tusk Erdogan verbal umtänzelten, ihn hofierten und umschmeichelten, sind nicht mehr zu erwarten.
Vom Europäischen Rat hieß es, die Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage funktioniere gut, gleiches gelte für die Terrorismusbekämpfung. Eine weitere positive Entwicklung dürfte es sein, dass einige prominente Journalisten freigelassen wurden. Neben Yücel wurden auch einige türkische Autoren wie Sahin Alpay und Ahmet Şık auf freien Fuß gesetzt.
Der EU ist das aber nicht genug. Es bleiben die großen Probleme. Syrien, Menschenrechte und aktuell wieder einmal Zypern. Brüssel erwartet, dass zumindest der seit Mitte 2016 in der Türkei geltende Ausnahmezustand endlich aufgehoben wird. Zollunion und Visafreiheit stünden erstmal nicht auf dem Programm, hieß es vom Europäischen Rat. Es gehe bei diesem Treffen nicht um den Beitritt der Türkei. Um hier Fortschritte zu erreichen, müsse das Land die Beitrittskriterien erfüllen. Punkt.
Doch auch viele EU-Staaten haben Interesse an besseren Beziehungen. So würden auch sie von steigendem Handel mit der Türkei profitieren, jedes Zehntelprozent Wachstum ist willkommen. Von guter Nachbarschaft hätten also alle etwas. Da ist es ein positives Signal, dass der Gesprächsfaden nach der letzten Zusammenkunft dieser Art im Mai 2017 erhalten bleibt. Dass das die beste Nachricht sein könnte, zeigt letztlich aber nur, wie ramponiert das Verhältnis derzeit ist.
Quelle: ntv.de