Reaktionen auf Teilmobilmachung "Ein weiteres Zeichen von Putins Verzweiflung"
21.09.2022, 14:00 Uhr
Auf einem Propagandaplakat in St. Petersburg steht "Ehre den russischen Helden".
(Foto: REUTERS)
Moskaus Ankündigung einer Teilmobilmachung stößt im Ausland einhellig auf Kritik. Viele westliche Spitzenpolitiker sehen die Entscheidung des Kreml als Zeichen der Schwäche. Kiew reagiert mit Spott.
Deutsche Regierungsmitlieder haben die Teilmobilisierung von Reservisten in Russland scharf kritisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz sieht Russlands militärische Misserfolge als Grund für die Ankündigung. Scholz habe die Äußerungen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zur Kenntnis genommen, sagte ein Regierungssprecher in Berlin und zitierte den Kanzler mit den Worten: "Das alles kann man sich nur erklären vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich verlaufen ist."
Die Entscheidung Putins, 300.000 Reservisten zu mobilisieren, sei "eine weitere Eskalation dieses völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine", sagte Vize-Kanzler Robert Habeck in Berlin. Dies sei ein "schlimmer und falscher Schritt aus Russland", über dessen Folgen die Bundesregierung beraten werde.
FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die Entscheidung Moskaus als "Zeichen der Schwäche". "Die Ukraine lässt sich davon nicht einschüchtern und wir sollten es auch nicht tun", sagte der Finanzminister in Berlin. Die Teilmobilmachung zeige aber, dass man es mit einem noch lange dauernden Konflikt zu tun habe. "Darauf müssen wir uns politisch und wirtschaftlich einstellen. Vor allen Dingen müssen wir im Kreis unserer Verbündeten und Partner prüfen, wie wir die Ukraine bei einem noch lange dauernden Kampf um Frieden und Freiheit auch dauerhaft unterstützen können."
"Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?"
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht übte ebenfalls scharfe Kritik. "Putins Entscheidung zur Teilmobilisierung ist ein Zeichen der militärischen und politischen Schwäche - genauso wie die angekündigten Scheinreferenden in den besetzten Gebieten", erklärte die SPD-Politikerin. Putin versuche nicht nur die Ukraine zu zerstören, sondern er ruiniere auch sein eigenes Land. "Skrupellos und brutal schickt er erneut Tausende junger Menschen in einen sinnlosen Tod in diesem brutalen und verbrecherischen Krieg", sagte Lambrecht.
Ähnlich äußerte sich die Europäische Union. Die Teilmobilmachung sei "ein weiterer Beweis, dass Putin nicht an Frieden interessiert ist, sondern an einer Eskalation seines Angriffskriegs", sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, in Brüssel. "Das ist auch ein weiteres Zeichen seiner Verzweiflung."
Kiew kommentierte die Entscheidung des Kreml mit Spott. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten. "Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor", schloss Podoljak.
"Wird zu einer riesigen Tragödie führen"
Sein Kollege Olexij Arestowytsch interpretierte den Schritt des Kremls dahingehend, dass die hohen Verluste Russland zu dieser Maßnahme zwingen. "Es sind mehr als 100.000 an Getöteten und Verwundeten, eher knapp 150.000", schrieb Arestowytsch. Dabei seien bereits jetzt die nächsten 150.000 mental abgeschrieben. "Wie gut es doch ist, Russe unter Putin zu sein", schrieb er ironisch.
"Dass Präsident Putin seine eigenen Versprechen bricht, Teile der Bevölkerung nicht zu mobilisieren sowie die illegale Annexion von ukrainischen Gebieten sind Eingeständnisse, dass seine Invasion scheitert", sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace einer Mitteilung zufolge. Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu hätten "Zehntausende ihrer eigenen Bürger in den Tod geschickt, schlecht ausgerüstet und schlecht angeführt", sagte Wallace. Mit Blick auf Putins Erwähnung von Atomwaffen betonte der Minister: "Keine noch so große Drohung oder Propaganda kann die Tatsache verbergen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt, die internationale Gemeinschaft geeint ist und Russland zu einem globalen Paria wird."
Nach den Worten des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny wird die Teilmobilisierung zu einer "Tragödie" führen. Während einer seiner Gerichtsverfahren sagte er gemäß einem von russischen Medien verbreiteten Video: "Dies wird zu einer riesigen Tragödie führen, zu einer riesigen Anzahl von Toten. Es sei klar, dass sich der "kriminelle Krieg, der derzeit stattfindet, verschlimmert und verstärkt, und Putin versucht, so viele Menschen wie möglich darin zu verwickeln", führte Nawalny fort.
Quelle: ntv.de, jpe/dpa/AFP