Politik

Probleme gehen jetzt erst los Eine Kommission allein macht noch keine Gaspreisbremse

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Der IG BCE-Vorsitzende Vassiliadis, die Wirtschaftsweise Grimm und BDI-Präsident Russwurm bei der Vorstellung ihres Zwischenberichts Mitte Oktober.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Gaspreis-Kommission hat ihren Abschlussbericht vorgelegt, doch in wichtigen Detailfragen wird es hakelig. Die Beteiligten sind sich nicht so einig geworden, wie es die Ampelkoalition gerne gehabt hätte. Zentrale Probleme der Gaspreisbremse bleiben ungelöst.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Gaspreis-Kommission hat an diesem Montag ihren Abschlussbericht vorgelegt und damit den Ball an die Politik zurückgespielt. Weil die Ampelkoalition sich im September nicht auf einen Mechanismus hatte verständigen können, wie die Energiepreisrechnungen von Verbrauchern und Unternehmen abgefedert werden könnten, hatte der Koalitionsausschuss in letzter Not die Kommission aus dem Hut gezaubert. Wissenschaftler, Politiker und Verbände sollten gemeinsam Lösungen erarbeiten, die für jeden der drei Koalitionspartner tragbar sind. Die bestellten Vorschläge liegen nun vor, doch der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen droht neues Ungemach, weil über zahlreiche, wichtige Detailfragen im politischen Raum entschieden werden muss.

Ein erster Belastungstest steht schon in diesen Tagen an: Bis Monatsmitte muss die gesetzliche Grundlage für die einmalige Erstattung der Dezember-Abschlagszahlungen durch den Bundestag gepeitscht werden. Die Versorger sollen nämlich - so die Idee der Kommission - bis Ende November dem Bund die Zahl ihrer Anschlüsse und die zu erstattenden Gesamtsummen melden. Diese Beträge soll der Bund dann bis 1. Dezember an die Versorger auszahlen, sodass die das Geld bis 20. Dezember an die Inhaber der Gasanschlüsse weiterreichen können. Die Zeit ist also denkbar knapp.

Teure Unwucht in der Gaspreisbremse

Zusätzlich regen sich schon jetzt in der Regierungsfraktion erhebliche Zweifel, ob die einmalige Abschlagszahlung genügt bis zum Inkrafttreten der für März erwarteten Gaspreisbremse. "Wir müssen jetzt insbesondere eine Lösung für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Bremse finden, die nach Aussage der Versorger aus organisatorischen Gründen erst im März für private Haushalte und Mittelstand greifen kann", erklärte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. Er hatte die Partei in der Kommission vertreten und legt offenkundig Wert auf die Feststellung, dass schnellere Lösungen an den Versorgern gescheitert seien. Im Interview mit ntv.de hatte Miersch vorgeschlagen, im ersten Quartal eine zweite Abschlagszahlung zu erstatten oder, wenn das technisch möglich ist, die Gaspreisbremse rückwirkend zu gestalten.

Die Gaspreisbremse selbst wird ein nicht leicht zu vermittelndes Instrument: Weil die Energieversorger nicht wissen, ob sich hinter einem Anschluss eine Großfamilie mit niedrigem Einkommen, ein einsamer, reicher Rentner mit riesiger Villa oder ein Betrieb befindet, sehen sie sich außer Stande, eine Deckelung umzusetzen. Dass der Staat aber gut verdienenden bis sehr reichen Menschen 80 Prozent ihres Energieverbrauchs massiv subventioniert, während deren Verbrauch oft vielfach über dem von Geringverdienern liegt, macht die Gaspreisbremse unnötig teurer und schwer vermittelbar.

Eine Frage des Datenschutzes

Wenn die obersten zehn Prozent der Einkommen, wie von der Kommission vorgeschlagen, die erhaltenen Erstattungen als geldwerte Vorteil versteuern müssen, mindert das die Unwucht nur zu einem Teil. Zumal auch fraglich ist, warum Paare mit 100.000 Euro Jahreseinkommen und mehr unter Umständen Tausende von Euro aus Steuermitteln erhalten sollen. Der Koalition stehen hier noch schwierige Debatten bevor.

Miersch hofft, dass die Unternehmen sich zum Winter 2023/2024 die entsprechenden Daten ihrer Kunden besorgen und zumindest für diesen Zeitraum eine Obergrenze eingeführt werden könnte. Die Versorger signalisieren dazu wenig Bereitschaft, auch aus Gründen des Datenschutzes. Unternehmen und Bund hielten am Ende womöglich eine beispiellose Deutschland-Datenkarte in den Händen, bei der zu jeder Adresse im Land auch die Zahl der Bewohner bekannt ist. Ob da die FDP, die nach ihrem Selbstverständnis gleichermaßen mit dem Datenschutz wie mit den Sorgen der Unternehmen sympathisiert, mitspielt?

Zwei Sondervoten statt einiger Kommission

Reibungen sind zudem bei der Gaspreisbremse für Unternehmen zu erwarten. Die Kommission empfiehlt - unter anderem in Übereinstimmung mit der SPD -, dass die Gaspreisbremse nutzende Unternehmen im Gegenzug eine Standortgarantie abgeben sollen. 90 Prozent der Arbeitsplätze müssten ein Jahr über die gewährte Leistung hinaus erhalten bleiben. Andernfalls müssten die auf 80 Prozent des Energieverbrauchs gewährten Subventionen rückerstattet werden.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, mochte bei diesem Vorschlag der Kommission nicht mitgehen. In einem an den Abschlussbericht angehängten Sondervotum warnt Adrian, "viele Unternehmen vor allem im industriellen Mittelstand" könnten von derart hohen Auflagen überfordert werden. Er stimme deshalb gegen die entsprechende Passage.

Warnung vor unbeabsichtigten Produktionseinstellungen

Auch Isabella Weber, die als Erfinderin der Gaspreisbremse gilt, hat sich ein Sondervotum nicht verkneifen können, weil eine Empfehlung der Gaspreiskommission ihren Überzeugungen widerspricht. Weber warnt davor, dass Unternehmen Gas-Volumina, die sie gekauft und vom Staat subventioniert bekommen haben, an andere Großverbraucher weiterverkaufen dürfen sollen. Diese Möglichkeit soll als Sparanreiz wirken, damit Unternehmen Verbräuche absenken, und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzliche Einnahmen generieren können.

Weber warnt aber vor einem ungewollten Effekt: die vorübergehende oder dauerhafte Schließung ganzer Produktionsstätten. Unternehmen könnten die Energiesubventionen einstreichen, das so günstig erworbene Gas mit hoher Marge gänzlich weiterverkaufen und den eigenen Betrieb einstellen. Das könne betriebswirtschaftlich sinnvoll, aber gesamtwirtschaftlich verheerend sein. Insbesondere wenn es sich um Grundstoffe produzierende, energieintensive Firmen handelt, deren Produkte von anderen verarbeitenden Unternehmen dringend gebraucht werden. Weber warnt deshalb eindringlich vor Kaskadeneffekten, in denen der Wegfall von wenigen Produktionsstandorten ganze Branchen dauerhaft dem Industriestandort Deutschland entzieht.

Umstrittene Dividenden-Sperre

Ein weiterer Konflikt: Die Grünen-Fraktion will Ausschüttungen und Dividendenzahlungen verhindern, wenn die Unternehmensgewinne nur mithilfe der vom Steuerzahler finanzierten Gaspreisbremse zustande gekommen sind. "Wir brauchen Konzentration auf diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Das heißt auch, dass große Unternehmen, die Unterstützung erhalten, nicht gleichzeitig hohe Dividenden ausschütten und Boni zahlen sollten", sagte Fraktionsvize Andreas Audretsch der Nachrichtenagentur Reuters.

Das stellt Unternehmen vor einen Zwiespalt: Aktiengesellschaften zielen auf Gewinn und dessen Ausschüttung an die Investoren. Wer sich zur Gaspreisbremse nicht anmeldet, um Aktionäre nicht zu verprellen, geht angesichts der Unsicherheiten im Gasmarkt womöglich eine riskante Wette ein. Die Gaspreiskommission nimmt zu dieser Frage gar nicht erst Stellung. Manche Probleme muss die Politik schon selber lösen.

Quelle: ntv.de

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