Politik

Pandemie bremst Integration "Einen Großteil erreichen wir nicht mehr"

Aus einer Zeit vor der Pandemie: Integrationsunterricht in Anwesenheit und ohne Maske.

Aus einer Zeit vor der Pandemie: Integrationsunterricht in Anwesenheit und ohne Maske.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Coronavirus macht Menschen und Branchen aller Richtungen das Leben schwer. Das gilt auch für Flüchtlinge. Zahlen der Bundesregierung zeigen: Die Pandemie hat viele Sprach- und Integrationskurse gestoppt. Die Schüler fallen beim Deutschlernen zurück.

Betroffene und Experten hatten befürchtet, was neue Daten und Zahlen belegen: Die Coronakrise bedeutet für die Integration in Deutschland einen schweren Rückschlag. Von März bis Juni vergangenen Jahres sei das System der Integrationskurse "praktisch vollkommen zum Erliegen gekommen" und seit Dezember "erneut stark eingeschränkt", so räumt es die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion ein. Das Papier liegt ntv vor.

Daraus geht hervor: Die Angebote erreichen Flüchtlinge und Migranten viel weniger als noch vor der Pandemie. Nur noch 63 Prozent der Berechtigten nehmen an den Kursen auch wirklich teil. Vor Corona waren es noch 75 Prozent. Besonders stark ist der Rückgang bei Angeboten zur Alphabetisierung und für Bezieher von Arbeitslosengeld.

Ungenügende BAMF-Unterstützung

Christiane Carstensen wundert das nicht. Sie ist Geschäftsführerin des Berufsverbandes für Integrations- und Berufssprachkurse. "Einen ganz großen Teil können wir nicht mehr erreichen", sagt sie im Gespräch mit ntv. Der erste Lockdown habe das gesamte Integrationskurssystem kalt erwischt. Medienkompetenz bei Lehrenden und Teilnehmern, WLAN in den Einrichtungen, ausreichend große Räume, Flexibilität in den Behörden - alles Fehlanzeige. Viele Kurse aber ruhten auch heute noch.

Die Bundesregierung erkennt zumindest für die erste Corona-Phase an: "Den Teilnehmenden drohte […] durch die Unterbrechung ein Verlust des bereits erworbenen Sprachstandes." Bis Dezember hätten die Kurse dann aber in den meisten Bundesländern vor Ort stattgefunden.

Und in der Tat: Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat relativ zügig verschiedene Optionen bereitgestellt: Präsenzkurse in pandemiegerechten Räumen, komplett virtuellen Unterricht und verschiedene Hybrid-Modelle. Christiane Carstensen vom Integrationskursverband erkennt das durchaus an. Sie kritisiert aber, das BAMF sei sehr bald in den "Verwaltungsmodus" übergangen. Es gebe keine Beratung, keine Schulungen, keine Best-Practice-Beispiele.

"Tropfen auf den heißen Stein"

Insgesamt zufrieden gibt sich dagegen die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage. Das BAMF habe "kurzfristig zahlreiche Flexibilisierungen ermöglicht und dabei auch insbesondere eine verstärkte Digitalisierung von Kursen erleichtert", heißt es dort. Richtig ist: 1.500 Euro Pandemiezulage pro 100 Unterrichtseinheiten stellt der Staat zur Verfügung. Damit können die Träger der Kurse zum Beispiel WLAN-Zugänge und digitale Endgeräte für die Teilnehmer anschaffen.

Daneben aber soll die Zulage ein finanzieller Ausgleich für die coronabedingt kleineren Lerngruppen sein - denn abgerechnet wird weiterhin nach Zahl der Teilnehmer. Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Filiz Polat, nennt die Pandemiezulage einen "Tropfen auf den heißen Stein." Sie sei für die vielen Verwendungszwecke zu niedrig, "vor allem wenn wir die prekäre Situation der Lehrenden schon vor der Pandemie berücksichtigen."

Polat bereitet Sorge, dass es gerade Menschen mit besonderem Bedarf schwer getroffen habe. In Kursen zur Alphabetisierung erreichten weniger als die Hälfte der Teilnehmer das Sprachniveau A2 und auch in Frauen- und Elternkursen würden die Lernziele häufiger verfehlt. Die Gründe lägen auf der Hand, so Polat: "Alphabetisierung ist schwer online zu organisieren und ohne Kinderbetreuung ist das Lernen in den Frauen- und Elternkursen höchst eingeschränkt." Die Bundesregierung habe keine Lösungskonzepte, kritisiert sie.

Analphabeten können oft nicht digital

Die Koalition gesteht allerdings auch ein, dass es beim virtuellen Unterricht "besondere Herausforderungen" für Analphabeten gebe. Christiane Carstensen drückt es drastischer aus: "In so einem Kurs haben sie vier bis fünf Leute, die Probleme haben, ihr Handy überhaupt anzubekommen." Für Menschen, die in Kursen auf ein hohes Deutschniveau von B2 oder C1 hinarbeiteten, sei auch virtueller Unterricht kein Problem. "Doch in Alphabetisierungskursen sind viele nicht so digitalaffin und scheuen sich, in so einen Kurs zu gehen."

Doch wie könnte es besser laufen? Carstensen wünscht sich vor allem eines: Weniger Bürokratie und Paragraphenreiterei beim BAMF. Das Amt bestehe zum Beispiel darauf, dass auch wirklich alle Teilnehmer vorschriftsgemäß per Laptop eingeloggt seien und nicht einzelne übers Smartphone. Um Honorar für jeden Teilnehmer zu bekommen, hätten Lehrkräfte Screenshots der Teilnehmer-"Kacheln" aus dem Video-Chat bei der Behörde einreichen müssen. Das alles koste Träger und Lehrkräfte viel Zeit, die sie lieber in den eigentlichen (Not-)Unterricht stecken würden. Carstensen fordert zudem, dass die Lehrkräfte honoriert werden, wenn sie die Teilnehmer in digitale Medien einweisen.

Dass das System der Alphabetisierungskurse zumindest noch halbwegs laufe, sei vor allem der Courage der Mitarbeiter zu verdanken, sagt die Verbandschefin. Einige ließen ihre Kurse sogar lieber ehrenamtlich weiterlaufen, als sich an die vielen Auflagen des BAMF zu halten. Auf das Geld verzichten sie.

Quelle: ntv.de, psc

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