"Viel zu tun gegen Rassismus" Bundesregierung beschließt Integrationsplan
09.03.2021, 18:46 Uhr
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Widmann-Mauz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, beim Integrationsgipfel im Kanzleramt.
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Mit mehr als 100 Maßnahmen will die Bundesregierung die Integration von Zuwanderern fördern. Etwa die Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Die Opposition sieht trotzdem große Lücken. Besonders viel Kritik gibt es für die Zettelwirtschaft, die aber nicht in die Praxis umgesetzt werde.
Mit einem mehr als 100 Punkte umfassenden Aktionsplan will die Bundesregierung die Integration von Zuwanderern in Deutschland fördern. Unter Leitung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, waren in den vergangenen zwei Jahren Dutzende Maßnahmen für eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland beschlossen worden, die in fünf Stufen aufgeteilt wurden.
Die erste Stufe soll bereits vor der Zuwanderung greifen: In den Herkunftsländern sollen Aufklärungs- und Informationsangebote gemacht werden. Unter anderem soll es hier um die gezielte Gewinnung von Fachkräften gehen. Die zweite Stufe sieht Maßnahmen zur Erstintegration vor: Sprachförderung, Beratung für den Einstieg in den Alltag, Anerkennung von Bildungsabschlüssen. In Phase drei soll es um Eingliederung und Teilhabe gehen. Dabei geht es um die Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch um bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und die Stärkung der Kommunen in der Integrationsarbeit.
Die vierte Phase befasst sich mit den Grundlagen für das Zusammenwachsen als Gesellschaft. Dazu gehören beispielsweise Diversitätsstrategien für mehr Teilhabe im Gesundheitswesen, in Kultur, Medien und im Sport und für die Stärkung des Miteinanders in der Stadtentwicklung. In Phase fünf stehen dann Maßnahmen im Mittelpunkt, die Zugehörigkeit und Zusammenhalt festigen sollen. Es geht um Vorhaben für mehr Einbürgerungen, politische Bildung und Partizipation, um gleiche Chancen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst sowie um die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus.
Merkel: Nach theoretischer Arbeit müsse jetzt Umsetzung folgen
Kanzlerin Angela Merkel sieht noch viel Arbeit im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus. "Da haben wir noch sehr, sehr viel zu tun, um wirklich die vielen Vorurteile aufzudecken, die teils bewusst, teils unbewusst da sind", sagte die CDU-Politikerin. Merkel erinnerte unter anderem an die Taten der nationalsozialistischen Terrorzelle NSU und den Anschlag von Hanau. Es sei etwa für türkischstämmige Menschen nicht so einfach zu glauben, dass sie hierzulande wirklich willkommen seien und gleiche Chancen hätten.
"Es ist jetzt sehr viel theoretische Arbeit gemacht worden", sagte Merkel. Nun müsse es aber an die Umsetzung gehen. "Vieles von dem, was wir hier machen, muss zur Normalität werden, das ist der Wunsch. Und zwar in der breiten Gesellschaft." Die Mehrheitsgesellschaft müsse offen sein und Vielfalt als Bereicherung begreifen. Zugleich bedürfe es aber auch der Bereitschaft von Menschen etwa mit Migrationshintergrund, sich einzubringen.
Nach einer zum Integrationsgipfel veröffentlichten Studie des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) beteiligen sich Deutsche mit Migrationshintergrund unterdurchschnittlich stark an Bundestagswahlen. Das gelte insbesondere für Wähler, die im Ausland geboren sind. Den Ergebnissen einer Befragung zufolge nahmen 85,8 Prozent der Erwachsenen ohne Migrationshintergrund an der Bundestagswahl 2017 teil. Unter den Wahlberechtigten mit ausländischen Wurzeln waren es dagegen nur 65 Prozent. Die Nachkommen von Zuwanderern gingen etwas häufiger zur Wahl (66,2 Prozent) als diejenigen, die selbst zugewandert waren (64,6 Prozent).
Daniel Gyamerah vom Verein "Each One Teach One", der sich für die Belange schwarzer Menschen einsetzt, drang auf eine spezifische Förderung für diskriminierte Gruppen sowie Gleichstellungs- und Teilhabegesetze auf Bundes- und Landesebene mit Quoten. Zudem müsse die Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutlich gestärkt werden.
Kritik aus Opposition: "Echter Wille fehlt"
Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Filiz Polat, verlangte mehr strukturelle Maßnahmen. "Das bedeutet zum Beispiel eine Abkehr von der kurzfristigen Projektförderung hin zu einer dauerhaften Förderung von Organisationen." Es brauche ein echtes Demokratiefördergesetz und mehr Möglichkeiten, mehr als eine Staatsangehörigkeit zu behalten. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Jörg Schindler, erhob ähnliche Forderungen. "Es fehlt bei der sogenannten 'Integrationspolitik' der Bundesregierung nicht an Beratung, sondern an echtem Willen", beklagte er.
Die Vorschläge lägen längst auf dem Tisch: Man brauche ein neues Staatsangehörigkeitsrecht mit einem Anspruch auf Einbürgerung nach fünf Jahren Aufenthalt. Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, erklärte: "Beim Thema Integration gibt es kein Ankündigungs-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Wir brauchen weniger Papier als wirkliche Weichenstellungen für besser funktionierende Integration." So brauche es unter anderem Investitionen in die Bildung, längere Integrationskurse und differenzierteren Sprachunterricht.
Quelle: ntv.de, ysc/dpa/AFP