Scharfe Töne aus Ankara Erdogan: "Netanjahu ist für uns kein Gesprächspartner mehr"
04.11.2023, 14:13 Uhr Artikel anhören
"Wir haben ihn gelöscht, wir haben ihn durchgestrichen", sagt Erdogan über Israels Premier Netanjahu.
(Foto: Via REUTERS)
Die Türkei verschärft erneut die Tonlage gegenüber Israel. Staatschef Erdogan schließt inzwischen Gespräche mit Premier Netanjahu aus. Die diplomatischen Beziehungen will er indes nicht abbrechen und berichtet von anderen Kanälen nach Tel Aviv. Ein Experte sieht darin auch ein Zeichen für Erdogans Frust.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat im Zuge des Gaza-Kriegs nach eigenen Worten den Kontakt zu Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu abgebrochen. "Netanjahu ist für uns keine Art von Gesprächspartner mehr", sagte er laut einer Mitteilung seines Pressebüros auf dem Rückflug von der kasachischen Hauptstadt Astana. "Wir haben ihn gelöscht, wir haben ihn durchgestrichen." Ankara beabsichtige allerdings nicht, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen. "Die Verbindungen komplett zu kappen, ist nicht möglich, besonders in der internationalen Diplomatie", betonte er.
Netanjahu habe "die Unterstützung seiner Bürger" verloren und wolle nun Unterstützung für die "Massaker" gewinnen, indem er "religiöse Terminologie" verwende, sagte Erdogan weiter. Die Türkei nutze alle diplomatischen Optionen, um "das Blutvergießen zu stoppen", sagte Erdogan. Dazu zählte er Gespräche mit israelischen Geheimdienstvertretern, dem Außenministerium sowie mit der Hamas und den palästinensischen Behörden. Demnach ist der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, Ibrahim Kalın, damit beauftragt, auf ein Ende der Kämpfe zwischen Israel und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas hinzuwirken. Kalin spreche sowohl mit der israelischen Seite als auch mit den Palästinensern und der Hamas.
Israel zieht Diplomaten ab
Vor Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober hatten sich Erdogan und Netanjahu am Rande der UN-Vollversammlung im September persönlich getroffen und vereinbart, einander zu besuchen. Im Zuge eines Normalisierungsprozesses war der israelische Regierungschef ursprünglich für Anfang November zu einem Türkeibesuch erwartet worden.
Bereits in der Vergangenheit hatte Erdogan Israel aufgrund der Palästinenserpolitik etwa als "terroristischen Staat" bezeichnet und sich immer wieder als Verfechter der palästinensischen Sache inszeniert. Die Israelkritik aus dem Munde des Staatsoberhauptes eines NATO-Mitglieds markiert eine Zäsur: Sie kommen im Anschluss an eine jahrelang mühsam vorangetriebene Wiederannäherung zwischen Israel und der Türkei. Erst vor etwa einem Jahr wurden Botschafter ausgetauscht.
Als Reaktion auf Erdogans kürzliche Erklärung, die Hamas sei keine Terror-, sondern eine Befreiungsorganisation, zog Israel seine Diplomaten prompt ab. Die Annäherung, von der auch die Türkei wirtschaftlich zu profitieren hoffte, scheint vorerst Geschichte. Am heutigen Samstag rief auch die Türkei ihren Botschafter in Israel zurück. Die humanitäre Krise und die fortdauernden Angriffe Israels im Gazastreifen sollten beraten werden, teilt das Außenministerium mit.
Experte: Erdogan als Vermittler nicht gefragt
Für Experte Salim Cevik könnten Erdogans scharfe Töne auch Ausdruck von Frust sein. Der Staatschef braucht die internationale Bühne, um bei den Wählern sein Image als international mächtiger und gefragter Politiker zu pflegen. Und so hätte er gern gefragter Vermittler sein wollen, ähnlich wie im Ukrainekrieg.
Doch der Versuch scheint gescheitert. Die Vermittlerrolle haben derzeit Ägypten und Katar inne. "Wenn die Hamas Israel bekämpfen will, wendet sie sich an den Iran. Wenn sie Frieden wollen, wenden sie sich an Ägypten. Wenn es finanzielle Mittel benötigt, wenden sie ich an Katar", sagt Cevik von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Türkei habe kaum Bedeutung. "Daher sucht er eine andere Position, indem er sich als Beschützer der sunnitischen Muslime präsentiert", sagt Cevik.
Hinzu kommt, dass der türkische Staatschef mit seiner Kritik auch eine propalästinensische Tendenz in der Bevölkerung bedient. Erdogan befürchte, einen Teil seiner Basis an andere konservative Parteien zu verlieren, die allesamt schärfste Töne gegen Israel anschlagen, sagt Cevik. Erdogan verfügt seit den Wahlen dieses Jahres nur über eine dünne Mehrheit. Die gilt es, vor dem Hintergrund der anstehenden Regionalwahlen im März 2024 zu wahren.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa