Politik

Alle gegen einen bei Günther Jauch Europas Kluft verläuft durchs Gasometer

imago_st_0628_23100001_65026637.jpg8531705717087357553.jpg

Die Polit-Talkshow offenbarte die ganze Absurdität der Griechenland-Rettungsversuche.

(Foto: imago/Stefan Zeitz)

Günther Jauch gelingt das Kunststück, die Griechenland-Verhandlungen in die TV-Stuben zu holen. Nun wissen wir endgültig: Zwischen Athen und Resteuropa liegen keine Welten - es sind Sonnensysteme.

Anja Kohl gehört definitiv nicht zu denen, die beim Thema Griechenland die Linie der deutschen Regierung vertreten, und schon gar nicht zu jenen, die "Hellas raus!" brüllen. Anfang Februar, eine Woche nach der Wahl in Hellas, zeigte sich die Journalistin in einer Sendung von Günther Jauch voller Verständnis für die Anliegen von Alexis Tsipras. Als wäre sie die geistige Schwester von Sahra Wagenknecht, sagte die Börsenexpertin Sätze wie: "Das griechische Volk blutet." Oder: "Diese Wahl war ein demokratischer Hilfeschrei eines Volkes, das so nicht mehr weiter kann und will." Und völlig zu Recht erinnerte sie die anderen Euro-Staaten an deren laxen Umgang mit den Maastricht-Kriterien: "Wir biegen uns die Verträge, wie sie uns gerade passen!"

Am Sonntag war Kohl wieder in Jauchs Gasometer. Der Gastgeber platzierte sie neben Theodoros Paraskevopoulos, einem engen Vertrauten von Tsipras. Doch Kohl war wie verwandelt. Sie referierte nüchtern über den Stand der Dinge, wie sie ihn sieht. Sie blieb stets sachlich und verzichtete auf Polemik. Doch je länger die Sendung dauerte, je mehr spürte der Zuschauer, wie sehr ihr Paraskevopoulos auf die Nerven ging. Der Grieche redete die Lage seiner Heimat schön, quatschte permanent rein und wusste grundsätzlich alles besser. Kohl reagierte verwundert, aber noch maßvoll: "Sie haben eine akute Finanzierungsnot und das Land ist nicht mehr liquide: Und Sie sagen, alles ist okay."

imago_st_0628_23160015_65025997.jpg3392897098332824676.jpg

Der Tsipras-Vertraute Theodoros Paraskevopoulos geriet ordentlich unter Druck.

(Foto: imago/Stefan Zeitz)

Als Klaus Regling, Chef der Rettungsschirme ESM und EFSF, zehn Minuten vor dem Ende der Talkshow die weitere Mitarbeit des IWF an den Griechenland-Verhandlungen als politisch gewünscht darstellte, begann Paraskevopoulos, gegen den Währungsfonds zu wettern. "Bevor der IWF über Griechenland nach Europa kam, war er ein abgewirtschafteter Verein." Diese linksgestrickte Masche der Athener Regierung, die Geldgeber, die Hellas vor der Pleite bewahrt haben, als skrupellose Raffgier-Kapitalisten hinzustellen, ist nicht neu.

Regling kommentierte: "Herr Jauch, hier wird noch mal das Grundproblem deutlich, das wir mit der griechischen Regierung haben. Es geht nicht um Mehrwertsteuersätze oder das Pensionseintrittsalter. Die Regierung lehnt das Wirtschaftssystem ab." Und Kohl sagte in Richtung des griechischen Diskutanten: "Der IWF hat 30 Milliarden Euro an Griechenland bezahlt, das größte Programm seiner Geschichte." Sarkastisch fügte sie an: "Ja, wissen Sie?!" und wandte sich angewidert von Paraskevopoulos ab. Hätte Kohl an der Stelle laut gesagt, was sie dachte, hätte es einen Eklat gegeben.

"So geht das, man steckt sie rein"

Wie genervt die Journalistin war, zeigte sich in ihrer gereizten, fast zickigen Reaktion auf die Aussagen von Paraskevopoulos, der - tatsächlich ahnungslos - erklärte, dass man natürlich weiter mit Kreditkarten in Griechenland bezahlen könne, wenn die Banken geschlossen seien. "Sind Sie sicher?" fragte Kohl. "Weil ja Ihr Konto belastet wird", meinte der Grieche. "Meinen Sie?", fragte sie zurück und konnte ihren Widerwillen kaum noch verbergen. "So geht das, man steckt sie rein", erklärte Paraskevopoulos, wie man eine Kreditkarte in einen Automaten schiebt, während Jauch abmoderierte.

So endete eine Sendung, in der vier Leute wild durcheinandergeschnattert und die altbekannten Argumente und Gegenreden abermals ausgetauscht hatten. Insbesondere Edmund Stoiber erregte sich so heftig über die Aussagen des griechischen Gastes, dass man stets fürchten musste, bald bekomme der Notarzt einen Patienten. Wie auch immer: Die Polit-Talkshow hatte definitiv ihr Gutes. Sie offenbarte die ganze Absurdität der Griechenland-Rettungsversuche.

Dem Gastgeber gelang es einerseits, einem Millionenpublikum das Ausmaß der Schwierigkeiten der Verhandlungen aufzuzeigen. Die gespenstisch tiefe Kluft zwischen Griechenland und seinen Geldgebern verlief mitten durch Jauchs Gasometer. Zwischen beiden Seiten lagen und liegen keine Welten, sondern Sonnensysteme. So würden, darf man vermuten, Koalitionsgespräche zwischen Linkspartei und Alternative für Deutschland aussehen. Ein Beispiel. "Es gab nie europäische Solidarität", meinte Paraskevopoulos. Regling daraufhin: "Es gab Solidarität in großem Umfang." Paraskevopoulos: "Es gab Solidarität mit den Großbanken in Deutschland und Frankreich." Da sprechen Euro-Partner komplett unterschiedliche Sprachen.

"Warum kratzen Sie nicht einfach die Kurve?"

Und andererseits wurde anhand der Person Anja Kohl klar, was die griechische Links-Rechts-Regierung erreicht hat: nichts. Eine Frau wie Kohl, eine aus der politischen Mitte, die Tsipras zunächst öffentlich unterstützt und einen Bruch mit dem Sparkurs gefordert hatte, hat die Nase gestrichen voll. "Das kann keiner mehr nachvollziehen von den Menschen da draußen, die um Europa fürchten", sagte sie und meinte damit auch sich selbst.

Paraskevopoulos hatte die eine Stunde vollständig genutzt, sämtliche Vorurteile und Urteile über die Tsipras-Regierung zu bestätigen: Hybris, Realitätsverlust, Verdrehung der Tatsachen und Unverfrorenheit, wie sie Europa nicht kannte. "Ideologische Scheuklappen und geballte Inkompetenz" bescheinigte der Grieche IWF, EZB und EU-Kommission. Selbst Regling, normalerweise stoisch wie ein Postbeamter, ließ sich zu plattem Sarkasmus hinreißen: "Ich weiß, Sie wissen alles besser und den Griechen geht's gut." Paraskevopoulos: "Seit einem Jahr wird versucht, die griechische Wirtschaft abzuwürgen, um Zugeständnisse zu bekommen." Regling entgeistert: "Was ist denn das für eine Verschwörungstheorie?"

"So leicht vergeben die Europäer keine Kredite", stellte Regling klar. "Wir wollen ja gar keine", entgegnete der Grieche. "Warum kratzen Sie nicht einfach die Kurve, weil Sie mit denen hier doch eigentlich gar nichts mehr zu tun haben wollen?", fragte Jauch. Griechenland wolle den Euro behalten, beteuerte Paraskevopoulos: "Egal, wie das Referendum ausgeht, am nächsten Montag gibt es Verhandlungen. Es geht ja um viel Geld." Man muss fürchten, dass er recht hat.

Und natürlich kam auch das Thema Steuern dran. Paraskevopoulos sagte, die Reeder seiner Heimat könnten nicht stärker zur Kasse gebeten werden, weil die aktuelle, großzügige Regelung in der Verfassung stehe. "Das kann man ändern", warf Regling ein. "Das kann man ändern", sagt der Hellene. "In acht Jahren." Na dann, Europa, mach dich frisch.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen