Politik

Neue Kämpfe ausgebrochen Evakuierung Ost-Aleppos wird ausgesetzt

Regierungstreue Kämpfer in den Straßen Aleppos.

Regierungstreue Kämpfer in den Straßen Aleppos.

(Foto: AP)

Das Ende der Kämpfe in Aleppo war schon verkündet, Busse sollten Zivilisten und Rebellen aus der Stadt bringen. Doch Damaskus beordert die Busse zurück, stattessen kehren Kampfjets und Artilleriefeuer zurück.

In der syrischen Stadt Aleppo hat das Militär seine Angriffe auf die letzten Rebellengebiete wieder aufgenommen. Das berichten übereinstimmend die russische Armee, Rebellen und oppositionsnahe Aktivisten. Die Truppen von Syriens Machthaber Baschar al-Assad hätten am Mittwochmorgen Dutzende Granaten in die noch von den Rebellen gehaltenen Straßenzüge abgeschossen, hieß es von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Später wurden neue Luftangriffe gemeldet. Die Rebellen wiederum hätten mindestens acht Granaten auf Gebiete unter Regierungskontrolle gefeuert.

Die russische Armee erklärte, es habe zuvor einen Angriff der Rebellen gegeben. Die Aufständischen hätten im Morgengrauen "die Waffenruhe ausgenutzt", um ihre Kräfte zu bündeln und die Linien der syrischen Regierungseinheiten im Nordwesten Aleppos zu durchbrechen.

Am Dienstag waren die Kämpfe für beendet erklärt worden. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin erklärte, das syrische Militär habe seine Einsätze gestoppt, um Rebellen und ihren Familien die Flucht aus der Stadt zu ermöglichen. An diesem Mittwochmorgen sollte die Evakuierung beginnen.

Zahlreiche Busse standen dazu bereit. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und den Rebellen konnte aber noch niemand die Stadt verlassen. Die Rebellen machten dafür Milizen des Iran verantwortlich, der mit Präsident Baschar al-Assad verbündetet ist. Inzwischen beorderte die syrische Regierung die Busse zurück.

Syrien und der Iran stellen Bedingungen

Die Vereinbarung zur Evakuierung der letzten von Rebellen kontrollierten Gebiete ist anscheinend wegen Einwänden der syrischen Regierung ausgesetzt worden. Eine regierungsnahe Quelle sagte, die Regierung in Damaskus habe Einwände gegen die Zahl der Rebellen und Zivilisten erhoben, die die Rebellengebiete verlassen sollten. Zudem forderte die Regierung eine Namensliste. Laut der Beobachtungsstelle war Syriens Führung unzufrieden mit dem Abkommen, weil es ihr von Russland aufgezwungen worden sei.

Die Busse sollten Zivilisten und Kämpfer aus Aleppo bringen - dazu kam es aber nicht.

Die Busse sollten Zivilisten und Kämpfer aus Aleppo bringen - dazu kam es aber nicht.

(Foto: REUTERS)

Auch der Iran stellte nach Angaben von Rebellen und eines UN-Vertreters Bedingungen für eine Evakuierung. So sollten zeitgleich Verletzte gerettet werden, die sich in den von Rebellen gehalten Orten Fua und Kefraja befinden. Der Iran unterstützt einige der kampfstärksten Milizen in Aleppo, die auf der Seite der Regierung von Präsident Assad stehen.

Türkei: Syrien will Waffenruhe verhindern

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Syrien und seinen Verbündeten vor, die Vereinbarung über den Rebellen-Abzug und die Evakuierung von Aleppo zu hintertreiben. "Wir sehen jetzt, dass das Regime und manche Gruppen versuchen, sie zu verhindern", sagte er der Nachrichtenagentur Anadolu. Daher sei es zu Verzögerungen bei den geplanten Evakuierungen gekommen.

Cavusoglu sagte, er werde noch im Laufe des Tages mit den Außenministern Russlands und des Iran sprechen. Die Türkei kündigte außerdem an, eine Zeltstadt für bis zu 80.000 Flüchtlinge aus Aleppo aufzubauen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, er wolle mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefonieren. Die syrischen Regierungstruppen hätten die vereinbarte Waffenrufe verletzt, sagt er. Präsident Assad begehe in Ost-Aleppo Kriegsverbrechen.

Derweil rechnet der russische Außenminister Sergej Lawrow damit, dass die syrischen Regierungstruppen bei der Einnahme der Stadt Aleppo nur noch "zwei bis drei Tage" auf "Widerstand" treffen werden. Dann würden die Aufständischen ihren Widerstand aufgeben, sagte er laut russischen Nachrichtenagenturen.

100.000 Menschen auf fünf Quadratkilometern

Nach Angaben der Hilfsorganisation Médecins du Monde (Ärzte der Welt) sind noch etwa 100.000 Menschen auf einem Gebiet von lediglich fünf Quadratkilometern im Osten der Stadt eingeschlossen. Viele fürchten nach monatelangem Bombardement nun Plünderungen und Gewalt syrischer Truppen und von deren iranischen Verbündeten. Zudem ist die medizinische Versorgung weitgehend zusammengebrochen, und es gibt nicht genügend Lebensmittel und Trinkwasser.

Sicherheitsexperten und Außenpolitiker warfen dem Westen schwere Verfehlungen im Syrien-Konflikt vor. Der Westen habe viel zu spät reagiert, erklärte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour bei n-tv. "Wir haben ein Riesenvakuum hinterlassen in Syrien mit unserer Ignoranz, das nun gefüllt wurde von russischen Bomben. Das hat zu dieser unglaublichen humanitären Tragödie geführt in ganz Syrien und am meisten zugespitzt jetzt in Aleppo."

Nouripour kritisierte, die Europäer hätten es nicht geschafft, mit einer Stimme zu sprechen: "Mittlerweile treffen sich nur noch die Russen mit den Amerikanern und laden die Türken, die Iraner und die Saudis ein und das wars. Deshalb haben wir uns komplett selbst aus dem Spiel genommen und haben jegliche Einflussmöglichkeiten weggenommen."

Westen verliert Glaubwürdigkeit

Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sprach von Versagen und dem zunehmenden Verlust von Einflussnahme. Der "Bild"-Zeitung sagte er, "man kann nicht die Absetzung eines Diktators fordern, dann die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass er freiwillig abtritt. Mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit hat der Westen auch die Fähigkeit verspielt, der syrischen Bevölkerung zu Hilfe zu kommen".

Zuvor hatte bereits UN-Generalsekretär Ban Ki Moon seiner Organisation Kapitalversagen bei der Lösung des Konflikts in Syrien attestiert. "Wir alle haben die Menschen in Syrien bislang kollektiv hängenlassen."

Quelle: ntv.de, hul/rts/AFP/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen