EU will PFAS verbieten "Ewige Chemikalien stehen im Verdacht, krebserregend zu sein"
16.04.2023, 10:04 Uhr Artikel anhören
PFAS verteilen sich über Luft und Wasser in der Umwelt.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Obwohl sie teilweise gesundheitsschädlich sind, finden sie sich in vielen Produkten: PFAS. Hunderte Orte Deutschlands sind durch diese ewigen Chemikalien verunreinigt. Deutschland setzt sich deshalb mit vier weiteren Staaten für ein Verbot der PFAS in der gesamten Europäischen Union ein, das ab 2026 greifen soll. Das Umweltbundesamt arbeitet momentan an einem entsprechenden Gesetzentwurf der EU-Kommission mit. Zum Expertenteam des Amts zählt Chemiker Jona Schulze. Im Interview mit ntv.de erklärt er, welche Gefahren von PFAS ausgehen und worauf es bei der Arbeit an dem Verbot ankommt.
ntv.de: Ewige Chemikalien reichern sich in Böden an. Sie wurden an mindestens 1500 Orten in Deutschland nachgewiesen. Wie schaden PFAS der Gesundheit und Umwelt?
Jona Schulze: Wir können nicht sagen, dass alle PFAS schädliche Effekte in der Umwelt haben, aber sie sind langlebig, das heißt, sie verbleiben für lange Zeit in der Umwelt. Das liegt daran, dass sie sich aus langen Kohlenstoffketten zusammensetzen, bei denen Wasserstoffatome ganz oder teilweise durch Fluoratome ersetzt sind. Das ist eine der stärksten Verbindungen, die man im Bereich der organischen Chemie kennt.
Wie viele PFAS gibt es?
Wir gehen davon aus, dass es bis zu 10.000 einzelne Chemikalien sind, die sich unter diesem Begriff zusammenfassen lassen. Es gibt für einige Stoffe Untersuchungen, die zeigen, dass sie negative Effekte auf Menschen haben, zum Beispiel auf den Stoffwechsel, den Hormonhaushalt, die Fortpflanzung oder das Immunsystem. Manche der ewigen Chemikalien stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Da einige von ihnen mobil sind, können sie sich mit dem Wasserkreislauf in der Umwelt verteilen. Sie akkumulieren entlang der Nahrungskette und sind daher in höheren Konzentrationen in Raubtieren zu finden. Es gibt Situationen, in denen Chemikalien über lange Strecken hinweg transportiert werden, in der Luft oder im Wasser. Sie gelangen in Bereiche, die weitab der menschlichen Einflussnahme liegen, wie zum Beispiel die Arktis.
Wie gelangen PFAS in den menschlichen Körper?
Sie werden vor allem über die Ernährung und das Wasser aufgenommen. Es besteht theoretisch auch die Möglichkeit, die PFAS einzuatmen. Das geschieht jedoch nur, falls man ihnen lange und intensiv ausgesetzt ist, etwa wenn man mit ihnen arbeitet. Ansonsten ist die Aufnahme über die Luft eher zu vernachlässigen. Die Luft ist eher relevant für den Langstreckentransport der PFAS über hohe Atmosphärenschichten in entlegene Regionen. Einige Stoffe aus dieser Gruppe können, wenn sie in die Atmosphäre gelangen, Treibhausgaspotenzial haben. Das heißt, sie tragen zum Treibhauseffekt bei.
Ist es möglich, die betroffenen Orte in Deutschland wieder von den PFAS zu reinigen?
Das ist theoretisch möglich. In der technischen Umsetzung ist das nicht einfach, aber es gibt eine Behandlung von kontaminierten Böden mit hohen Temperaturen. Indem man die PFAS verbrennt, kann man die Verbindungen aufbrechen und mineralisieren. Das Problem dabei: Der Boden verliert seine biologische Funktion. Alle Organismen, die im Boden vorgekommen, sind dann tot. Außerdem kostet das Ganze viel Energie und Geld. Bei einer Verunreinigung im Raum Rastatt gibt es erste Schätzungen, wonach die Bereinigung von Böden und dem Grundwasser mehrere Milliarden Euro kosten würde. Es gibt Entwicklungen hin zu günstigeren und einfacheren Reinigungsmethoden, die aber noch am Anfang stehen. Mit Blick auf Umwelt- und Gesundheitsschutz ist es sinnvoller, am Anfang des Problems anzusetzen und die Stoffe gar nicht in die Umwelt kommen zu lassen.
Ewige Chemikalien finden sich vielen in Alltagsgegenständen wie Anoraks, Teflonpfannen und Kosmetik. Wie können Verbraucher erkennen, ob ein Produkt frei von PFAS ist?
Das ist nicht einfach, weil es keine Kennzeichnungspflicht gibt. Kosmetikprodukte sind noch eine Ausnahme, da eine Liste mit Inhaltsstoffen auf der Verpackung steht. Da kann man nach Schlagworten wie Fluor suchen. Im Bereich Textilien gibt es Siegel wie den Blauen Engel oder das GOTS-Zertifikat, die eine Verwendung von PFAS ausschließen. Es gibt auch solche Label wie PFOA- oder PFOS-frei, das sind Stoffe, die zu den PFAS zählen und nachweislich toxisch sind. Aber diese zwei Substanzen sind sowieso bereits verboten. Das heißt, diese Label sagen nichts aus und es können andere PFAS im Produkt enthalten sein. Außerdem gibt es vom Umweltbundesamt die sogenannte Scan4Chem App. Damit kann man einen Barcode von Produkten mit dem Handy scannen. Nach dem Scan bekommt man Auskunft darüber, ob besonders besorgniserregende Stoffe drin sind. Oder man stellt eine Anfrage bei den Herstellern, ob solche Stoffe im Produkt sind.
Sie leisten im Umweltbundesamt Vorarbeit für einen Gesetzentwurf, der die Grundlage für ein EU-weites Verbot der PFAS bildet. Doch die PFAS haben ja bereits ihren Weg in die Umwelt gefunden. Was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn sie sich weiter anreichern?
Wir haben die Sorge, dass wir gravierende Effekte auf die Umwelt und die darin lebenden Organismen sehen werden. Bislang wissen wir nicht genug über die PFAS um das sicher sagen zu können. Es könnte generationenübergreifende Effekte geben, sodass bei Menschen und Tieren die Nachkommen beeinträchtigt sind, sie beispielsweise ein geringeres Geburtsgewicht und schwächeres Immunsystem haben. Dadurch werden sie empfindlicher gegenüber anderen Stressfaktoren und haben eine geringere Chance zu überleben. Das wiederum kann Effekte auf das gesamte Ökosystem haben.
Was machen Behörden bislang, um die Gesundheit von Menschen zu schützen?
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat deshalb 2020 Grenzwerte für die tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge (TWI) für vier PFAS im menschlichen Körper festgelegt und in Deutschland gelten ab 2026 strengere Grenzwerte für PFAS in Trinkwasser. Das Umweltbundesamt hat Studien zu diesem Thema durchgeführt, wobei Blut von Kindern und Jugendlichen untersucht wurde. Bei den Blutproben wurde festgestellt, dass die Grenzwerte teilweise überschritten wurden, in einem Ausmaß, dass negative Effekte nicht ausgeschlossen werden können.
Ein generelles PFAS-Verbot alarmiert die Industrie, weil die Stoffe aufgrund ihrer vielseitigen Eigenschaften in der Produktion beliebt sind. Vor welchen Problemen steht die EU bei der Arbeit an einem Verbot?
Nach der Einführung der REACH-Verordnung 2007 wurden in der EU sechs Gruppen der PFAS in ihrer Verwendung beschränkt. Aber die Regulierung läuft immer ein Stück weit der Entwicklung hinterher. Wir hatten Fälle von sogenannten bedauernswerten Substitutionen. Das heißt, es wurde eine Gruppe an Stoffen reguliert, aber anschließend wurde ein anderer Stoff auf den Markt gebracht, der zwar die gleichen technischen Eigenschaften erfüllt, sich aber später auch als problematisch für Menschen oder Umwelt herausgestellt hat. Um dem zu begegnen, gibt es einen neueren Ansatz, wobei wir versuchen, alle PFAS in allen Verwendungen zu adressieren, um eben dieses Prozedere zu unterbinden. Wir führen keine abgeschlossene Liste über verbotene Stoffe, sondern arbeiten mit einer chemischen Definition dessen, was als PFAS gilt. Das Verbot gilt dann auch für Stoffe, die noch gar nicht entwickelt wurden, aber die gleichen Strukturmerkmale haben.
Aber wie soll die Industrie PFAS in der Produktion ersetzen?
Es gibt Bereiche, in denen es gut erforschte Alternativen gibt, zum Beispiel bei Textilien für den privaten Gebrauch, wie Outdoorbekleidung, Teppiche und Polster. Die müssen nicht unbedingt mit PFAS beschichtet werden, um wasserabweisend zu sein. Da gibt es auch Wachse oder andere nicht fluorierte Kohlenwasserstoffverbindungen, die eine wasserabweisende Wirkung haben. Oder man setzt auf natürliche Stoffe wie Wolle, die von sich aus wasserabweisend sind. Bei Pfannen und Kochgeschirr kann man auf die PTFE-Beschichtung verzichten und auf Eisenpfannen setzen. Die brennen nicht an, wenn man sie richtig handhabt, und sie halten auch länger, weil es eben keine Beschichtung gibt, die irgendwann abblättert. In anderen Bereichen ist es schwieriger, etwa bei persönlicher Schutzausrüstung und Medizinprodukten. Dort gibt es teilweise noch keine marktreifen Alternativen. Noch schwieriger wird es, wenn wir auf industrielle Prozesse gucken, zum Beispiel die Herstellung von Halbleitern. Da ist die Forschung zu Alternativen teilweise noch ganz am Anfang.
Mit Jona Schulze sprach Lea Verstl.
Quelle: ntv.de