Folgen des Kirchen-Anschlags Frankreich fürchtet die Spaltung
27.07.2016, 04:53 Uhr
Eine Frau betet an den Treppen zu der Kirche, in der der Priester ermordet wurde.
(Foto: dpa)
Es ist religiöser Hass in seiner übelsten Form: Zwei Islamisten ermorden einen christlichen Priester in seiner Kirche. Französische Muslime sind entsetzt. Welche Folgen wird der Anschlag haben? Politiker warnen vor der Spaltung des Landes.
Nach dem offenbar islamistisch motivierten Angriff auf eine Kirche will sich die französische Regierung gegen eine Spaltung der Gesellschaft stemmen. Ziel der Angreifer war nach Ansicht von Premierminister Manuel Valls, Franzosen gegeneinander aufzuhetzen und einen "Krieg der Religionen zu provozieren". Er rief seine Mitbürger auf, zusammenzustehen. "Unsere Antwort ist die Demokratie."
Auch Präsident François Hollande warnte: "Was diese Terroristen wollen, ist uns zu spalten." Für den Mittwochmorgen hat der Staatschef Vertreter der Religionsgemeinschaften in den Elysée-Palast geladen. Anschließend berät er mit seinem Sicherheitskabinett über die Lage, danach folgt eine Kabinettssitzung.
Die beiden Angreifer waren am Dienstagmorgen bewaffnet in die Kirche von Saint-Etienne-du-Rouvray bei Rouen eingedrungen, in der sich der Priester, drei Nonnen und zwei Gemeindemitglieder befanden. Die Männer schnitten dem 1930 geborenen Priester die Kehle durch und verletzten einen 86-jährigen Gottesdienstbesucher schwer am Hals, wie der Pariser Staatsanwalt François Molins sagte. Die beiden Angreifer, die sich zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannten, wurden erschossen.
Muslime erklären "totale Solidarität"
Hollande sprach von einem "schändlichen Terroranschlag". Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Tat über ihr Sprachrohr Amak für sich. Es ist der erste Anschlag auf eine katholische Kirche in Europa, zu dem sich der IS bekannte. Die Täter wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft erschossen, als sie sich mit dem Ruf "Allahu akbar" auf Polizisten vor der Kirche des 29.000-Einwohner-Orts in der Nähe von Rouen stürzten.
Politiker wie Geistliche verurteilten den Angriff scharf. Die muslimische Dachorganisation in Frankreich (CFCM) verdammte den "feigen und barbarischen Terrorakt" und drückte ihre "totale Solidarität mit allen Christen Frankreichs" aus. Der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, erinnerte am Abend vor dem Pariser Elysée-Palast an das christliche Gebot der Feindesliebe. "Seine Feinde lieben, ist das möglich?", fragte Lebrun nach einem Treffen mit Hollande und Innenminister Bernard Cazeneuve. "Ich werde es versuchen, zumindest werde ich für sie beten." Er wolle sich nicht von Rache und Zorn überwältigen lassen.
Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Ob es konkrete Hinweise auf Kontakte der Täter zum IS gibt, sagten die Ermittler nicht. Nach Angaben von Staatsanwalt Molins hatten die Angreifer Sprengstoffattrappen, Messer und eine Pistole bei sich. Einer von ihnen war den Behörden bekannt: Adel Kermiche stand in einem laufenden Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts unter Aufsicht der Justiz und trug eine elektronische Fußfessel. Der zweite Angreifer ist noch nicht identifiziert.
Eine Nonne konnte entkommen
Kermiche hatte 2015 zweimal versucht, nach Syrien zu reisen. Er wurde einmal in Deutschland, einmal in der Türkei gestoppt und festgenommen. In Frankreich kam er daraufhin in Untersuchungshaft, wurde aber im März entlassen und durfte sein Haus nur zu bestimmten Zeiten verlassen. Laut Molins stand Kermiche zum Tatzeitpunkt bei seinen Eltern unter Hausarrest und durfte deren Wohnung nur wenige Stunden am Vormittag zwischen 08.00 Uhr und 12.30 Uhr verlassen. Die Tat beging er gegen 09.30 Uhr. Die Pariser Staatsanwaltschaft hatte damals vergeblich versucht, seine Freilassung zu verhindern.
Auch die Polizeigewerkschaft kritisierte die Freilassung von Kermiche. Die Praxis, Verdächtige unter Auflagen mit Fußfesseln freizulassen, müsse in Fällen "mit jedwedem Bezug zum Terrorismus" beendet werden, sagte der Vize-Generalsekretär der Polizeigewerkschaft Alliance Frédéric Lagache. Zuvor hatten bereits Oppositionspolitiker der Regierung Versagen vorgeworfen. Frankreichs konservativer ehemaliger Staatschef Nicolas Sarkozy forderte eine "tiefgreifende Änderung" im Kampf gegen den Terrorismus.
Zuvor hatten bereits Oppositionspolitiker der Regierung Versagen vorgeworfen. Frankreichs konservativer ehemaliger Staatschef Nicolas Sarkozy forderte eine "tiefgreifende Änderung" im Kampf gegen den Terrorismus. Die Vorsitzende der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, machte "all jene, die uns seit 30 Jahren regieren", für die Tat verantwortlich.
Staatsanwalt Molins schilderte den Hergang der schrecklichen Ereignisse in der Kirche. Eine der Nonnen konnte entkommen und die Polizei alarmieren. Diese versuchte, durch eine kleine Tür mit den Attentätern zu verhandeln, die ihre Geiseln als menschliche Schutzschilde missbrauchten. Schließlich verließen die Nonnen und ein Gottesdienstbesucher die Kirche gefolgt von den Attentätern, von denen einer eine Schusswaffe trug. Wie der Staatsanwalt weiter berichtete, riefen die Angreifer "Allahu Akbar" (Gott ist groß), bevor sie von den Polizisten vor der Kirche erschossen wurden. Beide Männer hatten Sprengstoffattrappen in Aluminiumfolie umgebunden.
Quelle: ntv.de, bdk/dpa/AFP