Taliban verkünden ihren Sieg Ghani erklärt Flucht: "Blutbad verhindert"
15.08.2021, 21:27 Uhr
Aschraf Ghani spricht am am 14. August zum afghanischen Volk - vielleicht letztsmals als Präsident.
(Foto: picture alliance/dpa/XinHua)
Unblutig nehmen die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Das verdanken sie auch dem Präsidenten des Landes: Aschraf Ghani flüchtet, als die Milizen die Hauptstadt umstellen. Um ein Blutbad zu verhindern, sagt er anschließend. Seine Verbündeten sehen es anders.
In einem rasanten Feldzug haben die Taliban innerhalb einer guten Woche ganz Afghanistan quasi komplett erobert. Am Abend übernahm die radikalislamische Miliz auch die Kontrolle über den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Kabul. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie sich Dutzende bewaffnete Kämpfer der Miliz in dem Gebäude aufhielten. "Unser Land wurde befreit und die Mudschaheddin haben in Afghanistan gesiegt", sagte einer von ihnen dem TV-Sender Al-Dschasira. Präsident Aschraf Ghani hatte das Land wenige Stunden zuvor verlassen.
Über den Nachmittag war die Miliz nach eigenen Angaben in mehrere Bezirke der Hauptstadt vorgerückt. Die Einheiten wurden demzufolge angewiesen, in Kabul nach der Flucht der Polizei für Sicherheit zu sorgen. Gut 20 Jahre nach Beginn des Afghanistan-Krieges stehen die Islamisten somit vor einer Rückkehr an die Macht. Der in Katar ansässige Sprecher der Miliz erklärte in der BBC, dass man auf eine "friedliche Übergabe" warten werde. Seinen Angaben zufolge wollen die Taliban eine "inklusive islamische Regierung" aufbauen, in der "alle Afghanen" vertreten seien.
Berichte über größere Kämpfe in der afghanischen Hauptstadt liegen bisher nicht vor. Dennoch spielten sich in Kabul teils chaotische Szenen ab. So kam zu einer Schießerei vor einer Bank, als Anwohner versuchten, ihr Erspartes abzuheben und Lebensmittel zu kaufen. Afghanischen Medien berichten zudem über mehrere Explosionen, die sich am Abend ereignet haben sollen. Nähere Informationen liegen bislang nicht vor.
Kritik an Ghani
Der afghanische Präsident Ghani rechtfertigte seine Flucht aus dem Land mit der Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung. Er sei ins Exil geflohen, um "ein Blutbad zu verhindern", erklärte Ghani am Abend auf Facebook. Wenn er geblieben wäre, wären "zahllose Patrioten" getötet und Kabul zerstört worden, fügte er hinzu. "Die Taliban haben gesiegt", so der Präsident. Die Islamisten seien nun verantwortlich für "die Ehre, das Eigentum und die Selbsterhaltung ihrer Landsleute".
In welchem Land er sich inzwischen aufhält, verriet Ghani nicht. Lokale Medien berichteten, er sei nach Tadschikistan geflogen. Der Sender Al-Dschasira berichtet dagegen unter Berufung auf einen Leibwächter des Politikers, dass sich Ghani mit seinem in der usbekischen Hauptstadt Taschkent befinde.

Taliban-Kämpfer machen vor dem Haus des Gouverneurs der eroberten Provinz Gasni ein Erinnerungsfoto.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Andere führeren Politiker haben für seine die Flucht wenig Verständnis. Die afghanische Bildungsministerin Rangina Hamidi reagierte "geschockt und ungläubig" auf das Handeln von Ghani: "Das Traurigste ist, dass ich das nicht erwartet hatte vom Präsidenten, den ich kannte und dem ich vollkommen vertraut habe", sagte sie der BBC. Sie wolle es noch immer nicht wahrhaben, dass er gegangen sei. "Aber wenn er es getan hat, ist es wirklich eine Schande."
Auch der Vorsitzende des Nationalen Rats für Versöhnung, Abdullah Abdullah, kritisierte den Präsidenten. Gott möge "Ex-Präsident" Ghani für seine Flucht zur Rechenschaft ziehen, sagte er in einer Videobotschaft. Auch das Volk werde über ihn richten.
Kampflos an die Macht
Der Abzug der US- und der Nato-Truppen aus Afghanistan hatte erst im Mai begonnen. Seitdem haben die Taliban gewaltige Gebietsgewinne verzeichnet. In den vergangenen knapp eineinhalb Wochen nahmen sie fast alle Provinzhauptstädte ein. Viele fielen kampflos, so am Samstagabend auch Masar-i-Scharif im Norden des Landes. Dort war bis vor wenigen Wochen noch ein großes Feldlager der Bundeswehr, die deutschen Soldaten zogen erst Ende Juni ab. Die Bundeswehr hatte zuletzt afghanische Sicherheitskräfte im Zuge des Nato-Einsatzes "Resolute Support" ausgebildet.
Am Sonntagmorgen übernahm die Miliz ebenfalls kampflos die Stadt Dschalalabad im Osten des Landes. Es war die vorletzte, die noch unter Kontrolle der Regierung stand. Wenig später sammelten sich Taliban-Kämpfer an den Toren der Hauptstadt Kabul. Sie wurden allerdings zunächst angewiesen, nicht in die Stadt vorzudringen. Im Laufe des Tages besetzten Kämpfer der Miliz dann ohne Gefechte wichtige Sicherheitsposten in der Hauptstadt.
Quelle: ntv.de, chr/AFP/dpa/rts