Reaktionen auf Taliban-Siegeszug Graf Lambsdorff: "Auf ganzer Linie versagt"
15.08.2021, 17:52 UhrDie radikal-islamistischen Taliban nehmen Afghanistans Hauptstadt Kabul ein. Noch immer sitzen viele deutsche Hilfskräfte dort fest. Die Politik in Deutschland reagiert nicht nur mit Bestürzung auf den Siegeszug der Terrormiliz. Es gibt auch Kritik an Außenminister Heiko Maas. Besonders deutlich werden Grünen-Politiker Jürgen Trittin und FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff.
Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, im Gespräch mit der "Augsburger Allgemeinen": "Was im Moment in Afghanistan geschieht, ist ein Desaster."
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf Twitter: "Viel zu lange hat die Bundesregierung die Augen vor der Realität in Afghanistan verschlossen. Noch im Juni haben Union und SPD den Antrag von der Grünen abgelehnt, Ortskräfte frühzeitig zu evakuieren. Das rächt sich jetzt auf schmerzlichste Weise."
CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung: "Es nähert sich gerade der 11. September. Zum 20-jährigen Jubiläum ist jetzt genau diese Gruppe, die damals zumindest teilweise für die schlimmen Ereignisse verantwortlich war, wieder zurück an der Macht." Besonders erschütternd sei die Art und Weise, wie es jetzt zu dieser Machtübernahme käme, nämlich nahezu kampflos. Söder verweist auf das moderne militärische Material, das den afghanischen Sicherheitskräften überlassen worden sei, das nun den Taliban in die Hände falle. "Das zeigt, dass diese 20 Jahre offenkundig sinnlos gewesen sind. Deswegen ist das eine der größten Niederlagen der westlichen Politik - das muss man ganz ehrlich so sagen", so Söder weiter.
Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff sagte der "Welt", Außenminister Maas, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Innenminister Horst Seehofer hätten "auf ganzer Linie versagt". Die Bundesregierung sei unfähig gewesen, Ortskräften rechtzeitig die Ausreise zu ermöglichen - das sei "beschämend".
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Man muss sich fragen, warum die Bundesregierung so überrascht wirkt vom schnellen Vorstoß der Taliban". Die Bundesregierung müsse jetzt ganz schnell handeln. "Es ist unverständlich, warum nicht schon spätestens vor einer Woche Leute aus Afghanistan herausgeholt worden sind mit der Möglichkeit, Visa erst in Deutschland auszustellen."
Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, hatte bereits am Sonntag Vorwürfe gegen Außenminister Maas zurückgewiesen. "Heiko Maas leitet nicht nur den Einsatzstab zur Rettung der deutschen Staatsangehörigen und Botschaftskräfte, sondern hat sich in den letzten Wochen auch intensiv um die Ausreise der afghanischen Ortskräfte und weiterer Menschen, die über die Unterstützung der Bundeswehr hinaus vor Ort tätig sind, gekümmert." Zudem befinde er sich im ständigen Austausch mit den internationalen Partnern.
Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Bundesaußenminister Heiko Maas hat hier viel Schuld auf sich geladen. Wenn die Menschen, die noch in Kabul in den Schutzräumen warten, aber noch nicht auf dem Flughafen sind, nun nach der Einigung zwischen Präsident Aschraf Ghani und den Taliban nicht mehr gerettet werden können, ist er dafür verantwortlich." Seit einer Woche blockiere der Außenminister eine Rettung und unbürokratische Aufnahme in Deutschland. "So ein Versagen, das so viel Leid mit sich bringen wird, ist beispiellos."
Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, sagte: "Wie die Bundesregierung, allen voran Außenminister Maas, bei der Evakuierung deutscher Botschaftsangehöriger, Mitarbeitern von NGOs und afghanischen Ortskräften dilettiert, ist skandalös und gefährdet Menschenleben. Während andere Länder ihre Angehörigen schon seit Tagen aus Afghanistan ausfliegen, bequemt sich die Bundesregierung erst jetzt, Flugzeuge nach Kabul zu schicken."
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner auf Twitter: "Die Bundesregierung trägt Schuld an der humanitären Katastrophe in Afghanistan. Warum gibt es keinen Plan zur Evakuierung der Ortskräfte/NGOs? Warum wurden Angebote der US-Amerikaner ausgeschlagen? Warum starten Flugzeuge erst morgen und dann nur zwei?"
Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz auf Twitter: "Zur Schadensbegrenzung gehört, dass sich die über 40 am Afghanistan-Einsatz beteiligten Nationen bereit erklären, die Nachbarländer bei der Aufnahme afghanischer Flüchtlinge zu unterstützen. Deutschland sollte sich mit einem Kontingent an einem Resettlement-Programm beteiligen."
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi auf Twitter: "Unabhängig davon, dass der Afghanistan-Krieg ein Desaster war! Es sagt etwas über den politischen Kompass auf der Regierungsbank, dass die Bundeswehr zwar Restbier mitgenommen, aber nicht einmal ihre Ortskräfte geschützt hat. Das ist übrigens ein Versagen der politischen Führung!"
FDP-Außenpolitiker und Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff in der Düsseldorfer "Rheinischen Post": "Die Bundesregierung wirkt planlos. Es gibt Schuldzuweisungen zwischen den Ministerien. Das ist eine unwürdige Diskussion."
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf Twitter: "Ich bin traurig und entsetzt. Ich denke an die neuen Opfer des brutalen Fanatismus der Taliban, den zu erwartenden Bürgerkrieg und die Flüchtlinge, die eigentlich in ihrer Heimat bleiben wollten. Die Situation, wie sie jetzt entstanden ist, war vermeidbar. Wir hätten handeln können. Was jetzt unmittelbar zu tun ist, ist klar: Die Bundesregierung muss jeden Menschen, gegenüber dem Deutschland eine Schutzverantwortung hat, sofort und sicher herausholen. Ein Bundestagsmandat kann notfalls nachgeholt werden, weil Gefahr im Verzug ist. Danach gilt es, die pol. Konsequenzen zu ziehen."
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte der "Welt": "Die Bundesregierung hat offenbar den Zeitpunkt verschlafen, die deutschen Staatsbürger und die einheimischen Ortskräfte, die für uns gearbeitet haben, rechtzeitig in Sicherheit zu bringen." Sie müsse nun alles dafür tun, alle Deutschen sowie die Ortskräfte mit ihren Familien in rauszuholen - notfalls unter dem Schutz der Bundeswehr.
Quelle: ntv.de, ses/dpa