Politik

"Blutkonserven werden aufgetaut" Habeck erfuhr aus US-Dossier vom Kriegsbeginn

Für die Ukraine, aber auch für die ganze Welt, war der Einmarsch russischer Truppen ein Schock, der bis heute anhält.

Für die Ukraine, aber auch für die ganze Welt, war der Einmarsch russischer Truppen ein Schock, der bis heute anhält.

(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)

Wie bei 9/11 werden sich viele Menschen an den Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine erinnern. Auch für Spitzenpolitiker der Ampelkoalition ist der Kriegsbeginn ein einschneidendes Erlebnis. Erstmals berichten sie sehr persönlich, wie sie die Tage vor einem Jahr erlebt haben.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck ist schon am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine von der US-Botschaft in Berlin über die unmittelbar bevorstehende Invasion informiert worden. Am frühen Abend habe er im Ministerium Besuch aus der US-Botschaft bekommen, sagte der Grünen-Politiker dem "Stern". "Ich bekam ein Dossier, aus dem hervorging: Heute Nacht wird es passieren. Die Blutkonserven werden aufgetaut, die Raketenwerfer beladen, die Fahrzeuge sind markiert, und die Truppen bewegen sich eindeutig auf die Grenze zu. Es war klar: Der Krieg steht bevor, er wird bittere Realität." Russische Truppen waren vor einem Jahr, am Morgen des 24. Februar, auf Befehl des Präsidenten Wladimir Putin in das Nachbarland einmarschiert.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kann sich nach eigenen Worten noch genau an den Morgen erinnern: "Es dauerte einen Moment, bis ich das Vibrieren des Telefons als echt eingeordnet hatte. Um 4.51 Uhr wurden erste Explosionen in Kiew gemeldet. Um 4.59 Uhr war meine Büroleiterin am Telefon. Ich sagte: bitte nicht", erzählt Baerbock in der Dokumentation des "Stern". Dass der Krieg beginnen könne, sei immer klar gewesen. "Aber wenn es passiert, stockt einem trotzdem erstmal der Atem." Sie habe sich dann angezogen und sei ins Auswärtige Amt gefahren.

Im Laufe des Tages folgten zahlreiche Telefonate und Konferenzen. Am Nachmittag hatte Baerbock dann erstmals Gelegenheit, mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba zu telefonieren. "Wir hatten uns in den Wochen zuvor oft getroffen, noch öfter gesprochen. In solchen Momenten denkt man natürlich daran, dass auch er Kinder hat", erzählt Baerbock. Einen Tag später war Kuleba auch bei dem Sondertreffen der EU-Außenminister in Brüssel per Video zugeschaltet. "Er bedankte sich, dass wir uns die Zeit nehmen", erinnert sich Baerbock. "Ich dachte nur, wie surreal. Wir sitzen hier warm und sicher in Brüssel, er in einem Keller in Kiew, der mit Sandsäcken gesichert ist. Und er sagte: Danke."

"Ein Angriff ergibt doch keinen Sinn"

Noch am Wochenende vor Kriegsbeginn sei auf der Münchner Sicherheitskonferenz die einhellige Meinung gewesen: Putin tut es nicht, erzählt Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Viele Teilnehmer hätten gesagt: "Ein Angriff ergibt doch keinen Sinn, Putin wird die Ukraine nicht einnehmen und besetzen können, dazu sind selbst 150.000 Soldaten nicht ausreichend. Selenskyj hat am Samstag noch in seiner Rede gesagt: Es wird keine Invasion geben."

Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hätte nicht gedacht, dass Putin wirklich angreift. "Ich habe immer geglaubt, das ist noch abwendbar", sagt er dem "Stern". Umso härter sei die Erkenntnis am 24. Februar gewesen. "Ich bin morgens aufgewacht und hatte die Nachricht auf dem Handy: Kriegsausbruch", erzählt Klingbeil. "Ich bin ja geprägt von 9/11, als ich in New York gelebt habe, wo schnell klar war: Hier passiert gerade was sehr, sehr Großes, das wird unser Leben prägen." Das sei an diesem Morgen auch so gewesen. "Das ist ein tektonischer Moment, das verschiebt alles, das ist auch nicht in zwei Wochen vorbei."

"Das Leben verändert sich völlig. Fast alle Termine im Kalender: gestrichen", sagt Innenministerin Nancy Faeser. Alles richte sich am Krieg aus. "Ich war vom ersten Tag an jeden Morgen in den Besprechungen und Schalten unseres Krisenstabes, monatelang, jeden Tag." Ihrem damals siebenjährigen Sohn habe Faeser erklärt, "was Krieg für die Menschen bedeutet, dass er dazu führt, dass es sehr vielen Menschen sehr schlecht geht und einige von ihnen zu uns nach Deutschland flüchten". Man komme nicht dazu, über die Dimension des Geschehens nachzudenken, so die SPD-Politikerin. "Das Wichtigste ist, zu funktionieren."

Quelle: ntv.de, hny/dpa

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