Politik

Kiewer Rabbiner erbittet Schutz "Haben Angst vor antisemitischen Angriffen"

Die Menora in Kiew erinnert an die während der deutschen Besatzungszeit (1941-1943) ermordeten Juden.

Die Menora in Kiew erinnert an die während der deutschen Besatzungszeit (1941-1943) ermordeten Juden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die russischen Truppen rücken weiter auf Kiew vor. Chefrabbiner Jonathan Markovitch harrt in der ukrainischen Hauptstadt aus, obwohl er Unruhen und Plünderungen fürchtet. Die jüdische Gemeinde fühlt sich schutzlos ausgeliefert. Derweil bereitet sich Israel auf Tausende Einwanderer vor.

Kiews Chefrabbiner, Jonathan Markovitch, hat angesichts der Situation in der Ukraine Sorge vor antisemitischen Angriffen auf die Synagoge der jüdischen Gemeinde geäußert. "Wir haben Angst vor Antisemitismus, weil wir nicht wissen, was passieren wird", sagte der Rabbiner in Kiew. Sie hätten Sorge, dass es zu Unruhen und Plünderungen kommen könne. Sie hätten 50 Matratzen, Essen und Treibstoff in der Synagoge, um die Mitglieder der 2500-köpfigen Gemeinde zu versorgen, die nicht wegkönnten.

Seine Frau Inna verwies darauf, wie in der Geschichte immer wieder Juden verantwortlich gemacht worden seien, wenn es irgendwo Probleme gegeben habe. "Geschichte wiederholt sich", sagte sie. Von ihnen engagierte Sicherheitskräfte seien am Morgen nicht aufgetaucht, die Firma habe den vereinbarten Preis verdoppelt, sagte sie. Jetzt müssten sie überlegen, was sie machen wollten. Sie bräuchten dringend bewaffneten Schutz.

Morgens um 7 Uhr seien sie mit dem Bombenalarm aufgewacht, erzählte Inna Markovitch. "Es war sehr beängstigend, es gibt keine Infrastruktur in Kiew, keine Raketenbunker, keine Hilfe von der Regierung, selbst der Alarm war sehr schwach." Zumindest hätten sie einen Keller bei der Synagoge. Es habe die Anweisung gegeben, in die U-Bahn-Stationen zu gehen, weil die tief in der Erde seien. Aber sie lebten beispielsweise 20 Minuten von einer entfernt.

Sie beide hätten auch israelische Pässe, hätten sich aber dazu entschlossen, in Kiew zu bleiben, sagte sie. "Wir fühlen uns der jüdischen Bevölkerung hier verpflichtet." Sie verwies auf allein rund 200 bettlägerige Gemeindemitglieder. Rabbi Markovitch und seine Frau haben demnach selbst sieben Kinder und zahlreiche Enkelkinder, die auch noch in Kiew sind.

Flüchtende kehren wieder zurück

Sie stünden im Kontakt mit der israelischen Botschaft. "Doch die können nichts machen", sagte der Rabbi. Die seien weit weg in Lwiw im Westen der Ukraine. Er und seine Frau hätten versucht, Mini-Busse zu organisieren, um Menschen aus der Stadt und dem Land zu helfen. Aber wer am Morgen nach 6.30 Uhr versucht habe, Kiew zu verlassen, sei schlicht im Verkehr steckengeblieben. Freunde hätten nach drei Stunden im Stau noch in Kiew aufgegeben und seien wieder zurückgekehrt. Die Straßen in der Innenstadt wiederum seien leer.

Israel hatte am Morgen angekündigt, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen. "Wir sind bereit, Tausende jüdische Einwanderer aus der Ukraine zu akzeptieren", sagte Einwanderungsministerin Pnina Tamano-Schata nach Angaben eines Sprechers. Außenminister Jair Lapid verwies auf die guten Beziehungen Israels sowohl zu Russland als auch zur Ukraine. Es lebten Zehntausende Israelis in beiden Ländern und Hunderttausende Juden. "Deren Sicherheit und Schutz aufrechtzuerhalten, steht an erster Stelle unserer Prioritäten", schrieb er auch auf Twitter.

Israel verurteilt Russlands Angriff

Die Ukraine gehörte in den vergangenen Jahren stets zu den Ländern, aus denen die meisten Zuwanderer nach Israel kamen - teilweise mehr als 7000 Menschen pro Jahr. In der Ukraine leben nach Angaben der Jewish Agency aktuell rund 43.000 Juden. Die Zahl derjenigen, die aufgrund jüdischer Verwandter nach Israel einwandern könnten, liegt bei rund 200.000.

Nach Angaben des Außenministeriums leben grundsätzlich rund 15.000 Israelis in der Ukraine. Wie das Radio berichtete, haben vergangene Woche bereits rund 2500 Israelis das Land verlassen.

Jair kritisierte erstmals klar Russland und verurteilte den Angriff auf das Nachbarland. "Der russische Angriff auf die Ukraine ist eine ernsthafte Verletzung der internationalen Ordnung, Israel verurteilt den Angriff", schrieb er. Israel sei bereit, humanitäre Hilfe in der Ukraine zu leisten. "Israel ist ein Land, das Kriege erlebt hat, und Krieg ist nicht der Weg, um Konflikte zu lösen." Es bestehe immer noch die Möglichkeit, unter Vermittlung der Weltmächte an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Quelle: ntv.de, chf/dpa

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