Grauen und Versöhnung "Hölle von Verdun" jährt sich zum 100. Mal
28.05.2016, 18:38 Uhr
Ein Moment für die Ewigkeit: Mitterrand und Kohl in Verdun.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Ein Jahrhundert nach der Schlacht von Verdun sind Deutschland und Frankreich enge Verbündete. 1984 reichen sich François Mitterrand und Helmut Kohl über den Soldatengräbern die Hand. Nun wollen ihre Nachfolger erneut ein Zeichen für die Zukunft setzen.
Einen symbolträchtigen Ort des Grauens und der Versöhnung zugleich werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande besuchen: Mehr als 300.000 Soldaten beider Länder wurden vor 100 Jahren in Verdun bei einer der grausamsten Schlachten des Ersten Weltkriegs getötet. 1984 besiegelten Merkels politischer Ziehvater Helmut Kohl und der damalige französische Präsident François Mitterrand dort mit einer historischen Geste die Versöhnung der einstigen "Erbfeinde" - Hand in Hand gedachten sie der Kriegstoten.
Die große Gedenkveranstaltung in Verdun soll all das umfassen - Erinnerung an die Schrecken des Krieges und Würdigung der deutsch-französischen Freundschaft. Zugleich wollen Merkel und Hollande nach vorne blicken: Inmitten der schweren Krise in Europa geht es auch darum, den Kontinent an seine Ideale zu erinnern.
"Wir müssen keine (deutsch-französische) Versöhnung mehr betreiben, das wurde schon getan", sagte Hollande kürzlich. "Wir müssen das europäische Ideal wiederbeleben. Von uns wird erwartet, zusammen zu sagen, was wir in diesem Augenblick für Europa tun wollen."
Verdun als Ort der Versöhnung
Nun sind in Verdun keine bahnbrechenden Grundsatzreden zur Zukunft Europas zu erwarten, auch wenn Hollande und Merkel immer wieder gemeinsame Vorschläge für eine Weiterentwicklung der EU in Aussicht gestellt haben. Hollandes Umfeld betont aber, dass der Präsident sich nicht auf eine Aufarbeitung der Vergangenheit beschränken will: "Hollandes Rede wird eine Rede über aktuelle Themen, unterfüttert von der Geschichte."
Dazu ist Verdun ein guter Ort - er steht stellvertretend für die blutgetränkte Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, die die Gründungsväter der europäischen Gemeinschaft hinter sich lassen wollten. Die "Hölle von Verdun", das waren 300 Tage brutales Töten, eine beispiellose Materialschlacht, ein sinnloser Stellungskrieg zwischen zwei verfeindeten Nachbarn. Mehr als jeweils eine Million Soldaten aus Deutschland und Frankreich kämpften in der "Blutmühle" Verdun. Schätzungen zufolge starben auf deutscher Seite 143.000 und auf französischer Seite 163.000 Soldaten.

Deutscher Soldatenfriedhof in Douaumont: Hier wird der "Hölle von Verdun" gedacht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Deutlich wird das Grauen im Beinhaus von Douaumont, einer Gemeinde rund zehn Kilometer nördlich von Verdun. Die Knochen von 130.000 nicht identifizierte Soldaten beider Länder ruhen hier. Zugleich ist das Beinhaus der Ort, vor dem sich Kohl und Mitterrand am 22. September 1984 schweigend an der Hand hielten, während die französische Nationalhymne gespielt wurde - eine Geste, die als Wegmarke der deutsch-französischen Aussöhnung in die Geschichte eingegangen ist. Eine so starke Symbolik dürfte Merkel und Hollande kaum gelingen, wenn sie zum Höhepunkt der Gedenkveranstaltungen zu 100 Jahren Verdun zum Beinhaus kommen - aber zweifellos werden Kommentatoren genau auf jede Geste achten.
Aktuelle Themen spielen eine große Rolle
Das dichtgepackte Programm beginnt für die Kanzlerin und den Präsidenten am Vormittag mit einem Besuch des deutschen Soldatenfriedhofs von Consenvoye, anschließend fahren beide zum Rathaus von Verdun. Eine Premiere: Vor Merkel hat noch kein deutscher Kanzler die Stadt selbst besucht.
Nach einem Besuch der neu eröffneten Gedenkstätte von Verdun folgt die Abschlussveranstaltung auf dem Soldatenfriedhof von Douaumont. Der Regisseur Volker Schlöndorff hat dort eine Inszenierung mit 3400 Kindern und Jugendlichen aus beiden Ländern vorbereitet. Im Beinhaus werden Merkel und Hollande in Erinnerung an die Toten gemeinsam eine Flamme entzünden und eine Schweigeminute abhalten, anschließend sind Reden geplant.
Doch inmitten all der Zeremonien muss auch noch Zeit sein für harte aktuelle Tagespolitik. Bei einem Arbeitsessen am Mittag wollen Merkel und Hollande über eine Reihe von Themen reden, bei denen sie nicht immer auf einer Linie lagen: die Flüchtlingskrise, die Griechenland-Schuldenkrise, den drohenden Brexit. Der politische Alltag lässt Merkel und Hollande auch an einem Tag des Gedenkens nicht los.
Quelle: ntv.de, Fabian Erik Schlüter/AFP