Politik

"Elon Musk ist wie Dracula"Hungriger Grok und Supercomputer Colossus verschmutzen Boxtown

23.11.2025, 19:02 Uhr
imageVon Roland Peters, Memphis
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Gasturbinen an xAIs Colossus 1 in Memphis - erst vor wenigen Monaten erhielt Elon Musks Rechenzentrum eine Genehmigung dafür. (Foto: Roland Peters)

In seinen Rechenzentren trainiert Elons Musks Unternehmen xAI eigener Aussage zufolge den größten Supercomputer der Welt - auch mit Hilfe fossiler Brennstoffe. Colossus soll die menschliche Intelligenz übertreffen lernen. Anwohner im bereits krebsgeplagten Boxtown wehren sich.

Der neue Nachbar in der Siedlung Boxtown lässt sich nicht ignorieren. "Manchmal rieche ich die Turbinen. Die Luft ist in meiner Lunge, trocknet meinen Rachen aus, meine Augen schwellen an und werden rot." Sarah Gladney sitzt auf ihrer kleinen Veranda, blickt auf die Häuschen in ihrer Straße und spricht über das Rechenzentrum von Elon Musks KI-Unternehmen xAI im Südwesten von Memphis; über Colossus 1, das rund dreieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt Tag und Nacht in Betrieb ist. Die 71-Jährige und ihre Nachbarn wollen, dass es verschwindet.

Colossus ist laut xAI der weltweit größte Supercomputer, entsprechend groß ist sein Energiebedarf. Fast ein Jahr lang betrieb das Unternehmen eigene Erdgasturbinen ohne Genehmigung, zeitweise Dutzende gleichzeitig, produzierte dabei mehr Strom als manches Kraftwerk im Bundesstaat Tennessee und blies Schadstoffe unkontrolliert in die Luft. In Boxtown sind Aktivisten und Bewohner überzeugt davon, dass ihnen übel mitgespielt wird. An die Wachstumsversprechen, die mit solchen Investitionen einhergehen, glauben sie nicht. Von xAI habe niemand mit ihnen gesprochen, sagen sie. Auf Anfragen von RTL/ntv reagierte das Unternehmen nicht.

"Meine Gesundheit ist mein Wohlstand", sagt Sarah Gladney, die unter einer Autoimmunkrankheit leidet. "Wir wissen nicht, was in unserem eigenen Hinterhof passiert." Ihre 76-jährige Nachbarin Easter Knox, die sich zu ihr gesellt, leidet an schwerem Asthma. Die sagt, sie habe ihren Vater, ihren Bruder und im vergangenen Jahr ihren Mann durch Krebs verloren.

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Sarah Gladney und Easter Knox wohnen in Boxtown. Beide berichten von Folgen der Luftverschmutzung. (Foto: Roland Peters)

Etwa eine halbe Autostunde südlich, an der Grenze zum Bundesstaat Mississippi, sind seit September erste Teile von Colossus 2 in Betrieb; Baumaschinen umfahren abgeholzte Bäume, wühlen den rotbraunen Grund an der Landstraße auf, über deren verdreckten Asphalt ein Kipplaster nach dem anderen rast. Das Rechenzentrum an dieser Stelle soll doppelt so groß wie das erste werden.

Grok ist hungrig

Der Konflikt zwischen Musks Rechenzentrum und den Anwohnern nahm vor Inbetriebnahme der ersten Anlage seinen Anfang: xAIs Planung für die Übernahme einer stillgelegten Fabrik fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, eine ganze Reihe von Politikern und anderen Verantwortlichen unterschrieben Schweigevereinbarungen. Die Vorgehensweise ist ein Beispiel dafür, wie rücksichtslos die KI-Giganten mancherorts vorgehen, um im Rennen um eine Superintelligenz nicht ins Hintertreffen zu geraten. In den Vereinigten Staaten schießen überall neue Rechenzentren aus dem Boden. Es gibt kein Register, aber Schätzungen gehen von mehr als 4000 aus. Mehr als 1200, die für KI gedacht sind, waren bis Ende 2024 bereits gebaut oder genehmigt.

Im Industriegebiet von Memphis trainiert der reichste Mensch der Welt seinen Supercomputer, in dem auch seine KI namens Grok wohnt und mit den Nutzern von X in aller Welt spricht. Musk möchte so seinen Traum einer sogenannten künstlichen allgemeinen Intelligenz, Artifical General Intelligence (AGI), wahrmachen, welche die menschliche übertreffen soll. Grok wächst schnell, Grok ist hungrig, verschlingt Daten, Kühlwasser und Energie. Sein Strom kommt teilweise aus den eigenen Gasturbinen, welche eine Vielzahl von Giftstoffen ausstoßen, sowie aus dem nahen Gaskraftwerk, das ebenfalls Turbinen betreibt. Dies versorgt auch andere umliegende Industrien.

Boxtown ist schon lange von starker Luftverschmutzung betroffen. Im Jahr 2013 hatte eine Studie eine um mehr als 400 Prozent erhöhte Krebsrate gegenüber dem landesweiten Durchschnitt festgestellt. Professor Chunrong Jia, einer der beiden Autoren, führt durch die Gänge des Instituts für Umweltgesundheit an der Universität von Memphis. Im dritten Stock, gegenüber der Labortür, hinter der er Luftproben analysiert, hängen zwei Karten von Memphis. "Hier sind die Industrien konzentriert", zeigt Jia auf die eine, "und die Luftverschmutzungsniveau ist entsprechend höher", zeigt er auf die andere. Boxtown ist tiefrot. "Die Gemeinde ist extrem gefährdet", sagt der Wissenschaftler.

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Wissenschaftler Chunrong Jia von der Universität von Memphis deutet auf die besonders starke Schadstoffbelastung für Einwohner im Südwesten von Memphis. (Foto: Roland Peters)

Gegenden wie Boxtown, wo ein niedriges Einkommensniveau herrscht, leiden auch aktuellen Zahlen zufolge unter hoher Schadstoffkonzentration; insbesondere durch Feinstaub, den auch xAI mit seinen Gasturbinen ausstößt. Jia hat Zweifel an den Messdaten über Colossus - sie seien zu lückenhaft und teilweise von xAI selbst gemeldet worden. Doch er ist sicher: "Es sind Gemeinden, die ohnehin benachteiligt sind, die verstärkt Schadstoffen ausgesetzt werden." Nahezu alle Einwohner von Boxtown sind Schwarze. Andere Wissenschaftler stellten fest, dass xAI den Schadstoffausstoß in der Gegend zeitweise deutlich nach oben treibt.

Die Stadt argumentiert, mit den zusätzlichen Steuereinnahmen von xAI könne die Infrastruktur in der Umgebung der beiden Rechenzentren verbessert werden. Sie ist auf solche Investitionen angewiesen, da im Bundesstaat Tennessee keine Einkommenssteuer erhoben wird. xAI hat zudem angekündigt, mehrere Schulen renovieren zu wollen. Manche Kritiker nennen das Bestechung.

xAI finanziert Wasserwerk

An anderen Orten in den USA klagen die Menschen auch über den Kühlwasserhunger der neuen Rechenzentren, es gibt Berichte über braune Brühe aus Wasserhähnen, oder dass sie ganz trocken bleiben, weil sich der Grundwasserspiegel absenkt. In Memphis geht das nicht so schnell, die Stadt sitzt auf einem gigantischen Reservoir, das die Stadtwerke an mehreren Stellen nach oben und in die Haushalte pumpt; insgesamt werden so etwa 1,3 Millionen Menschen versorgt.

"Unter unseren Füßen ist keine unendliche Reserve", warnt der Geologe Scott Schoefernacker von der Wasserschutzorganisation "Protect our Aquifier". Die Zahlen zeigten ihm zufolge jedoch: xAI verbrauche mit Colossus nicht so viel Trinkwasser wie zunächst kalkuliert. Zudem bezahlt das Unternehmen den Bau eines neuen Klärwerks, um Abwasser für die eigene Kühlung und umliegende Fabriken aufzubereiten. Deshalb ist Scott Schoefernacker weniger kritisch als andere. "Es ist eine großartige Chance und hoffentlich der Anfang für ähnliche Mehrfachnutzung", sagt er. "xAI kam wie ein Sturm", erinnert er sich daran, wie es im vergangenen Jahr losging: "Wir wussten nicht, wie uns geschah."

Allergien, Asthma, Krebs

KeShaun Pearson stellt sein Auto auf dem Parkplatz der Kirche von Boxtown ab, läuft die Straße entlang, grüßt und plaudert mit Leuten, die neugierig aus der Tür kommen. "xAI ist ein Beispiel dafür, wie reiche, mächtige Leute auf den Bedürfnissen unserer Gemeinde herumtrampeln", sagt der 36-Jährige. "Hier werden Entscheidungen getroffen, als zähle mein Leben nicht." Viele Menschen litten unter Allergien und Asthma oder erkrankten an Krebs. KeShaun Pearson ist hier aufgewachsen, möchte die Verschmutzung seines Heimatortes verringern und informiert die anderen hier regelmäßig über den Stand der Dinge.

In den Vorgärten stecken Schilder seiner Organisation "Memphis Community Against Pollution", alle paar Meter fordern sie Umweltgerechtigkeit. Um Druck auf die Politik aufzubauen, hat KeShaun Pearsons Organisation 250.000 Dollar an Spenden eingesammelt und finanziert damit eigene Messstellen in der Siedlung; die Ergebnisse werden von Wissenschaftlern ausgewertet. So möchten er und die Anwohner selbst feststellen, welcher Luftverschmutzung sie ausgesetzt sind. "Wir brauchen saubere Energie", fordert der Aktivist. Aber für xAI und andere sei Profit wichtiger als die Menschen. "Wenn ich einen Eiskremstand ohne Genehmigung eröffne, wird der zugemacht, aber die können tonnenweise Schadstoffe ausstoßen, die in unsere Lungen gelangen."

Vor Sarah Gladney Haus zeigt KeShaun Pearson nacheinander in alle Himmelsrichtungen - bei jeder zählt er eine nahe Anlage auf, die die Luft verpestet. Darunter auch eine Ölraffinerie, die eine Rohölpipeline durch Boxtown bauen wollte - was seine Organisation aus Angst vor Wasserverschmutzung verhindert habe. "Wie viel muss eine Gemeinde ertragen? Wie viel müssen wir einatmen, bevor etwas passiert? Oder glaubt man, dass unsere Leben nichts wert sind?", fragt er.

Rekordinvestitionen mit Folgen

Die Zahlen zur KI-Branche sind eindrücklich. Laut Analysten hat kein Boom in der Geschichte der USA so viel Geld in so kurzer Zeit bewegt. Ohne das Rennen der Superreichen aus Silicon Valley um eine Superintelligenz wäre die US-Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte stagniert. Bis 2028 geht die Investmentbank Morgan Stanley mit Ausgaben von bis zu 3 Billionen Dollar aus. Das wird Folgen haben.

Wächst die Industrie wie erwartet weiter, stellte eine Studie der Cornell University fest, stiege ihr CO2-Ausstoß bis 2030 auf die Menge, den bis zu zehn Millionen Verbrennerautos erzeugen. Der zusätzliche Wasserverbrauch entspräche dem von ebenfalls zehn Millionen US-Amerikanern. Ein typisches KI-zentriertes Rechenzentrum verbrauchte im April so viel Strom wie bis zu 100.000 Haushalte, gibt die Internationale Energieagentur IEA an. Die größten Rechenzentren, die im Frühjahr im Bau waren, werden künftig so viel Energie verbrauchen wie bis zu 2 Millionen Haushalte.

Die hohe Nachfrage nach Energie macht sich bereits bemerkbar, die Strompreise stiegen vielerorts stärker als die Inflation - im landesweiten Schnitt in diesem Jahr bereits doppelt so stark wie 2024. Das könnte auch die Kongresswahlen im kommenden Jahr beeinflussen. Bereits jetzt sind Elektrizitäts- und damit Lebenshaltungskosten mit Abstand das wichtigste Thema für die Wähler in den USA. "Die KI-Unternehmen sind wie Energievampire", sagt KeShaun Pearson, als er sich wegen der brennenden Mittagssonne unter eine Baumkrone stellt. "Und Elon Musk ist wie Dracula."

Quelle: ntv.de

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