AKW Saporischschja im Notbetrieb IAEA-Chef Grossi: "Jedes Mal würfeln wir"
09.03.2023, 07:40 Uhr Artikel anhörenDer ukrainische Energieminister spricht von einem "barbarischen, massiven Angriff": Bei massiven russischen Raketeneinschlägen wird auch das AKW Saporischschja erneut von der regulären Stromversorgung abgeschnitten. IAEA-Chef Grossi sagt: "Eines Tages wird uns das Glück verlassen."
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ist wegen des erneuten Ausfalls der regulären Stromversorgung im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja alarmiert. Dies sei bereits das sechste Mal, dass Europas größtes Atomkraftwerk wegen des Krieges auf Notversorgung durch Diesel-Generatoren umstellen müsse, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi vor dem IAEA-Gouverneursrat in Wien.
"Jedes Mal würfeln wir. Und wenn wir das immer wieder tun, dann wird uns eines Tages das Glück verlassen", warnte Grossi. So dürfe es nicht weitergehen. Es sei höchste Zeit, eine Sicherheitszone rund um das Kraftwerk einzurichten. Er werde seine entsprechenden Bemühungen fortsetzen, sagte Grossi.
Dieselkraftstoff für zehn Tage
Atomkraftwerke sind zum sicheren Betrieb auf verlässliche Stromversorgung angewiesen. Infolge eines großflächigen russischen Raketenangriffs ist das Atomkraftwerk Saporischschja nach Angaben des ukrainischen Betreibers von der regulären Stromversorgung abgeschnitten worden. Die von russischen Truppen besetzte Anlage in der südlichen Stadt Enerhodar werde über Dieselgeneratoren notversorgt, teilte Enerhoatom auf Telegram mit. Der Kraftstoff reiche für zehn Tage.Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko sprach auf Facebook von einem "barbarischen, massiven Angriff" der Russen.
Ein Sprecher des russischen Atomkraftwerkbetreibers Rosenergoatom bestätigte der Agentur Interfax die Abtrennung vom regulären Stromnetz. Zugleich warf er der ukrainischen Seite vor, die Versorgung ohne erkennbaren Grund gekappt zu haben.
Bereits knapp zwei Wochen zuvor hatte Artilleriefeuer in der Nähe des Atomkraftwerks die dortigen Experten der Internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde alarmiert. Wegen der Angriffe wurde damals laut Mitteilung der IAEA die Notstromleitung zeitweise unterbrochen. Die Versorgung mit Strom ist für ein Kernkraftwerk essenziell, unter anderem für die Kühlung des nuklearen Materials.
Ausfall von Notstromgeneratoren könnte Fukushima-Szenario herbeiführen
Expertin Anna Veronika Wendland warnte bereits im vergangenen Jahr im Interview mit ntv.de: "Das schlimmste Szenario, das realistisch erscheint, ist die Abschneidung von der Stromversorgung. Wenn dann auch noch alle drei Notstromdiesel eines Blocks versagen würden und die Aggregate der Nachbarblöcke nicht aushelfen könnten, oder wenn den Notstromdieseln der Treibstoff ausginge, hätten wir am Ende dieser Ereigniskette ein Szenario wie in Fukushima. In Fukushima fiel die Notstromversorgung aus, weil Dieselgeneratoren und Schaltanlagen von einem Tsunami überflutet wurden. Es kam zu einem totalen Stromausfall, und die Anlagen konnten nicht mehr gekühlt werden. Wenn also am Ende alles versagt, haben wir einen Fukushima-Fall."
Neben Saporischschja waren seit den frühen Morgenstunden auch andere Landesteile mit Raketenschlägen überzogen worden, darunter auch die Hauptstadt Kiew. Die Regionen Odessa und Charkiw berichteten ebenfalls von Angriffen auf Energieanlagen und infolgedessen von Stromausfällen.
Quelle: ntv.de, ghö/rog/dpa/AFP