Selenskyj bei Miosga "Ich werde mit Trump sprechen"
29.01.2024, 03:46 Uhr Artikel anhören
"Ich kann nicht über alles sprechen": Selenskyj berichtet von seinen Gesprächen mit Scholz.
(Foto: ARD/ Thomas Ernst)
In ihrer zweiten Sonntagabend-Talkshow in der ARD hat Moderatorin Caren Miosga einen besonderen Interviewpartner: Sie spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Mit Kanzler Scholz sei er im Gespräch über Taurus, vor einem Wahlsieg Trumps fürchtet er sich nicht.
Der Coup ist ihr gelungen: Caren Miosga ist für ihre Sonntagabend-Talkshow im Ersten in die ukrainische Hauptstadt Kiew gefahren. Dort hat sie am vergangenen Mittwoch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen. Das volle Interview ist bei Youtube und in der ARD-Mediathek zu sehen, doch die wichtigsten Ausschnitte wurden am Sonntagabend gezeigt und von den Gästen bewertet. Miosga ist in ihrem Element: Sie wirkt locker und souverän, von Unsicherheit keine Spur. Selenskyj ist freundlich, lacht, das Gespräch macht ihm sichtlich Spaß. Und er wirkt lange nicht so aggressiv, wie er manchmal in seinen Videobotschaften rüberkommt. Zum Beispiel, wenn er über die Taurus-Marschflugkörper spricht, auf die die Ukraine schon seit mehr als einem halben Jahr wartet.
Er könne nicht über alles sprechen, sagt er, und es wirkt so, als ob im Hintergrund vielleicht ein paar Gespräche laufen, von denen die Öffentlichkeit besser nichts weiß. Vielleicht trifft das sogar auf SPD-Chef Lars Klingbeil zu, der die Entscheidung der Bundesregierung verteidigt. "Zur Wahrheit gehört dazu, dass wir vielfach so viel liefern, dass wir häufig über die Grenzen hinausgehen", sagt Klingbeil. Deutschland werde Hilfe im Wert von 7,5 Milliarden Euro leisten, das werde in dieser Woche bei den Haushaltsverhandlungen im Bundestag beschlossen. Dennoch habe die Bundesregierung die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper noch nicht beschlossen. Aber man müsse sich eines bewusst machen: "Wenn man Putin nicht stoppt, dann kann es sein, dass die baltischen Staaten, dass Polen, dass andere Staaten wie Finnland die nächsten sein können." Zu einem möglichen Ringtausch, bei dem Deutschland Taurus-Marschflugkörper nach England und England ähnliche Waffen an die Ukraine liefere, könne er, Klingbeil, nichts sagen. Davon wisse er nichts.
"Bin enttäuscht von der deutschen Politik"
"Wir beide sprechen darüber", sagt Selenskyj, als Miosga ihn zu den Taurus und der Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz fragt. Obwohl sich auch der Bundestag für eine Lieferung der Marschflugkörper ausgesprochen hat, zögert Scholz. "Ich hoffe, dass es noch eine andere Entscheidung geben wird", sagt Selenskyj. Es gehe nicht um die eine oder die andere Waffengattung, es gehe nicht um die Position des Bundeskanzlers oder des Bundestages. "Entweder du glaubst, dass die Ukraine recht hat und man Russland in die Schranken weisen soll. Und dann hast du 1, 2, 3, 4, 5 Schritte, die du glaubst, gehen zu müssen, um damit die Ukraine zu stärken", sagt Selenskyj. Und weiter: "Was ich sagen möchte: Die Ungläubigkeit des einen oder anderen Menschen, die Ungläubigkeit des einen oder anderen Ministers wird sehr teuer."
Für das Zögern von Bundeskanzler Scholz in der Marschflugkörper-Frage zeigt Selenskyj im Gespräch mit Caren Miosga zwar Verständnis. Doch er wirkt ein wenig verbittert, als er erklärt: "Bei dieser Frage liegt es nicht an ihm persönlich." Es gehe nicht nur um Scholz, sondern um die Leader Europas und der USA. "Ich bin einfach enttäuscht, dass die Menschen in der heutigen Welt eher pragmatisch sind und sie nicht gleich einschreiten bei der einen oder anderen Herausforderung."
So habe Deutschland bei der ersten Besetzung der Ukraine durch Russland im Jahr 2014 nicht die Rolle gespielt, die es hätte spielen müssen. Deswegen sei es nicht Scholz, von dem er enttäuscht sei, sondern von der deutschen Politik. "Und ich sage Ihnen ganz offen: Es geht hier nicht nur um Olaf, es geht hier nicht nur um Deutschland, es geht um starke Leader auf verschiedenen Kontinenten. Und wir wissen: Stark ist derjenige, der eine starke Wirtschaft hat. Weil Länder mit einer starken Wirtschaft auch eine starke Armee haben, einen starken Einfluss. Wir kennen diese Länder, wir können sie an einer Hand abzählen. Und die haben so gut wie nichts gemacht, um einen großen Angriffskrieg zu verhindern."
"Wenn Trump für Frieden sorgt, bin ich glücklich"
Zu den von Selenskyj wegen ihrer Politik vor 2022 kritisierten Ländern gehören offensichtlich auch die USA. Dort wird am 5. November ein neuer Präsident gewählt. Laut Umfragen könnte der Republikaner Donald Trump nach 2016 in diesem Jahr erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Der hatte auf dem Sender Fox News im vergangenen Jahr angekündigt, den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden beenden zu wollen.
Selenskyj lässt eine mögliche Wahl Trumps kalt. "Ich werde mit Trump sprechen", sagt Selenskyj. "Und wenn seine Formel oder sein Format für Frieden sorgt und er dafür 24 Stunden braucht, dann werde ich ein sehr glücklicher Präsident sein. Denn ich weiß, wie viele Menschen wir an einem Tag verlieren."
Was Deutschland angeht, hat der ukrainische Präsident hohe Erwartungen: "Ich würde mir eine führende Rolle Deutschlands sehr wünschen, das ist ein Fakt", sagt er. Deutschland könne es schaffen, die EU zu konsolidieren, weil viele Länder von Deutschland abhängig seien. Deutschland habe eine starke Wirtschaft. "Ich denke trotzdem, dass die Gefahr sehr groß ist. Passivität der USA oder das Ausbleiben der Unterstützung wären ein schlechtes Signal. Das wäre nicht richtig. Für alle."
Die weinende Frau
Die Menschen in der Ukraine haben mittlerweile mehr als siebenhundert Tage Krieg hinter sich. Caren Miosga erzählt gleich am Anfang der Sendung, wie sie auf der Zugfahrt nach Kiew in einen russischen Raketenangriff hineingeraten sei. Die Frau neben ihr habe sofort zu weinen begonnen. Vassili Golod arbeitet für die ARD als Korrespondent in Kiew. Er sagt, die Menschen seien mittlerweile kriegsmüde. Dennoch sei ihr Wille ungebrochen, ihr Land zu verteidigen.
Was Selenskyj dazu beiträgt? Ob er in seinen Ansprachen die Menschen erreichen kann, weiß er nicht. Aber er sagt: "Ich spreche mit den Menschen, und ich denke, es ist für uns alle wichtig, nicht zu verlieren, was wir haben: Unser Zuhause, unsere Menschen." Und weiter sagt Selenskyj: "Ich weiß nicht, ob alle meine Worte bei allen ankommen. Aber sie sind ehrlich. Sie sollen dazu dienen, dass wir alle vereint sind und dass sich niemand allein fühlt. Und das ist sehr wichtig für die gesamte Ukraine. Auch wenn wir über westliche Journalisten sprechen, die - wie Sie jetzt - hier sind und die Wahrheit ins Ausland bringen, in andere Städte und andere Länder. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Und genauso ist jede Unterstützung durch unsere Partner sehr wichtig, damit die Ukraine nicht das Gefühl hat, allein zu sein."
Quelle: ntv.de