Politik

Fast 95 Prozent für neuen Chef Jetzt ist selbst Söder neidisch auf Merz

Reichen sich virtuell die Hand: Friedrich Merz und Markus Söder

Reichen sich virtuell die Hand: Friedrich Merz und Markus Söder

(Foto: imago images/Chris Emil Janßen)

Die Wahl auf dem Parteitag galt als Formsache, aber dass Merz in derartiger Form ist, hat man auch nicht erwartet: Fast 95 Prozent der Stimmen fährt er bei der Wahl zum Parteichef ein. Und signalisiert der Bundesregierung: Opposition? Könnt ihr haben.

Er sei "ein Stück bewegt", sagt Friedrich Merz kurz nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der CDU, und der Mann, dem sonst ein Hang zum Überspitzen nachgesagt wird, hat in diesem Fall mal untertrieben. Die Rührung ist ihm anzusehen, als das Ergebnis offenbar wird: Die Delegierten des zweiten digitalen Parteitags in der Geschichte der CDU haben ihn mit fast 95 Prozent der Stimmen ins Amt gehoben.

Die Abstimmung vollzog zwar nur das Ergebnis einer Mitgliederbefragung nach. Aber breiter kann die Zustimmung, eindeutiger kann der Auftrag an den neuen Chef an der Parteispitze kaum sein. Einige ostdeutsche Kreisverbände fordern noch am selben Tag den Fraktionsvorsitz für Merz, den weiterhin Ralph Brinkhaus für sich beansprucht. Und wer noch immer Zweifel an der Dimension dieses Wahlergebnisses hat, dem hilft Markus Söder in seiner Glückwunsch-Schalte aus München bei der Erkenntnis: "Sowas hätte ich auch gern mal gehabt."

Ganz offensichtlich hat es ihm nicht geschadet, dass er in den Wochen vor diesem Parteitag die "schonungslose" - wie es aus der Partei gern hieß - Aufarbeitung des Wahldebakels vom September 2021 auch recht ungeschönt nach außen trug. "Ernüchternd" war die Bilanz zum Zustand der CDU aus seiner Sicht. Widerspruch erntete er kaum, aber so mancher Kommentar stellte infrage, ob es Merz gelingen würde, rechtzeitig vor der ersten Landtagswahl aus dem Selbstkritik-Modus auch wieder umzuschalten. Nach dem heutigen Tag sollten diese Sorgen wohl erstmal ausgeräumt sein.

Denn zum einen bestätigt auch sein Amtsvorgänger Armin Laschet den kritischen Zustand der eigenen Partei, wenn er fordert, "wir müssen wieder lernen, seriös zu arbeiten" - eine Fähigkeit, die die CDU demnach zuletzt nicht mehr für sich beanspruchen konnte. Und Laschet unterstreicht noch einmal Merz’ Loyalität im schwierigen Wahlkampf, viele Gespräche, die beide miteinander gehabt hätten, vertraulich - "wie sich das unter Freunden gehört". Er, Laschet, persönlich denke, dass Merz "für diese Zeit genau der Richtige ist".

Laschet ist deutlich netter als er müsste

Das ist kein Lob des gesamten Merkel-Flügels, schon gar keines der Altkanzlerin selbst, die diesem Parteitag ferngeblieben ist und nicht einmal Ehrenvorsitzende ihrer CDU werden will. Aber es ist deutlich mehr als Laschet hätte sagen müssen.

Merz wiederum zeigt auf der kleinen Bühne im Konrad-Adenauer-Haus nicht nur die schon vertraute Scharfzüngigkeit, wenn es etwa darum geht, die ersten Ampel-Wochen zu beurteilen, sondern eine beinahe überraschende Jovialität und Verbindlichkeit. Dass bei einem Führungswechsel das scheidende Team - allen voran Laschet sowie Generalsekretär Paul Ziemiak - mit warmen Worten verabschiedet wird, versteht sich von selbst. Man kann das aber deutlich weniger empathisch und persönlich gestalten, als es Friedrich Merz auf diesem Parteitag tut.

Minutenlang erläutert er dem jeweils Abschied Nehmenden sämtliche Apps, die man für zukünftiges politisches Engagement und den nötigen Müßiggang auf die Tablets geladen hat, die beide als Geschenk bekommen. Über Fotoordner mit Bildern der eigenen Laufbahn, Abos für internationale Zeitungen, Ausflugs- und Workout-Tipps, Candy Crush (Bodo Ramelows Zeitvertreib, wenn es in Bund-Länder-Runden nicht voranging) bis hin zur Fan-App von Alemannia Aachen (im Falle von Laschet; Ziemiak ist Dortmund-Fan).

Merz hat umgeschaltet, das will er am Tag seiner Wahl wohl unmissverständlich deutlich machen. Nicht nur aus dem Selbstkritik-Modus, der sich ja immer nur gegen die CDU richtete, sondern auch aus dem "Politik ist spannend, wenn man an der Macht ist"-Programm. Lehnte er es bei seiner Niederlage im Rennen um den Parteivorsitz vor einem Jahr noch ab, stattdessen wenigstens ins Präsidium zu gehen - mit der leicht gönnerhaften Begründung, den kandidierenden Frauen nicht den Platz wegnehmen zu wollen -, so gibt Merz heute den Ohn-Mächtigen aus Leidenschaft.

Merz fängt mit Opposition an Ort und Stelle an

Gerade wegen der neuen Regierung habe Deutschland Anspruch auf eine Union, "die dem Land weiter dient". Die Antworten gebe auf die drängenden Fragen unserer Zeit und die als Opposition von heute den Anspruch an sich selbst stelle, "wieder die Regierung von morgen zu werden". Das könne ein weiter Weg sein und es sei nicht gesagt, dass es überhaupt gelinge. Doch "wenn wir schnell Tritt fassen, offen für Diskussionen sind, einfach Freude haben an der Gestaltung unseres Landes", dann könne in der Niederlage ein neuer Anfang, eine neue Chance liegen.

Die Regierung kontrollieren, "den Bundeskanzler herausfordern", das sind gemäß Merz die Aufgaben, die jetzt vor der Union liegen. Darüber hinaus sieht er auch noch den Vorteil, dass man in der Opposition keine Rücksicht auf den Koalitionspartner nehmen muss. Schon gar nicht auf den Ex-Koalitionspartner. Und wie das geht, auf den Ex-Koalitionspartner keine Rücksicht mehr zu nehmen, das führt er gleich an Ort und Stelle vor.

In anderthalb Stunden Regierungserklärung von Olaf Scholz sei das Wort "Bundeswehr" nicht einmal vorgekommen. Auch in der Ukraine-Krise sieht Merz den Führungsanspruch des Kanzlers nicht erfüllt: "Sie waren bisher weder in Washington noch in Moskau." Die Bundesregierung weigere sich, einen eigenen Vorschlag zur Impfpflicht zu machen, sie gebe den Menschen keine Antwort, die wegen der steigenden Inflation Angst um ihre Ersparnisse hätten. Dies nur als Auszug aus einer deutlich längeren Aufzählung.

Spahn fährt das schwächste Ergebnis ein

Wenn Merz erklärt, "von diesem Parteitag geht ein kraftvolles Signal des Aufbruchs und der Erneuerung der CDU aus", dann heißt das noch keineswegs, dass die ehemalige Volkspartei bei ihrem selbstgesteckten Ziel auch ankommen wird. Aber das Aufbruchssignal ist tatsächlich deutlich zu sehen und manifestiert sich auch anschließend in den Wahlen zu Präsidium und Vorstand: Junge, weniger etablierte Bewerber wie Joe Chialo oder Ronja Kemmer bekommen ihre Chance. Unter anderem die ehemalige Ministerin Anja Karliczek muss dafür weichen. Und auch Jens Spahn als ehemaliger Minister bekommt den Wunsch der Partei zu spüren, unter die letzten Regierungsjahre einen Strich zu ziehen: Unter den künftigen Präsidiumsmitgliedern fährt er das schwächste Ergebnis ein.

Dem neuen CDU-Chef gelingt es, den Zustand der eigenen Partei nicht zu beschönigen, aber versöhnlich mit ihr umzugehen und die Rolle als Oppositionsführer auf eine Weise zu übernehmen, die dem Rest der Union Lust machen könnte, sich ebenfalls zu beteiligen. "Opposition ist Mist" - das waren die anderen. "Zieht Euch warm an", hat Armin Laschet in seiner Rede gesagt. Diesen Rat möchte man nun schon mal den Ampelparteien zuraunen.

Quelle: ntv.de

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