Politik

Zum neuen Tory-Chef gewählt Johnson beerbt May als britischer Premier

Zehntausende Mitglieder der Tories haben sich entschieden: Boris Johnson soll künftig ihre Partei führen und die Regierung Großbritanniens leiten. Der frühere Außenminister folgt auf Theresa May. Ihm schlägt reichlich Ablehnung entgegen - und es erreicht ihn ein überraschender Glückwunsch.

Der ehemalige britische Außenminister Boris Johnson hat das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May haushoch gewonnen. Er setzte sich bei der innerparteilichen Wahl mit 92.153 Stimmen gegen seinen Rivalen Jeremy Hunt durch, der 46.656 Stimmen erhielt. Johnson ist damit Chef der Konservativen Partei und soll am Mittwoch von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt werden. Mit Spannung wird erwartet, wen der umstrittene Politiker zu sich ins Kabinett holt.

Die etwa 160.000 Parteimitglieder - das sind nach Angaben der Zeitung "Independent" 0,34 Prozent aller Wahlberechtigten - hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und Hunt zu entscheiden. Die Wahlbeteiligung lag bei über 87 Prozent, wie die Partei bekannt gab. Seine Wahl bezeichnete Johnson in einer kurzen Rede im Anschluss als einen "entscheidenden Moment" in der Geschichte. Zugleich räumte er ein, dass seine neue Funktion nicht überall willkommen geheißen werde. Einen Gratulanten fand er jedoch sogleich in US-Präsident Donald Trump. Dieser twitterte über Johnson: "Er wird großartig sein!"

Der 55-Jährige will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln. May war mit dem Deal im Parlament dreimal gescheitert. Die Europäische Union lehnt aber jegliche Änderung an dem Abkommen ab. Johnson will daher notfalls am 31. Oktober ohne Austrittsvertrag ausscheiden. Das dürfte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche haben.

Der Brexit-Hardliner wird wahrscheinlich viele Regierungsposten neu besetzen. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback der früheren Brexit-Minister Dominic Raab und David Davis. Kritiker halten Davis für inkompetent und faul. Am vergangenen Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke die Aufgabe ihrer Ämter im Falle eines Wahlsiegs Johnsons angekündigt. Es wird mit Rücktritten weiterer EU-freundlicher Minister gerechnet.

Tollpatschigkeit und teilweise Ignoranz

Johnson kündigte bereits an, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) vorerst zurückzuhalten. Eine deutliche Senkung der Einkommenssteuer für gut verdienende Briten stellte er ebenfalls in Aussicht. Viele Tory-Abgeordnete trauen Johnson zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen.

Der einst auch unter liberalen Wählern populäre Ex-Bürgermeister von London ist für seinen Wortwitz, aber auch für seine Tollpatschigkeit und teilweise Ignoranz bekannt. Seine Zeit als Außenminister ist in keiner guten Erinnerung geblieben. Wohl deshalb erwähnte er sie während des Wahlkampfs kaum. Johnson, der dafür bekannt ist, über die eigenen Füße zu stolpern, hielt sich im gesamten Auswahlverfahren stark zurück. Sein Erscheinungsbild hatte sich in den vergangenen Wochen auffallend geändert. Statt verwuschelter blonder Haarmähne ließ Johnson sich einen richtigen Haarschnitt verpassen. Außerdem nahm er deutlich ab.

Lindner hält ihn für unberechenbar

FDP-Chef Lindner erwartet nun noch unruhigere Zeiten.

FDP-Chef Lindner erwartet nun noch unruhigere Zeiten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Politiker in Deutschland haben sich beunruhigt über die Wahl von Boris Johnson zum künftigen britischen Premierminister gezeigt. "Ich glaube, dass Herr Johnson im Vergleich zu Herrn Trump noch einmal unberechenbarer sein wird", sagte FDP-Chef Christian Lindner in Berlin. "Wir müssen uns als Europäerinnen und Europäer auf unruhige Zeiten einstellen, was die europäische Integration angeht." Er habe nicht den Eindruck, dass Johnson wisse, was genau er mit seiner neu gewonnenen Macht anfangen solle, sagte Lindner.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner erwartet "schwierige Zeiten für Großbritannien und Europa". "Jemand, der wie Boris Johnson derart auf Eskalation und Populismus setzt, ist ein mehr als schwieriger Gesprächspartner für die EU", erklärte Brantner.  Die Tories hätten einen "notorischen Lügner und Hasardeur zum Parteivorsitzenden und künftigen Regierungschef von Großbritannien" gekrönt, kritisierte Brantner. Für Europa heiße es nun mehr denn je: "Geschlossen zusammenstehen und im Brexit-Wahnsinn kühlen Kopf bewahren."

Iran gratuliert

Eher überraschend übermittelte der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif Johnson mitten in der Tankerkrise seine Glückwünsche zum Wahlsieg. "Ich gratuliere meinem früheren Gegenüber Boris Johnson, dass er Premierminister des Vereinigten Königreiches geworden ist", schrieb Sarif auf Twitter. Johnson ist von Juli 2016 bis Juli 2018 britischer Außenminister gewesen.

Gleichzeitig kritisierte der iranische Chefdiplomat das Vorgehen der britischen Regierung gegen einen Supertanker mit Öl aus dem Iran. "Die Beschlagnahme von iranischem Öl durch die May-Regierung auf Geheiß der USA ist Piraterie, ganz einfach", erklärte er. Der Iran wolle keine Konfrontation, verfüge am Persischen Golf aber über 1500 Meilen Küste. "Das sind unsere Gewässer und wir werden sie schützen", so Sarif.

Die jüngste Eskalation des Konflikts begann am 4. Juli, als der Supertanker in den Gewässern der britischen Exklave Gibraltar an die Kette gelegt wurde. Der Vorwurf: von der EU untersagte Lieferungen an Syrien. Die Maßnahme gilt derzeit bis zum 20. August. Nach mehreren Vorfällen in der Straße von Hormus hatte der Iran dort zuletzt einen britischen Tanker festgesetzt.

Quelle: ntv.de, fzö/dpa/vpe/AFP

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