Noch vor Familie und Schule Jugendliche informieren sich vor allem auf Social Media über Politik
23.09.2025, 18:28 Uhr Artikel anhören
Die Studie zeigt: Angriffslustige Videoclips werden im Schnitt rund 40 Prozent häufiger gesehen. Selbstdarstellung verringert dagegen die Reichweite.
(Foto: picture alliance/dpa)
Junge Menschen nutzen vor allem Onlinedienste, um sich über politische Themen zu informieren. Eine Bertelsmann-Studie zeigt, welche Macht soziale Medien wie Instagram und Tiktok haben und wie Politiker ihre Reichweite nutzen.
Die Social-Media-Plattformen Instagram und Tiktok sind für junge Menschen die wichtigsten Vermittler politischer Inhalte. Das geht aus einer Untersuchung des Progressiven Zentrums in Berlin in Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung hervor. Für die Studie mit dem Titel "How to Sell Democracy Online (Fast)" wurden rund 31.000 Kurzvideos politischer Akteure und Influencer auf Instagram und Tiktok in einem Zeitraum von Juni bis Dezember 2024 analysiert.
1976 politische Accounts wurden dabei von einem wissenschaftlichen Team der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz ausgewertet. Gleichzeitig basiert die Studie auf einer repräsentativen Umfrage unter 1748 jungen Menschen zwischen 16 und 27 Jahren, die das Meinungsforschungsinstitut Pollytix erstellt hat.
Ein Ergebnis: Social Media ist der Raum, in dem junge Menschen die meisten politischen Informationen aufnehmen (74 Prozent), noch vor Familie, Schule, Freunden, Zeitung oder Fernsehen.
- 81 Prozent nutzen Instagram täglich oder mehrfach täglich
- 61 Prozent nutzen Tiktok ebenso häufig
- 50 Prozent sehen Politik-Inhalte vor allem über den Algorithmus-Feed
- 38 Prozent folgen Parteien oder Politikern
- 60 folgen politischen Influencern
Angriffe auf politische Gegner bringen Reichweite
Die Wissenschaftler stellten auch fest: Fast 70 Prozent der Beiträge bestehen aus positiver Selbstdarstellung, 35 Prozent enthalten Angriffe auf politische Gegner. Während bei Instagram die Selbstdarstellung und das Eigenlob noch um 20 Prozentpunkte häufiger sind als auf Tiktok, wird dort um 15 Prozentpunkte häufiger zur Attacke geblasen.
Die Analyse der veröffentlichten Videos von politischen Akteuren ergab, dass diese viel mit sich selbst beschäftigt waren. Jedes dritte Tiktok-Video oder Instagram-Reel drehte sich um das Handeln der Regierung oder anderer politischer Institutionen oder widmete sich den damals anstehenden Bundestagswahlen.
Die Parteien mit der größten Beißhemmung sind dabei SPD und Volt. Bei ihnen bestehen fast 90 Prozent der Kurzvideos aus Selbstdarstellung. Die AfD nimmt dort den letzten Platz ein. Bei Videos mit Angriffen auf politische Gegner ist es umgekehrt. Dort rangiert die AfD mit 73 Prozent auf dem ersten Platz, gefolgt von BSW (60 Prozent) und der Linken (48 Prozent). Auf den letzten Plätzen rangieren SPD und Volt. Das kostet sie deutlich Reichweite, denn angriffslustige Videoclips werden im Schnitt rund 40 Prozent häufiger gesehen. Selbstdarstellung verringert dagegen die Reichweite.
Migration zu thematisieren bringt Reichweite, Umwelt und Soziales nicht
Videos zu Themen wie Recht und Kriminalität, Migration oder Sozialstaat und Wohlfahrt rangierten mit fünf oder sechs Prozent deutlich vor Videos zu Themen, die eine hohe Relevanz für junge Menschen besitzen. Dazu zählen Bürgerrechte, Arbeit oder Wohnen. Reichweiten-Killer waren Sozialpolitik, Umwelt und Bildung.
Die Befragung zeigt aber auch, dass die jungen Menschen die verbalen Angriffe in populistischen und extremen Videos durchaus kritisch sehen. Die erhitzten Diskussionen, die sich daraus in den Kommentarspalten ergeben, würden aber wiederum dafür sorgen, dass der Algorithmus sie bevorzugt.
Die Studie findet heraus, dass 64 Prozent der jungen Menschen finden, dass die Plattformen ein guter Ort sind, um ihre Generation zu erreichen. Etwa die Hälfte von ihnen gibt an, die niedrigschwelligen Kontaktmöglichkeiten auf Social Media zu schätzen (zum Beispiel Fragen stellen, andere Ansichten hören). Allerdings nehmen nur 17 Prozent selbst an Online-Diskussionen teil und nur jeder Fünfte likt oder kommentiert politische Beiträge.
Selfievideos am beliebtesten
Einen positiven Effekt für Views konnten die Forschenden auch dann feststellen, wenn die Videos im Selfiemodus aufgenommen wurden. Während knapp der Hälfte der Politikinfluencer ihre Videos so erstellten, machten das nur 13 Prozent der Politikerinnen und Politiker.
Bei Infografiken äußerten sich die Befragten widersprüchlich. Obwohl sich die Hälfte von ihnen mehr Zahlen und Statistik wünschte, erzielen Videos mit Infografiken eine geringere Reichweite. Am häufigsten wurden Infografiken von den Grünen, der Linken und Volt eingesetzt, am seltensten von CDU und FDP.
Ein Nebenbefund: Ein Reichweiten-Killer sind politische Videos, in denen getanzt wird. Die machen allerdings auch nur zwei Prozent des Angebots aus. Weiterer Nebenbefund: Bei Videos der Parteien mit Jugendbezug ist die AfD Schlusslicht.
Jugendliche wünschen sich Authentizität
Befragt nach ihren Wunschinhalten gaben 81 Prozent der jungen Menschen an, dass diese ehrlich sein sollten. Jeweils 68 Prozent wünschen sich zudem, dass politische Akteure nicht "über andere herziehen" sowie eine einfache und klare Sprache benutzen sollten. Für 62 Prozent war es zudem wichtig, dass sie sich menschlich zeigen.
Angesichts der Ergebnisse riefen die Studienautorinnen und ‑autoren politische Institutionen und Entscheidungsträger dazu auf, Social Media nicht nur als Verlängerung klassischer Kommunikationsformen zu begreifen, sondern aktiv, attraktiv und strategisch einzusetzen.
Inhalte müssten zielgruppengerecht, verständlich und visuell ansprechend aufbereitet werden. Vor allem aber müsse die Ansprache glaubwürdig sein und die Kernbotschaft der Clips auf die Lebensrealitäten und Interessen der jungen Generation eingehen.
Quelle: ntv.de, mwa/dpa/AFP