"Außerordentlich besorgt" Kasachstan blickt bang auf Russlands Invasion
07.03.2022, 20:30 Uhr
Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew sicherte seine Macht mit russischer Hilfe.
(Foto: picture alliance/dpa/Kazakh presidential website/XinHua)
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine befürchten andere Ex-Sowjetstaaten, dass Putin auch dort aktiv werden könnte. In Kasachstan macht die russische Minderheit fast 20 Prozent der Bevölkerung aus. Doch das Land bietet laut Zentralasien-Expertin Eschment Russland selbstbewusst die Stirn.
Die russische Invasion in der Ukraine wird nach Angaben der Zentralasien-Expertin Beate Eschment nicht nur im Baltikum, sondern auch in anderen Ex-Sowjetrepubliken mit Argusaugen beobachtet. Denn Ängste über russische Expansionswünsche gebe es etwa auch in Kasachstan. "Dort gibt es eine russische Minderheit von immerhin mehr als 18 Prozent und eine lange gemeinsame Grenze", sagte die Expertin des Osteuropa-Instituts Zois der Nachrichtenagentur Reuters.
Russische Nationalisten hätten schon früher die Annexion der betreffenden Siedlungsgebiete im Norden gefordert. "Offizielle Erklärungen lassen darauf schließen, wie außerordentlich besorgt man ist, dass Russlands Präsident Wladimir Putin auch dort aktiv werden könnte", sagt Eschment. An diesem Montag telefonierte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seinem kasachischen Kollegen Kassym-Schomart Tokajew.
"Umso erstaunlicher ist es, wie Kasachstan sich im Ukraine-Konflikt bisher verhalten hat", sagt Eschment. Denn die kasachische Führung habe sehr selbstbewusst klargemacht, dass sie die sogenannten Volksrepubliken in den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete in der Ostukraine anders als Moskau eben nicht anerkennen werde. Stattdessen verwies sie auf das Völkerrecht und UN-Prinzipien. Und seit Beginn der russischen Invasion poche man in der Hauptstadt Nur-Sultan auf die eigene Neutralität. "Das ist angesichts des Drucks Putins bemerkenswert." Die Regierung des Landes mit fast 19 Millionen Einwohnern betone das Prinzip der territorialen Integrität von Staaten und habe Anfang März die Modernisierung der Streitkräfte angeordnet.
Auch dass sich Kasachstan in der UN-Vollversammlung zu dem russischen Angriff auf die Ukraine enthalten habe, sei keineswegs ein Wegducken, sondern eine sehr selbstbewusste Geste gewesen. Immerhin hatte Tokajew seine Macht Anfang 2022 nur mithilfe des von Russland angeführten Militär-Bündnisses OVKS gesichert. Putin hatte damals drohend erklärt, die OVKS werde auch in Zukunft nicht zulassen, dass es zu einer Revolution bei den Bündnis-Mitgliedern komme.
Gute Kontakte in alle Richtungen
Zu der Allianz gehören neben Russland und Kasachstan auch Belarus, Armenien, Tadschikistan und Kirgistan. Allerdings ziehen die fünf zentralasiatischen Länder gegenüber Moskau nicht an einem Strang. Eschment verweist darauf, dass sich Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan zwar bei der UN-Abstimmungen enthielten. Aber Usbekistan und Turkmenistan waren bei der Abstimmung vorsorglich nicht im Saal und stimmten gar nicht mit ab. Immerhin bedeutet es ein Warnsignal für Moskau, dass nicht einmal autoritärere zentralasiatische Länder mit Russland stimmten. Das ressourcenreiche Kasachstan wolle als wirtschaftliches Schwergewicht der Region dabei bewusst seine sogenannte Multi-Vektor-Politik beibehalten, also gute Kontakte in alle Richtungen pflegen, meint Eschment.
Möglicherweise setzt man bei zu starken "Umarmungsversuchen" Putins aber auch auf das andere Nachbarland China. "Denn die Supermacht ist zwar bei der Bevölkerung Zentralasiens ein sehr unbeliebter Partner, aber wirtschaftlich von immer größerer Bedeutung", so die Zois-Expertin. "Es liegt überhaupt nicht im chinesischen Interesse, dass Russland nun seine Einflusssphäre wieder ausbreiten will: Denn Zentralasien ist Chinas Weg nach Westen." Die Zentralasiaten könnten aber bald ganz anders in den Konflikt involviert werden als gedacht. Eschment verweist auf Berichte, dass Russland unter der hohen Zahl von Arbeitsmigranten aus den zentralasiatischen Staaten Söldner für den Kampf in der Ukraine mit dem Versprechen auf Geld und die russische Staatsbürgerschaft anwerbe.
Quelle: ntv.de, Andreas Rinke, rts