Politik

EU-Abgeordnete von Cramon "Kein ukrainischer Sieg ohne westliche Panzer"

Ein Panzer vom Typ Leopard II. Die deutsche Position zu Panzerlieferungen rufe in der Ukraine Unverständnis hervor, so von Cramon.

Ein Panzer vom Typ Leopard II. Die deutsche Position zu Panzerlieferungen rufe in der Ukraine Unverständnis hervor, so von Cramon.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Ukraine dringt auf die Lieferung westlicher Kampfpanzer zur Verteidigung gegen die russische Invasion. Doch viele Staaten zögern. Die Begründungen dafür hält Europapolitikerin Viola von Cramon für fadenscheinig. Die Bundesregierung müsse ihre Position überdenken. Dies sei in ihrem eigenen Interesse.

ntv.de: Russland beschießt die zivile Infrastruktur der Ukraine massiv, zugleich herrschen im Land Minusgrade. Sie selbst waren noch im November in Kiew. Welchen Eindruck haben Sie bekommen?

Viola von Cramon: Im November war es schon sehr kalt, es hat geschneit. In vielen Bezirken Kiews gab es keinen Strom. Aber die Menschen waren guten Mutes, dass sie es durch den Winter schaffen und die Kälte überstehen. Es gab eine große Willensstärke. Es lässt sich jedoch nicht vorhersagen, ob das am Ende möglich ist oder ob wir erneut mehrere Hunderttausend oder sogar Millionen Menschen aufnehmen müssen, weil die Rohre geplatzt sind, die Energieversorgung nicht steht und die Menschen frieren.

Bräuchte es mehr Unterstützung des Westens?

Viola von Cramon sitzt seit 2019 für die grüne Fraktion im Europaparlament.

Viola von Cramon sitzt seit 2019 für die grüne Fraktion im Europaparlament.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Die EU und ihre internationalen Partner versuchen alles, um eine erneute Massenfluchtbewegung zu verhindern. Aber wir wissen nicht, ob wir alles schnell genug dorthin liefern können, wo es auch gebraucht wird. Wir wissen auch nicht, ob die Generatoren, die geliefert werden, ausreichen. Die Ukraine kann da nur kurzfristige Reparaturmaßnahmen leisten.

Hat die EU mit den massiven Angriffen Russlands auf die zivile Infrastruktur gerechnet?

In dieser Brutalität nicht. Diese gezielten Angriffe, die massenhaft Zivilistinnen und Zivilisten treffen und umbringen, waren nur schwer vorstellbar. Aber es gibt diese Brutalität und es ist wichtig, dass wir die Realität annehmen und uns gezielt überlegen, was wir dem entgegnen können. Das eine ist die Wiederherstellung der zivilen Infrastruktur, das andere der dringend benötigte militärische Schutz. Die Ukraine braucht Luftabwehr, braucht Flugabwehr, braucht die Möglichkeit, ihr eigenes Territorium zurückzuerobern. Und das wird sie nicht schaffen ohne westliche Panzer.

Und wo sind die?

In dieser Frage scheint es bei einigen EU-Mitgliedsstaaten Vorbehalte zu geben, auch in Teilen der Bundesregierung.

Warum ist das so?

Ich kann da nur spekulieren. Die offizielle Verlautbarung, Deutschland müsse sich mit den internationalen Partnern absprechen, halte ich für vorgeschoben. Weder die EU noch die USA würden Deutschland bremsen. Natürlich muss hinterfragt werden, warum auch viele andere EU-Staaten keine westlichen Panzer schicken. Jedoch deklarieren der Bundeskanzler und die Verteidigungsministerin einen Führungsanspruch. Da fragen uns die Ukrainer zurecht: "Ihr seid ein großer Rüstungsproduzent, schickt Waffen in alle Welt und habt die Panzer - warum bewegt ihr euch nicht? Es geht doch auch um eure Sicherheit." Auch auf meiner Reise in die Ukraine haben mich immer wieder Menschen auf die ausbleibenden deutschen Panzerlieferungen angesprochen. Da hieß es dann: "Möchte Deutschland nicht, dass wir gewinnen?"

Und, stimmt das?

Ich sehe das nicht so. Ich glaube schon, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland verstanden hat, dass sich mit einem Nicht-Erfolg der Ukraine die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas nicht mehr aufrechterhalten ließe. Wenn Putin in der Ukraine gewinnt, müssen wir über Klimaschutz, Energiewende und Toleranz gegenüber Minderheiten nicht mehr reden. Dann hat sich das autoritäre System noch weiter in Richtung unserer Grenzen durchgesetzt und Mitgliedsstaaten der EU wären möglicherweise das nächste Ziel. Daher ist die deutsche Unterstützungsbereitschaft sehr hoch. Es wird auch schon viel getan, nur hakt es bei bestimmten Kategorien wie den Panzerlieferungen. Dabei steht außer Frage, dass ein Sieg der Ukraine von unserer Bereitschaft abhängt, den an der Front kämpfenden Menschen zusätzlich zur Flugabwehr gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Ohne westliche Panzer gibt es keinen ukrainischen Sieg. Das ist extrem wichtig.

Trotzdem scheint es in der Bundesregierung Skepsis zu geben. Wie könnte sich die deutsche Position zu Panzerlieferungen noch ändern?

Auch aus der SPD müssten viel mehr Leute nach Kiew reisen, um mit eigenen Augen zu sehen, was die Russen da anstellen. Wie brutal der Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt wird und was es heißt, täglichen Bombardements ausgesetzt zu sein. Zudem sollte sich die Regierung auch verständlich machen, dass der Krieg nicht nur hohe Verluste verursacht, sondern auch hohe Kosten. Wir werden die Ukraine wieder aufbauen. Aber alles, was wir nicht schützen können, müssen wir später doppelt bezahlen.

Der Wiederaufbau setzt einen Sieg der Ukraine voraus. Was genau der Westen darunter versteht, ist nicht immer ganz eindeutig.

Der europäische Standpunkt ist: Die Ukraine entscheidet, wann der Krieg zu Ende ist. Und sie hat das Recht, ihr gesamtes Territorium zurückzuerobern. Die Bekenntnisse sind nicht das Problem, nur macht es mir Sorgen, dass darauf entsprechende Technik, hier vor allem auch die schweren westlichen Waffen, nicht folgen. Ich finde zudem, dass man der Ukraine nicht verwehren kann, die Krim zu befreien. Hinter vorgehaltener Hand sieht man das in manchen europäischen Hauptstädten womöglich anders.

Aber Sie haben keine Zweifel daran, dass die Ukraine gewinnt?

Zweifel habe ich keine daran. Ich befürchte nur, dass der Sieg mit hohen Verlusten verbunden sein wird. Die Ukrainer werden nicht kapitulieren. Sie schicken bereits alles, was sie haben, an die Front: ihre intellektuelle Elite, ihre kreative Klasse, schlicht ihre männliche Bevölkerung, die einen großen Teil der Wirtschaftskraft stellt. Einen Sieg der Ukraine wird es geben, die Frage ist nur, wann und zu welchen Kosten.

Was erwarten Sie von Russland in den nächsten Monaten?

Natürlich darf Russland nicht unterschätzt werden. Wir sehen, dass die Russen lernfähig sind. Sie werden wahrscheinlich weniger gut durch den Winter kommen als die Ukraine. Aber im Frühjahr wird Russland eine Offensive starten. Es ist fraglich, ob die Ukraine ausreichend darauf vorbereitet ist. Darüber hinaus müssen wir immer auch versuchen, etwas in Russland zu bewirken. Dort müssen endlich Kräfte wirken, die diesen Krieg beenden wollen. Es muss die Erkenntnis obsiegen, dass Russland nur mit hohen Verlusten aus dem Krieg herausgehen kann, ähnlich wie damals in Afghanistan. Aber wenn wir nicht genug militärisches Material und Ausrüstung schicken, wird Russland nicht an diesen Punkt kommen.

Wird die internationale Unterstützung für die Ukraine auch nächstes Jahr aufrechterhalten bleiben?

Es gibt da eine große Gefahr: Im nächsten Jahr wird die Ernte der Ukraine komplett einbrechen. Gleichzeitig hat Russland eine Rekordmenge von über 100 Millionen Tonnen eingefahren. Russland wird also massiven Druck auf jene Länder ausüben, die bislang von der Ukraine versorgt wurden. Viele afrikanische und asiatische Länder, die indirekt vom Krieg betroffen sind, haben den russischen Krieg verurteilt oder sich zumindest enthalten. Das darf nicht aufweichen.

Wie können Deutschland und Europa da einwirken?

Auch wir müssen mehr Getreide aus unseren Beständen zur Verfügung stellen. Das würde eben auch bedeuten, weniger an unsere Tiere zu verfüttern oder für unser Bier zu verwenden. Wir müssen schauen, dass wir mit den betroffenen Staaten enge wirtschaftliche Beziehungen eingehen. Das direkte Gespräch suchen, die Einladung in multilaterale Gremien - all das ist wahnsinnig wichtig. Aber wir müssen den Ländern auch verdeutlichen, dass sie politischen Einfluss geltend machen müssen, damit dieser brutale Krieg aufhört. Kein Land darf sich zurücklehnen und so tun, als würde es das alles nichts angehen.

Mit Viola von Cramon sprach Marc Dimpfel

Quelle: ntv.de

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