Lieferung an Ukraine gefordert Union macht Druck beim Taurus-Marschflugkörper
15.11.2023, 09:19 Uhr
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Ein Marschflugkörper Taurus unter der Tragfläche eines deutschen Eurofighters.
(Foto: Taurus Systems GmbH)
Bundeskanzler Scholz will der Ukraine vorerst keine Marschflugkörper vom Typ Taurus liefern - doch für CDU und CSU ist das Thema damit nicht vom Tisch. An diesem Donnerstag stellt die größte Oppositionsfraktion einen Antrag für die Lieferung. Zustimmung kommt von Experten-Seite.
Beim Thema Marschflugkörper Taurus will die Union offenbar nicht lockerlassen. CDU und CSU stellen an diesem Donnerstag im Bundestag einen Antrag, in dem sie die Bundesregierung auffordern, der Ukraine die reichweitenstarke Präzisionswaffe zu liefern und ihre Soldaten daran auszubilden. "Den ukrainischen Kräften mangelt es an der Fähigkeit, Versorgungslinien, Führungseinrichtungen und die logistischen Strukturen gezielt anzugreifen", heißt es in dem Antrag, der ntv.de vorliegt. Dies sei aber die "Grundlage für das Vortragen weiterer erfolgreicher Offensiven".
Bereits im Mai hatte die Ukraine die Bundesregierung um die Lieferung des Marschflugkörpers gebeten. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Anfang Oktober entschieden, dieser Bitte "vorerst" nicht nachzukommen. Neben der Union kritisierte das auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter heftig. Auch FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte eine Lieferung des Marschflugkörpers und bemängelte das aus ihrer Sicht zu lange Zögern des Bundeskanzlers in dieser Frage.
Scholz begründete sein Nein damit, eine Eskalation des Krieges vermeiden zu wollen. Es müsse verhindert werden, dass Deutschland Teil der Auseinandersetzung werde, sagte er bei einem NATO-Gipfel im spanischen Granada. Aus Sicht des Kanzleramtes müssten für den Taurus-Einsatz Geodaten aus Deutschland zugeliefert werden oder deutsches Personal, möglicherweise sogar Bundeswehrsoldaten, vor Ort sein. Das würde allerdings einen Beschluss des Bundestags erfordern. Offenbar gibt es im Kanzleramt die Befürchtung, dass dies von Russland als direkte Beteiligung am Kriegsgeschehen gewertet werden könnte.
Statt Taurus lieber Patriot
Als politisch heikel gilt auch die Möglichkeit, dass mit den Taurus-Marschflugkörpern womöglich die große Krimbrücke über die Straße von Kertsch zerstört werden könnte, ein Prestigeprojekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Statt des Taurus hatte Scholz dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ein weiteres Raketenabwehrsystem vom Typ Patriot zugesagt. Es wäre das vierte, das die Ukraine erhielte, nachdem Deutschland, die USA und die Niederlande bereits jeweils eins geliefert haben. Bislang ist es noch nicht in der Ukraine eingetroffen.
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter lässt diese Argumente nicht gelten. "Alle möglichen offenen Fragen sind längst geklärt und alle denkbaren Scheinargumente ausgeräumt. Es gibt nichts, was gegen die Lieferung von Taurus spricht, weder militärisch noch rechtlich", teilte er ntv.de mit. "Es stellt sich aber die Frage, warum Deutschland nicht alles tut, damit die Ukraine möglichst schnell gewinnt. Der Weg zum Sieg führt dabei über die Krim und die Zerstörung der Kertsch-Brücke, über die ein Großteil des russischen Nachschubs läuft."
In ihrem Antrag greift die Union die Befürchtung auf, mit Taurus könnte russisches Staatsgebiet angegriffen werden, was die westlichen Ukraine-Unterstützer unbedingt vermeiden wollen. Man befürchtet sonst eine weitere Eskalation von russischer Seite. Angesichts der Reichweite von 500 Kilometern könnten die Ukrainer mit Taurus tatsächlich russisches Territorium attackieren.
Gressel: Nicht im Interesse der Ukraine, Vertrauen zu enttäuschen
Doch die Union wirbt um Vertrauen in Kiews Versprechen, das nicht zu tun. Im Antrag heißt es: "Der Verteidigungskampf der Ukraine lehrt: Es gibt keinen Grund, an den ukrainischen Zusagen zu zweifeln." Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations hatte ntv.de gesagt, es liege nicht im Interesse der Ukraine das Vertrauen der Geberländer zu enttäuschen. Gressel sieht eher in einem anderen Punkt legitime Bedenken gegen eine Lieferung. Die Russen könnten abgestürzte, nicht detonierte Taurus analysieren und so Erkenntnisse über das Waffensystem erlangen.
Die Union verweist außerdem darauf, dass Frankreich und Großbritannien bereits mit SCALP sowie dem baugleichen Storm Shadow ähnliche Waffen liefern. Die verfügen aber nur über eine Reichweite von 250 Kilometern. Die USA haben außerdem das Raketensystem ATACMS zur Verfügung gestellt. Die gelieferten ballistischen Raketen haben eine Reichweite von 165 Kilometern.
Gressel bezeichnete die Unterschiede von SCALP und Storm Shadow zum Taurus bei ntv.de dennoch als "marginal". Er verwies außerdem darauf, dass Paris und London sich mit Kiew darauf verständigt hätten, dass jedes einzelne Ziel für ihre gelieferten Marschflugkörper mit ihnen abgestimmt wird. "Das heißt, bevor die Ukrainer irgendein Ziel mit SCALP oder Storm Shadow angreifen, versichern sie sich in Paris oder London noch mal rück, dass das okay ist und man aus diesem Angriff keinerlei Komplikationen erwartet", so Gressel.
Reisner sieht Vorteile des Taurus
Der österreichische Oberst Markus Reisner sagte ntv.de, der Taurus sei laut Hersteller besonders resistent gegen Störversuche im elektromagnetischen Feld. Damit gelinge es Russland "mehr und mehr", die auf GPS basierende Zielerfassung der französischen und britischen Marschflugkörper zu stören und sie so zum Absturz zu bringen. Taurus hingegen ist nicht auf GPS angewiesen, sondern fokussiert sein Ziel quasi selbstständig. Das soll ihn gegen russische Störattacken unempfindlich machen. "Ob sich das bewahrheitet, müsste man im Versuch tatsächlich feststellen. Und dann würde es wieder eine Zeit dauern, bis die Russen sich angepasst haben."
Die Union schreibt in ihrem Antrag: "Wenn die Bundesregierung tatsächlich das Ziel verfolgt, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss, dann sollte sie ein so wirksames System nicht zurückhalten, sondern gerade dieses liefern." Kiesewetter ergänzte gegenüber ntv.de: "Bei Taurus geht es letztlich nicht um ein einzelnes Waffensystem, sondern um das politische Ziel. Wollen wir, dass die Ukraine gewinnt? Oder soll die Ukraine in einen Diktatfrieden gedrängt werden, der mit Putin verhandelt wird?"
Dass der Unionsantrag eine Mehrheit findet, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn, wäre er für Scholz nicht bindend, da es sich um eine bloße Aufforderung handeln würde. Der Bundestag hätte aber seine Haltung deutlich gemacht und das Thema bliebe im Gespräch. Zu erwarten ist, dass die Ampelkoalition den Antrag ablehnt - da es aber in allen drei Regierungsfraktionen Befürworter einer Lieferung gibt, dürfte dies manchem schwerfallen.
Quelle: ntv.de