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Britische Wahllokale geöffnet Tories erwarten historisches Debakel

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Sozialdemokratischer Labour-Kandidat Keir Starmer wird schon vor Öffnung der Wahllokale als eindeutiger Sieger gehandelt.

Sozialdemokratischer Labour-Kandidat Keir Starmer wird schon vor Öffnung der Wahllokale als eindeutiger Sieger gehandelt.

(Foto: picture alliance / empics)

Alle Zeichen deuten darauf hin: Die Tories stehen vor einer beispiellosen Pleite. Nach 14 Jahren könnten die Sozialdemokraten in Großbritannien wieder an die Macht kommen - und ihre größte Mehrheit seit 1832 erringen. Auch Brexit-Initiator Farage könnte aus der Versenkung auftauchen.

Großbritannien steht vor einer historischen Abstimmung. Bei der Parlamentswahl droht Premierminister Rishi Sunak und seiner Konservativen Partei eine heftige Niederlage. Neuer Regierungschef dürfte Keir Starmer von der Labour-Partei werden - darauf deuteten bis zuletzt alle Umfragen hin. Damit würden 14 Jahre konservativer Regierung enden. Die Wahllokale öffneten um 8.00 Uhr und schließen um 23.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit.

Rechnungen zufolge werde die sozialdemokratische Labour Partei die größte Mehrheit für eine Partei seit dem Jahr 1832 erringen, teilte das Meinungsforschungsinstitut YouGov mit. Demzufolge würden die Sozialdemokraten auf 431 der insgesamt 650 Sitze im Unterhaus (House of Common) kommen. Mit zuletzt 202 Mandaten würde die Partei ihre Sitze mehr als verdoppeln. Die Konservativen hingegen würden den Rechnungen zufolge auf 102 Sitze einbrechen. "Was wir vor uns sehen, hat es in der britischen Politikgeschichte noch nie gegeben", sagte YouGov-Experte Patrick English dem Sender Sky News.

Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und voraussichtliche Wahlsieger, Keir Starmer, warb für einen Wechsel. Großbritannien könne sich fünf weitere Jahre konservativer Regierung nicht leisten. Unter seiner Führung werde das Land ein neues Kapitel aufschlagen, kündigte der 61-Jährige an.

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Mit Spannung wird ebenfalls das Abschneiden der Liberaldemokraten erwartet, die manchen Berechnungen zufolge sogar Chancen haben, die Konservativen als größte Oppositionsfraktion abzulösen. Aber auch die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel Farage, der einst den Brexit maßgeblich vorantrieb, dürfte erstmals ins Unterhaus einziehen. Experten rechnen damit, dass die ehemalige Brexit-Partei die Konservativen viele Stimmen am rechten Rand kostet.

Konservative gestehen Niederlage vorab ein

Arbeitsminister Mel Stride räumte im Sender GB News ein, Labour steuere auf einen Erdrutschsieg zu, "wie ihn dieses Land wohl noch nie erlebt hat". Bei der sich abzeichnenden Pleite für die Tories dürften mehrere aktuelle Regierungsmitglieder ihre Mandate verlieren. Selbst Premier Sunak zittere um seinen Sitz, schrieb die Zeitung "Guardian". Der Wahlkreis des 44-Jährigen in Nordengland gilt eigentlich als sichere Bank der Konservativen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte, dass ein amtierender Premier aus dem Unterhaus flöge. In diesem Fall gilt es als ausgeschlossen, dass Sunak den Parteivorsitz behält.

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Aber auch wenn der Noch-Regierungschef erneut ins Parlament einzieht, müssen sich seine Tories neu aufstellen. Mit dem moderaten Kabinettsmitglied Penny Mordaunt sowie den Hardlinern Kemi Badenoch, der Wirtschaftsministerin, und Suella Braverman, einst Innenministerin, laufen sich mehrere Kandidatinnen warm. Braverman betonte in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Telegraph": "Es ist vorbei, und wir müssen uns auf die Realität und Frustration der Opposition vorbereiten."

Sunak zeigt sich kämpferisch. Wenn nur 130.000 schwankende Wahlberechtigte in rund 100 umkämpften Wahlkreisen ihre Stimme den Konservativen geben würden, sehe das Tory-Ergebnis schon anders aus, behauptete er. Allerdings deuteten die Aussagen des 44-Jährigen eher auf Schadensbegrenzung hin. Labour dürfe keine "Supermehrheit" bekommen, warnte Sunak. Im politischen System Großbritanniens spielt es aber keine Rolle, ob eine Partei 10 oder 200 Sitze Vorsprung im Parlament hat.

Konservatives Boulevardblatt unterstützt Labour-Chef Starmer

Auch viele Medien sprachen sich für die Labour-Partei aus. Zuletzt betonte selbst die Boulevardzeitung "Sun", die üblicherweise konservative Positionen vertritt, dass Starmer eine Chance erhalten müsse. Zwar müsse sich die Labour-Partei noch deutlich besser zu Themen wie Einwanderung und Steuern positionieren, Starmer verändere die Partei jedoch positiv. Über die Konservativen schimpfte das Blatt hingegen, dass diese sich lediglich in innerparteiliche Streitigkeiten verstrickt hatten, anstatt das Land zu regieren.

Gründe für den Niedergang der Konservativen gibt es viele. Die Partei unterschätzte die Folgen des Brexits und schaffte es nicht, die mit dem EU-Austritt entstandenen wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Eine große Rolle spielen auch zahlreiche Skandale und Affären, vor allem unter dem ehemaligen Premierminister Boris Johnson.

Dadurch wurde ebenso viel Vertrauen zerstört wie durch die chaotischen Wirtschaftspläne von Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss. Die Hypothekenzinsen für den Kauf von Immobilien stiegen stark und belasten noch heute viele Menschen.

Fünf Premierminister in acht Jahren

Personelle Stabilität gibt es bereits seit Jahren nicht mehr. Sunak, seit Oktober 2022 im Amt, ist bereits der fünfte Premierminister seit dem Brexit-Referendum 2016. Auf mehreren Kabinettsposten gab es noch deutlich mehr Wechsel.

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Mit Schließung der Wahllokale um 23.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird eine erste Prognose erwartet. Die einzelnen Wahlkreise werden noch bis zum Freitagmorgen ausgezählt. König Charles III. beauftragt den neuen Premierminister am Freitag offiziell mit der Regierungsbildung.

Wahlberechtigt sind mehr als 46 Millionen. Menschen, die jeweils eine Stimme haben. Alle Sitze im Unterhaus werden per Direktmandat vergeben. Dabei gewinnt stets der Kandidat mit den meisten Stimmen in einem der 650 Wahlkreise. Die absolute Mehrheit im Unterhaus beträgt 326 Sitze.

Quelle: ntv.de, gri/dpa

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