"Bedauere Missverständnis" Kretschmann polarisiert mit Notstands-Idee
25.06.2021, 12:57 Uhr
Fühlt sich falsch verstanden: Winfried Kretschmann
(Foto: picture alliance/dpa)
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann sorgt mit jüngsten Aussagen über eine zukünftige Pandemiebekämpfung für Wirbel. Sein Vorschlag, Bürgerrechte im Zweifel drastisch einzuschränken und dafür das Grundgesetz zu ändern, ruft auch Fundamentalkritik an seiner Partei hervor.
SPD und FDP im Bundestag haben nach den Äußerungen von Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann über ein härteres Regime bei Pandemien eine Klarstellung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock gefordert. "Dass ein Grüner von einem permanenten Notstand der Exekutive zu träumen scheint, kritisiere ich scharf", sagte SPD-Bundestagsfraktionsvize Dirk Wiese. "Hier erwarte ich eine Klarstellung von Frau Baerbock." FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte: "Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock muss diesen Versuchungen des Autoritären in der eigenen Partei entschieden und öffentlich entgegentreten."
Kretschmann hatte in einem Interview vorgeschlagen, dass der Staat bei Pandemien künftig drastischer als bisher in Freiheitsrechte der Bürger eingreifen dürfen soll. Der Grünen-Politiker sagte im Interview mit "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten": "Meine These lautet: Wenn wir frühzeitige Maßnahmen gegen die Pandemie ergreifen können, die sehr hart und womöglich zu diesem Zeitpunkt nicht verhältnismäßig gegenüber den Bürgern sind, dann könnten wir eine Pandemie schnell in die Knie zwingen." Dafür müsse man möglicherweise das Grundgesetz ändern.
Dann müsse man auch nicht monatelang und in Wellen Grundrechtseinschränkungen machen, mit erheblichen negativen Folgen für die ganze Gesellschaft. "Wir sollten also einmal grundsätzlich erwägen, ob wir nicht das Regime ändern müssen, sodass harte Eingriffe in die Bürgerfreiheiten möglich werden, um die Pandemie schnell in den Griff zu bekommen."
Kretschmann zeigte sich überzeugt, dass ein solcher Pandemie-Notstand mehrheitsfähig wäre. "Ich glaube schon. Denn jeder muss sich die Frage stellen, was auf Dauer mehr Einschränkungen und Schäden verursacht: ein kurzer harter Einschnitt, der schnell wieder vorbei ist, oder ein immer wiederkehrender Lockdown."
Der SPD-Politiker Wiese sagte: "Die Äußerungen von Winfried Kretschmann befremden zutiefst. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein hohes Gut. Der Gesetzgeber kann nicht einfach tun und lassen, was er will, wie es scheinbar Herrn Kretschmann vorschwebt." Theurer, der auch FDP-Landeschef in Baden-Württemberg ist, sagte, die Grünen seien eben keine "Bürgerrechtspartei", das zeigten Kretschmanns Äußerungen. "Deutschland ist kein autoritärer Staat, der die Freiheitsrechte nach Belieben einschränken kann."
"Falscher Eindruck entstanden"
Kretschmann ist inzwischen nach massiver Kritik an seinem Vorstoß für ein härteres Regime bei Pandemien zurückgerudert. Er bedauere, dass seine Äußerungen in einem Interview zu Missverständnissen geführt hätten, teilte der Grünen-Politiker mit. "Im Rechtsstaat gilt immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - und zwar immer und ohne Einschränkung." Dieses zentrale Prinzip der Verfassung würde er nie infrage stellen. "Umso mehr ärgert es mich, dass durch meine Äußerungen offenbar dieser Eindruck entstanden ist."
Er stellte klar: "Der Anlass meiner Ausführungen war die Forderung nach einer Enquete-Kommission im Bundestag, die sich damit beschäftigen soll, wie wir mögliche Pandemien in Zukunft schneller eindämmen können." Es gehe ihm darum, die Folgeschäden möglichst gering zu halten und lang andauernde, tiefgreifende Einschnitte in Grundrechte zu vermeiden. "Es geht mir also nicht um weniger Freiheit für die Bürger, sondern um mehr Freiheit."
Quelle: ntv.de, mdi/dpa