Politik

Fragen und Antworten Kriegsverbrechen in Butscha: Was wir bislang wissen

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Die Bilder aus Butscha sind grauenhaft. Auf der ganzen Welt rufen sie schockierte Reaktionen hervor. Doch was ist in der Vorstadt von Kiew geschehen und wer hat die Taten begangen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Was ist in Butscha passiert?

Nach den Gerüchten gab es am Anfang nur ein Video. Am Freitagabend kursierte es in den sozialen Medien und zeigt eine Autofahrt ukrainischer Soldaten durch den zerstörten Kiewer Vorort Butscha. Auf dem Asphalt liegt nicht nur zerstörtes Militärequipment, sondern auch zahlreiche Leichen. Nach und nach bekommt die Weltöffentlichkeit zu sehen, was in Stadt geschehen ist, die bis zur russischen Invasion 37.000 Einwohner hatte. Die Bilder zeigen ermordete Zivilisten, deren Hände auf dem Rücken zusammengebunden sind, die teilweise in einen Gully gestopft wurden und deren Gliedmaßen aus Massengräbern ragen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nennt sie "unerträglich". Ukrainische Medien berichteten, dass allein am Wochenende etwa 340 Leichen geborgen wurden. Doch es werden immer wieder neue Keller und Gräber entdeckt.

Kann es als "Massaker" bezeichnet werden?

Auf jeden Fall. Am Wochenende entdeckten Journalisten und Soldaten Zivilisten, deren Hände auf dem Rücken zusammengebunden wurden. Den Berichten zufolge wurden viele von ihnen mit einem Schuss auf den Hinterkopf getötet, also gezielt ermordet. "Mich hat überrascht, wie wenig versucht wurde, Spuren zu verwischen. Es gab ja nicht einmal den Ansatz eines Versuches, die Leichen wegzuräumen, die Hände der Erschossenen, die am Rücken festgebunden waren, loszumachen", sagte die Historikerin Juliane Fürst im Interview mit ntv.de. Sie sagte, die Exekutionen seien auf jeden Fall gewollt gewesen. Der ukrainische Präsident, der die zerstörte Stadt, am gestrigen Montag besuchte, sagte über die Kriegsverbrechen: "Die Welt wird das als Genozid anerkennen."

Hätte das nicht vorher auffallen können?

Warum die Bilder erst am Wochenende veröffentlicht wurden, hat vermutlich vor allem zeitliche Gründe. Am 27. Februar, also drei Tage nach Beginn der Invasion, erreichten die russischen Streitkräfte Butscha. Erst in der vergangenen Woche verließen sie die Region um Kiew wieder, nach der Ankündigung Russlands, sich angeblich nur noch auf die Ostukraine zu konzentrieren. Nach Angaben des Kremls fand der Abzug am 30. März statt, einen Tag später meldete der Bürgermeister der Stadt, Anatoli Fedoruk, dass der Ort wieder frei von den Invasoren sei. Was sie hinterließen, war laut Präsident Selenskyj ein "komplettes Desaster". Nicht nur waren viele Gebäude zerstört, auch wurden Minen in Leichen, militärischem Equipment und Ruinen entdeckt. Das besagte erste Video, das ein Massaker hatte erahnen lassen, wurde am Freitag von ukrainischen Einsatzkräften veröffentlicht. Erst einen Tag später, also am Samstag, wurde die internationale Presse in das Gebiet gelassen. Was sie vorfanden, waren die Überreste des Massakers.

Was behauptet die russische Seite?

Der Kreml weist alle Anschuldigungen von sich. Die Gräueltaten von Butscha seien ein Fake-Massaker, die Ukraine und die USA hätten die Medienberichte am Wochenende gezielt gestreut, die Leichen seien alle noch frisch. Dahinter steckt folgende Behauptung: Während der russischen Besatzung von Butscha sei angeblich kein Zivilist ums Leben gekommen. Wie wenig Wahrheit in den russischen Ausflüchten steckt, zeigt ein Medienbericht der "New York Times". Die Zeitung hat Satellitenbilder des US-Unternehmens Maxar ausgewertet. Demnach lagen dort bereits am 19. und 21. März, also zur Zeit der Besatzung, Leichen auf der Straße. Zudem berichtete die Nachrichtenagentur Reuters von einem Massengrab in dem Hinterhof einer Kirche, das bereits vor dem 10. März ausgehoben worden sei und auf Satellitenbildern erkennbar war. Auch sammelte die FAZ weitere Hinweise, dass Zivilisten bereits vor dem Abzug der Russen gestorben seien. Sie fanden acht Gräber, deren Todestage allesamt vor dem 29. März datiert waren.

Welche russischen Einheiten waren vor Ort?

Diese Frage gilt es zu klären. Die EU, die USA und auch die Ukraine haben angekündigt, die Kriegsverbrechen zu untersuchen. Inzwischen gibt es erste Hinweise, welche russischen Einheiten sich während der Besetzung in Butscha befanden. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete in Zusammenarbeit mit einer ukrainischen Journalistin von Packzetteln aus Munitionskisten. Demnach sei die Militäreinheit 74268 zum fraglichen Zeitpunkt in dem Kiewer Vorort stationiert gewesen. Dahinter verberge sich das 234. russische Garde-Fallschirmjägerregiment, das zur 76. Garde-Fallschirmjägerdivision aus dem westrussischen Pskow gehöre. In dem Bericht heißt es weiter, dass es sich bei dieser Einheit nicht um Unbekannte handle. Sie soll bereits an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, dem seit 2014 tobenden Krieg in der Ostukraine, der russischen Invasion in Georgien sowie den beiden Tschetschenienkriegen beteiligt gewesen sein. Der ukrainische Militärgeheimdienst habe am gestrigen Montag eine Liste von Namen veröffentlicht, die an den Kriegsverbrechen in Butscha beteiligt gewesen sein sollen, berichtete der "Kyiv Independent". Demnach soll es sich um die 64. Motorschützenbrigade gehandelt haben.

Warum ausgerechnet Butscha?

Butscha liegt nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Kiew entfernt. Für die russischen Truppen hatte der nordwestliche Vorort von Kiew eine besondere strategische Bedeutung. Nach Beginn des Angriffskriegs war es ihr Ziel, möglichst schnell die ukrainische Hauptstadt einzunehmen. Sie nahmen zügig den Flughafen Hostomel ein, der als eine Basis für den Angriff auf Kiew dienen sollte. Auf direktem Weg von dem Flughafen zur Hauptstadt liegt Butscha. Zu ersten heftigen Gefechten kam es da schon am 27. Februar, als das ukrainische Militär eine russische Panzerkolonne auf dem Weg nach Kiew aufhalten konnte.

Betrifft es nur Butscha?

Das ist äußerst unwahrscheinlich. Der Militärexperte Carlo Masala geht davon aus, dass die Kriegsverbrechen in Butscha kein Einzelfall sind und bald weitere Enthüllungen folgen werden. Im "Stern"-Podcast "Ukraine - die Lage" sagte er, es sei "sehr wahrscheinlich, dass wir noch weitere solche Bilder in den nächsten Wochen sehen werden". Berichte etwa aus Borodjanka deuten darauf hin, dass die Lage dort noch schlimmer als in Butscha ist. Zudem ist auch noch das Ausmaß der Zerstörung in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol unklar. Erste Berichte über Kriegsverbrechen hat "Humans Rights Watch" bereits aus Tschernihiw, Charkiw und Kiew dokumentiert. Dabei ging es um zwei standrechtlichen Hinrichtungen, wiederholte Vergewaltigungen sowie Gewalt und Drohungen gegen Zivilisten.

Quelle: ntv.de

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