
Viel gelächelt wurde nicht: Merkel mit Selenskyj im Kiewer Marienpalast.
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Seit 2014 steht die Ukraine oben auf der Prioritätenliste der deutschen Außenpolitik. Doch bei ihrem Abschiedsbesuch in Kiew wirkt Kanzlerin Merkel wie ein unerwünschter Gast. Der ukrainische Präsident macht keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit.
Dieser Sonntag war wieder kein glücklicher Tag für Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Schon zum dritten Mal seit Amtsantritt des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Mai 2019 steht der Ex-Boxweltmeister kurz vor der Absetzung, weil bei mehreren Kommunalunternehmen der ukrainischen Hauptstadt Korruptionsermittlungen laufen. An diesem Morgen fuhr Klitschko zum Flughafen, um am Empfang von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem letzten offiziellen Besuch in der Ukraine teilzunehmen. Doch Klitschko wurde nicht auf das Gelände des Flughafens gelassen, weil er angeblich nicht auf der Gästeliste stand.
Allerdings war der Merkel-Besuch auch für Klitschkos politischen Rivalen Selenskyj kein Vergnügen. Als Hauptvermittler bei internationalen Verhandlungen zum Donbass-Krieg ist Deutschland unter Merkel der wohl wichtigste Verbündete der Ukraine. Die Beziehungen der beiden Staatschefs waren jedoch von Anfang an kühl. Dies hat wohl noch zwischen den beiden Wahlgängen der ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2019 seinen Ursprung, als Selenskyjs Sieg über seinen Vorgänger Petro Poroschenko bereits so gut wie feststand. Während der französische Präsident Emmanuel Macron in Paris sowohl Poroschenko als auch Selenskyj empfing, lud Merkel lediglich den damals amtierenden Präsidenten nach Berlin ein.
Aus protokollarischer Sicht war das kein Problem, das Team um Selenskyj nahm es der Kanzlerin aber sehr wohl übel. Zu solchen Oberflächlichkeiten kommt ein handfester Dissens: die baldige Fertigstellung der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Merkel wurde nicht nur vergleichsweise bescheiden am Flughafen empfangen. Auch bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Kiewer Marienpalast wurde trotz vieler dankender Worte und traditioneller Bekenntnisse wenig bis gar nicht gelächelt.
Wer gibt der Ukraine konkrete Garantien?
Überraschend ist das nicht, denn die auch im Westen umstrittene Pipeline wird in der Ukraine als massive Bedrohung gesehen. Vor Merkels Besuch hatte Selenskyj noch gehofft, die Kanzlerin werde sich klar dazu bekennen, dass der Transit des russischen Gases durch die Ukraine auch nach 2024 weitergehen muss. Zwar haben Deutschland und die USA erklärt, sich für eine neue zehnjährige Vereinbarung einzusetzen, wenn der Vertrag in drei Jahren ausläuft. Garantien, dass Russland dabei mitspielt, gibt es aber keine. "Wir haben mit der Bundeskanzlerin die Verlängerung des Transitvertrages besprochen", sagte Selenskyj. "Aber wir sprechen bisher über sehr allgemeine Sachen. Ich will klar verstehen, was die Ukraine nach 2024 gewinnen und verlieren kann und wer konkrete Garantien an die Ukraine gibt."
Merkel betonte, dass Nord Stream 2 von Russland keinesfalls als politische Waffe werden dürfe und dass andernfalls neue Sanktionen gegen Moskau denkbar wären. Die ukrainische Seite hat solche Versprechen jedoch schon häufig gehört, sie will wissen, was Russland konkret tun müsste, um sanktioniert zu werden. Antworten darauf gab Merkel nicht. Stattdessen bereitete sie die Ukraine auf die Verringerung des Transits vor, falls der generelle Gasverbrauch in der EU zurückgehen sollte.
"Die Ukraine muss sich in Richtung Klimaneutralität entwickeln. Deutschland muss sie bis 2045 erreichen. Der Gasverbrauch wird entsprechend verringert, und die Ukraine muss darauf vorbereitet sein", betonte Merkel und griff damit ausgerechnet ein Argument auf, die Kritiker der Pipeline seit langem vorbringen: Warum wird Nord Stream 2 gebaut, wenn der Gasverbrauch doch verringert werden soll?
Für die Ukraine wäre eine denkbare Alternative der Umstieg auf grüne Energie, vor allem die Erzeugung und Lieferung des grünen Wasserstoffs. Nicht nur sollen Deutschland und die USA rund eine Milliarde US-Dollar für die Entwicklung entsprechender Technologien im Land zur Verfügung stellen. Auch haben der ukrainische Energiekonzern Naftohas und RWE am Rande des Merkel-Besuchs ein Verständigungsmemorandum über die Zusammenarbeit im Wasserstoffbereich unterzeichnet.
Hoffen auf Montag
Selenskyj wies allerdings darauf hin, dass Wasserstoff eine eher langfristige Perspektive ist, die große Investitionen erfordert, während das drohende Ende des Gastransits ein sehr akutes Problem darstellt. Tatsächlich ist die weitere Verringerung des Transits für die Ukraine eine konkrete Herausforderung. Das ukrainische Gastransportnetz muss mindestens 40 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch seine Leitungen pumpen, um funktionsfähig zu bleiben. 2020 lag dieser Wert bei etwas mehr als 55 Milliarden, die Tendenz ist deutlich sinkend. Hinzu kommen wirtschaftliche und Sicherheitsaspekte: Aus Sicht der Kiewer Politik ist die Beibehaltung des Transits auch deshalb wichtig, um die militärischen Ambitionen Russlands in der Ukraine klein zu halten.
Mit Blick auf den seit Frühjahr 2014 andauernden Krieg in der Ostukraine, der bisher mehr als 13.000 Menschenleben kostete, setzte Merkel sich überraschend für einen neuen Gipfel im sogenannten Normandie-Format ein - noch mit ihrer Beteiligung. Zum 2014 entwickelten Normandie-Format gehören neben Deutschland und der Ukraine noch Frankreich und Russland, nicht aber die USA. Es ist aber unwahrscheinlich, dass der Kreml sich darauf einlässt, nachdem die neue Eskalation an der Frontlinie und der Aufmarsch der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine die durchaus erfolgreichen Friedensbemühungen der letzten Jahre zunichte gemacht haben.
"Angela Merkel wird immer ein gerne gesehener Gast in der Ukraine sein", betonte Selenskyj. Dennoch blieb fraglich, ob Merkel heute wirklich so erwünscht war - auch der scharfe Ton des ukrainischen Präsidenten sprach eher dagegen. Ein wenig Hoffnung setzt die Ukraine noch auf diesen Montag, an dem die Gründungsveranstaltung der Krim-Plattform stattfinden soll, die sich vorrangig mit der Problematik der russischen Krim-Annexion beschäftigt. Sowohl Deutschland als auch die USA werden in diesem diplomatischen Format durch ihre Energieminister vertreten sein. So liegt es auf der Hand, dass es dabei zumindest hinter den Kulissen auch oder sogar vor allem um den Gastransit gehen wird.
Quelle: ntv.de