Politik

Zu Besuch bei Freunden Kurz hofiert Putin

Sebastian Kurz und Wladimir Putin.

Sebastian Kurz und Wladimir Putin.

(Foto: REUTERS)

Wohlfühloase Wien: In Österreich empfängt die erste Riege des Staates den russischen Präsidenten Putin. Der spricht das gemeinsame Interesse offen aus, Kanzler Kurz traut sich das nicht - beide wollen die Sanktionen der EU beendet sehen.

Die Begrüßung fällt selbst für Sebastian Kurz' Verhältnisse außerordentlich höflich aus. Der österreichische Bundeskanzler ist bekannt für seine Galanterie, bei PR-Auftritten entwischt kaum jemand dem berüchtigten Händeschüttler. Aber was Wladimir Wladimirowitsch sich am späten Nachmittag im Kanzleramt anhören darf, fällt schon nicht mehr unter diplomatische Höflichkeit. "Ich darf mich bedanken", sagt Kurz, gut einen Kopf größer als der neben ihm stehende Putin, "dass Österreich das erste europäische Land ist, das Sie nach ihrer Wiederwahl besuchen". In höchsten Tönen lobt er die guten Beziehungen zu Russland, dem er nicht zum ersten Mal den Status als "Supermacht" verleiht- eine Bezeichnung, die einst sogar Putin selbst als übertrieben erachtete.

Der russische Präsident betritt in Wien zwar den Boden der Europäischen Union, die sein Land mit Sanktionen belegt hat, aber trotzdem Freundesland: Österreich nimmt im Streit mit Russland eine wunderliche Sonderrolle ein. Das neutrale Land zwischen Ost und West, vom Kalten Krieg bis heute Hort  besonders vieler Spione, agiert als eine Art Doppelagent ohne Tarnung. Im Fall des vergifteten Sergej Skripal hat Wien keine Diplomaten ausgewiesen, unterstützte aber den Abzug des EU-Botschafters in Wien. Ähnlich schizophren klingt die Haltung in der Frage der Sanktionen. "Wir tragen sie selbstverständlich mit", sagte Sebastian Kurz heute, trotzdem hoffe er auf einen "schrittweisen Abbau" durch einen internationalen Dialog. Die Botschaft ist klar: Wir wollen die Sanktionen nicht, Brüssel schon, uns sind die Hände gebunden. Warum die EU die Sanktionen beschloss, welche Rolle Russland in der Ukraine und in Syrien spielt - zumindest vor verschlossenen Türen war davon keine Rede. Für Putin, der schon oft in Österreich Ferien gemacht hat, waren die wenigen Stunden in Wien eine Art politischer Wellness-Kurzurlaub.

"Business as usual"

Zunächst empfing Bundespräsident Alexander Van der Bellen Putin zu Gesprächen, auf der Pressekonferenz danach gab der Grüne eine Kostprobe seiner typischen Flapsigkeit. Nur vier Fragen waren zugelassen, eine einzige war halbwegs brisant - eine Journalistin fragte nach dem Glaubwürdigkeitsproblem Russlands auf dem internationalen Parkett. Man könnte darauf hinweisen, dass auch eine andere Supermacht nicht die beste Reputation besitzt, Stichwort Massenvernichtungswaffen im Irak. Aber man sollte die Frage wenigstens ernst nehmen. Nicht so Van der Bellen. "Ein Glaubwürdigkeitsproblem sehe ich nicht", sagte wenig überraschend Wladimir Putin, Österreichs Präsident zuckte hernach nur mit den Achseln. "Ich habe dem nichts hinzuzufügen", sagte er, tat es dann aber doch: "Glaubwürdigkeitsprobleme gibt es immer wieder in der Politik. Auch mich könnten sie fragen, ob ich wirklich immer glaubwürdig bin. Das ist Business as usual."

Der Abschuss der MH17, der Fall Skripal, die Krim-Annexion, all das ist "Business as usual". Kritischer wurde es nicht mehr, auch nicht bei Bundeskanzler Kurz, der immerhin darauf drängte, dass Moskau das Minsker Abkommen einhalten und in Syrien auf Frieden dränge solle. Kein Misston störte Putins Besuch, der ohnehin einer "Goldenen Hochzeit" gewidmet war: Vor 50 Jahren schlossen die Vorgängerunternehmen von Gazprom und dem österreichischen Energieriesen OMV die ersten Gaslieferverträge zwischen der Sowjetunion und einem europäischen Land. Nicht nur deswegen verbindet Österreich und Russland eine besondere Geschichte - die Sowjets gehören auch zu den Garantiemächten der österreichischen Neutralität: 1955 ermöglichten sie dem besetzten Land die Unabhängigkeit unter der Bedingung, dass Österreich nie in ein militärisches Bündnis eintritt. Bis heute ist das Land nicht in der Nato, was die Beziehungen wesentlich entspannt.

Putin selbst soll schon in seinen Zeiten als KGB-Offizier in Dresden gern zum Skifahren nach Österreich gereist sein, Unterricht soll er später bei der Legende Karl Schranz genommen haben, der seinem Schüler mit seinen guten Verbindungen in die Sportwelt geholfen haben soll, die Olympischen Winterspiele nach Sotschi zu holen. 2001 bei der Ski-WM in St. Anton wedelte Putin mit dem damaligen ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel über die Pisten. Präsident Thomas Klestil schenkte er zwei Welpen seiner Labrador-Hündin. Mehr als vertraut sind auch Kontakte zu Wirtschaftskapitän Christoph Leitl, lange Jahre Präsident der Wirtschaftskammer. Als der einmal in einer Rede erwähnte, dass er schon 14 Jahre die Kammer anführe, rief Putin laut lachend: "Diktatur! Aber gute Diktatur!"

Freundschaft aus Tradition

Putins beste politische Freunde in Österreich finden sich in der FPÖ: Die Rechtsaußen-Partei hat ein Freundschaftsabkommen mit der Kreml-Partei "Einiges Russland" geschlossen. Immer wieder reisen FPÖ-Mandatare auf die Krim und bezeichnen sie als Teil Russlands - doch nicht nur Fußsoldaten, auch die Führungsriege der FPÖ umwirbt Putin offen. Ein verfrühtes Willkommensgeschenk überreichte Vizekanzler Heinz-Christian Strache zwei Tage vor dem Besuch des Präsidenten: "Es ist Zeit, diese leidigen Sanktionen zu beenden und die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu normalisieren", sagte er im Boulevardblatt "Österreich" - inhaltlich im Prinzip auf Regierungslinie, aber deutlich undiplomatischer als Kanzler Kurz.

Der Vizekanzler ist gleichzeitig Sportminister, er will sich, anders als viele EU-Kollegen, die WM in Russland live auf der Tribüne anschauen. Strache gehörte zu den Ministern, die im Kanzleramt unter den Augen von Putin und Kurz Verträge unterzeichnen durften, es ging um ein Doppelbesteuerungsabkommen und Direktinvestitionen. Gazprom-Chef Alexei Miller und der deutsche OMV-CEO Rainer Seele schlossen einen Vertrag über weitere Lieferungen bis 2040, es wirkte wie ein Zeichen an die versammelten Journalisten: Seht her, wir reden nicht nur über unsere guten Beziehungen, wir besiegeln sie auch.

Wegen der Sanktionen ist das Handelsvolumen zwischen Österreich und Russland zwischenzeitlich eingebrochen, mittlerweile erholen sich die wirtschaftlichen Beziehungen wieder, Putin hat die Zahlen genau parat. Um 40,5 Prozent sei das Volumen gestiegen im vergangenen Jahr, und einige Projekte versprechen weiteres Wachstum: die umstrittene Pipeline North Stream II etwa, in die OMV massiv investiert. Oder auch der Anschluss der österreichischen Bahn an die Neue Seidenstraße via Transsibirische Eisenbahn. Momentan, erklärt Putin, sei Russland der zweitwichtigste Direktinvestor in Österreich - nach Deutschland.

Oleg Deripaska etwa, Putins Oligarchenfreund, hält seit Jahren rund ein Viertel der Anteile am Baukonzern Strabag. Kein Wunder also, dass die österreichische Wirtschaft immer wieder für das Ende der Sanktionen eintritt. Und mit ihr die Politik, egal ob FPÖ, ÖVP oder SPÖ: 2014 etwa sprach sich der sozialdemokratische Präsident Heinz Fischer für ein schnelles Ende der Sanktionen aus. Österreich war damals auch das erste EU-Land, das Putin nach der Annexion der Krim empfing.

Nun also suchte sich Putin Österreich für seinen ersten Besuch in der Europäischen Union seit seiner Wiederwahl aus - wohl nicht ganz zufällig nur vier Wochen, bevor das Land den Ratsvorsitz der Europäischen Union übernimmt. Bundeskanzler Kurz hat wenig überraschend angekündigt, dass er die Migration als wichtigstes Thema im kommenden halben Jahr erachtet. Die Frage der Sanktionen wird jedoch schnell auf den Tisch kommen, sie werden im Halb-Jahres-Rythmus verlängert, immer wieder einstimmig, zuletzt im März - auch mit der Stimme Österreichs. Ob Kurz um Verbündete für das Ende der Sanktionen werben will, wie er für Entspannung sorgen will zwischen Brüssel und Moskau, all das hätten ihn die Journalisten sicher gern gefragt. Allein, es sind keine Fragen zugelassen. Nicht,dass Gospodin Putin in seiner Wohlfühloase gestört wird.

Quelle: ntv.de

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