Migrationstalk bei Illner Linnemann: "Wir brauchen einen großen Wurf"
10.11.2023, 04:42 Uhr Artikel anhören
"Die Zahlen müssen runter": CDU-Generalsekretär Linnemann bescheinigt der Ampel keinen Durchbruch beim Migrationsproblem.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels zur Flüchtlingspolitik vom vergangenen Montag bewegen weiterhin die Gemüter. In der ZDF-Talkshow Maybrit Illner geht es um die sogenannte Drittstaatenlösung bei Asylverfahren.
Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels von vergangenem Montag werden noch immer heftig diskutiert. Auch in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner sind sie am Abend Thema. Etwas erstaunt sind die Gäste über die ersten Sätze von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: "Das Ergebnis ist gut, vor allem für die Kommunen. Die warten seit Monaten auf eine Finanzspritze. Die brauchen sie, weil die Flüchtlinge da sind", sagt der Politiker. Doch dann fügt er hinzu: "Wir wollten ein Stoppschild für die illegale Migration." In diesem Punkt gehen vielen Unionspolitikern die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz nicht weit genug. "Wir brauchten eigentlich einen Kurswechsel, und dieses Papier ist kein Kurswechsel", so Linnemann.
Tatsächlich hatte CDU-Chef Merz gefordert, Asylanträge in Zukunft in Drittländern zu prüfen, die nicht zur Europäischen Union gehören. Das haben auch Migrationsexperten in Deutschland vorgeschlagen. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni hat deswegen mit Albanien verhandelt. Darauf weist auch Linnemann hin. In der Ampelkoalition gibt es dagegen Streit über die Drittstaatenlösung. So hat sich Grünen-Chefin Ricarda Lang bereits dagegen ausgesprochen.
Ob Asylverfahren in Drittstaaten wirklich funktionieren, ist unklar. Das soll jetzt eine Kommission prüfen. Das sei so im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgelegt worden, stellt die Chefredakteurin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, Eva Quadbeck fest. Scholz habe deswegen nicht anders handeln können.
"Erst mal die Beschlüsse umsetzen"
Vieles spreche für eine solche Lösung, findet der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Doch der SPD-Politiker hat noch Klärungsbedarf: "Die Frage stellt sich für mich bei Menschen, die schon in Deutschland sind: Bringen wir die dann gegen ihren Willen in ein anderes Land, oder bei Ruanda in einen völlig anderen Teil der Welt? Vor allen Dingen aber: Was passiert dann in den Fällen, in denen die Asylverfahren abschlägig beschieden werden? Lassen wir sie in Ruanda, oder was passiert da? Und auf diese Fragen habe ich bisher noch keine vernünftige Antwort gehört." Die Fragen wird auch bis zum Ende der ZDF-Talkshow niemand beantworten. Weil erklärt, er habe nicht gewollt, dass der Beschuss in dem Abschlussdokument stehe, aber nun sei es einmal so. "Der Gesamtbeschluss ist so wichtig, dass ich es an so einer Frage ganz bestimmt nicht scheitern lassen wollte. Das ist für mich das Entscheidende", sagt Weil. Bund und Länder hätten einen gemeinsamen Kurs besprochen. Jetzt sei es wichtig, voranzukommen.
Das sieht auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen so. Immerhin habe man vereinbart, dass Migranten schneller in Arbeit kommen könnten oder dass sie länger finanzielle Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekämen, die niedriger seien als das Bürgergeld. "Das werden wir jetzt umsetzen, wir sind vertragstreu", sagt Özdemir. Was die Drittstaatenlösung angeht, hat der Politiker eine klare Meinung: "Es funktioniert erkennbar nicht, dass Leute, die in einem EU-Staat waren, dann durchgereicht werden. Das müssen wir wieder ändern." So habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Vorhaben Großbritanniens, Asylverfahren in Ruanda prüfen zu lassen, für menschenrechtswidrig erklärt. "Also ganz so einfach ist es offensichtlich nicht", so Özdemir. Er fordert, die getroffenen Beschlüsse erst einmal umzusetzen. "Wir sind in Deutschland sehr gut dabei, sofort wieder in den Parteienstreit zu fallen. Lassen wir uns das doch erst einmal umsetzen."
Zuzug begrenzen, statt abschieben
Auch Migrationsexpertin Victoria Rietig beurteilt die Beschlüsse des Gipfels überwiegend positiv, zweifelt aber an deren Umsetzung. Dabei bedürfe es teilweise europäischer Partner, die möglicherweise nicht einverstanden seien, zudem gebe es "wahnsinnig ineffiziente Prozesse" bei der Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Außerdem kritisiert sie die Komplexität des Migrationsrechts, mit der viele Ausländerbehörden nicht klarkämen. Die brauchten dringend mehr Personal. So würden Abschiebungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich beschlossen, darum seien sie oft unfair.
Abschiebungen sind für CDU-Generalsekretär Linnemann nicht die Lösung. Der Politiker fordert, der Zuzug von Migranten müsse gesenkt werden. "Die Zahlen müssen runter", so Linnemann. Er bleibt dabei: Das, was auf dem Bund-Länder-Gipfel beschlossen wurde, "ist kein großer Wurf. Ein großer Wurf wäre die Drittstaatenlösung". Linnemann könnte sich auch Transitzentren in Grenznähe vorstellen, in denen entschieden werden solle, wer bleiben dürfe und wer nicht. "Wer bleiben darf, kommt zur Kommune, wer nicht bleiben darf, muss zurück." Linnemanns Forderungen: "Die Maghrebstaaten als sichere Herkunftsstaaten titulieren, Familiennachzug stoppen, und bei dem Bürgergeld müssen wir ran." Die Union sei weiterhin bereit, die Ampelregierung bei der Migrationspolitik zu unterstützen, sagt Linnemann. "Aber wir brauchen einen großen Wurf, keinen kleinen."
Quelle: ntv.de