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Zeit läuft für den Kreml London: Neue Russen-Taktik setzt auf Abnutzung

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Die Taktik der Wagner-Söldner führte in Soledar am Ende zum Erfolg.

Die Taktik der Wagner-Söldner führte in Soledar am Ende zum Erfolg.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Auch wenn das russische Militär aktuell keine großen Erfolge erzielt, könnte es im Kampf den längeren Atem haben, glaubt der britische Geheimdienst. Entsprechend scheint der Kreml die Taktik geändert zu haben: Die Zermürbung ukrainischer Truppen ist zunächst wichtiger als Landgewinn.

Nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes könnte das russische Militär bei seiner Taktik einen neuen Ansatz verfolgen. Die Kampagne könnte nun stärker darauf abzielen, das ukrainische Militär zu schwächen, anstatt größere Geländegewinne zu erzielen. Die Kalkulation dahinter: Russland kann am Ende immer noch neue Soldaten in den Kampf entsenden, weitere Panzer oder Artillerie in Stellung bringen, auch wenn diese nicht hochmodern sind. Die Ukraine verteidigt zwar mutig und effizient, ist aber zahlenmäßig in allen Belangen doch unterlegen.

Für Russland wird die Zeit knapp. Auch wenn die vielfach erwartete Großoffensive nicht so recht als solche zu erkennen ist, setzt sie doch zahlreiche Nadelstiche, auf die die ukrainischen Streitkräfte reagieren müssen, sagt Militärexperte vom European Council of Foreign Relations (ECFR), Gustav Gressel, ntv.de. In seinen Augen deuten die Angriffe Russlands auf breiter Front - vor allem bei Wuhledar, Bachmut und bei Kreminna - nicht auf eine echte Offensive hin. Dazu würde man eigentlich Truppen an einem Ort konzentrieren und dann, unterstützt durch Artillerie, ganz massiv angreifen. Das sei bei den russischen Bemühungen aber derzeit nicht der Fall. Stattdessen greifen eher kleinere Gruppen an, die durch die ukrainischen Verteidiger so leichter abgewehrt werden könnten.

Anders ist es in der Stadt Bachmut. Zunächst wurden dort laut ISW-Bericht sehr gut ausgebildete und gut ausgerüstete Wagner-Söldner eingesetzt, um die Stadt sowie das benachbarte Soledar zu erobern. Die Ortschaften bilden bereits seit dem Jahr 2014 die Frontlinie zwischen ukrainischen Soldaten und prorussischen Kämpfern. Die Verteidigungsstellungen der Ukrainer sind daher sehr gut ausgebaut und schwer zu erobern. Zudem sind in der Region auch viele erfahrene und gut ausgebildete ukrainische Kämpfer. Entsprechend hoch war die Opferzahl unter den russischen Spezialkräften.

Erfolg brachte dann aber offenbar die Taktik, die der britische Geheimdienst nun allgemein für das russische Militär ausmacht: hoher Personalaufwand, der zwar nur kleine Geländegewinne erzielt, vor allem aber durch dauerhaftes Bestürmen die ukrainischen Verteidiger immer weiter schwächt.

Bei Soledar geht neue Taktik der Russen auf

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin rekrutierte dafür Zehntausende Kämpfer unter russischen Strafgefangenen und bot ihnen im Gegenzug für den Kampfeinsatz die Freiheit an. Viele folgten seinem Aufruf. Nach Angaben westlicher Experten war die Wagner-Gruppe zwischenzeitlich etwa 50.000 Mann stark. Die neuen Rekruten waren jedoch nicht vergleichbar gut ausgebildet wie langjährige Söldner und auch nicht so gut ausgerüstet. Ihre Aufgabe war es, in konstanten Wellen auf ukrainische Verteidigungsstellungen zuzulaufen, und diese so offenzulegen. Unter ihnen war die Opferzahl extrem hoch. 9000 Wagner-Söldner sollen mittlerweile gefallen sein, weitere rund 20.000 seien laut US-Geheimdiensten verwundet. Die russische Artillerie konnte im Anschluss dann die ukrainischen Stellungen unter Feuer nehmen.

Die Ukrainer mussten viel Munition aufwenden, um die immer wieder anrennenden Russen nicht ihre Stellungen übernehmen zu lassen. Ein extremer Abnutzungskampf entbrannte, in dem Russland aufgrund einer größeren Zahl an Kämpfern den längeren Atem behält. Letztlich konnte die Stadt Soledar so erobert werden, in Bachmut drangen Wagner-Söldner bisher in Außenbezirke vor. Allerdings ist die Stadt deutlich größer als Soledar, es drohen für beide Seiten verlustreiche Häuserkämpfe.

Nach Einschätzung von Militärexperten Gressel bleibt dem russischen Militär allerdings auch nicht viel anderes übrig, als die aktuelle Taktik zu wählen. Russland fehle es an Reserve-Divisionen, Offizieren und Militärstäben, um eine ernsthafte Offensive durchführen zu können. "In einem normalen Reservebataillon kennen sich die Leute seit zehn Jahren, haben viele Male gemeinsam geübt, vermögen einzuschätzen, was sie können und was nicht", sagt Gressel.

In den mobilgemachten russischen Bataillonen hingegen seien irgendwelche Leute zu Einheiten zusammengestellt, die sich vorher noch nie gesehen hätten, und die gerade mal so weit trainiert wurden, dass sie im Gefecht überhaupt eine Chance hätten zu überleben. "Die machen keinen Kampf der verbundenen Waffen. Deshalb wählt Russland derzeit kleinteilige Offensiven. Die sind leichter zu koordinieren", erläutert Gressel.

Quelle: ntv.de

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